Kugelstoßerin Christina Schwanitz:Befreit von den Schrauben in den Füßen

Lesezeit: 3 min

Auf dem Weg zur WM-Medaille: Christina Schwanitz. (Foto: REUTERS)

Sieben Jahre lang plagt sich Christina Schwanitz mit großen Schmerzen, kann weder barfuß laufen noch auf Leitern steigen. Dann ringt sich die Kugelstoßerin zu ihrer fünften Operation durch - und hat jetzt bei der Leichtathletik-WM in Moskau gute Aussichten auf eine Medaille.

Von Saskia Aleythe

Am Abend vor ihrem wichtigsten Wettkampf wird Christina Schwanitz ein Bierchen trinken. Das Ritual beruhige sie, sagt die deutsche Kugelstoßerin, "danach kann ich besser schlafen". Ohnehin geht Schwanitz in dieser Saison gelassener zu Bett. Es hat sich allerhand geändert in ihrem Leben. Schwanitz sagt: "Dieses Jahr gab es viele Momente, die mir gezeigt haben: Es war genau richtig."

Die Verwandlung der Christina Schwanitz hat viel mit ihren Füßen zu tun. Vielleicht noch mehr mit ihrem Kopf. Sie zog um, wechselte den Trainer. Und sie kann endlich schmerzfrei trainieren.

2013 absolviert die 27-Jährige ihre bislang erfolgreichste Saison. Schwanitz konnte erstmals die 20-Meter-Marke knacken, wurde Europameisterin in der Halle und Deutsche Meisterin. Bei der Leichtathletik-WM in Moskau, die am Samstag beginnt, steigt Schwanitz als deutsche Nummer eins in den Ring. Sie könnte eine Medaille gewinnen.

Bislang waren die Schmerzen Schwanitz' ständiger Begleiter. 2005 wurde sie an beiden Füßen operiert, eine Fehlstellung der großen Zehen sollte korrigiert werden. Doch die OP missglückte, vier weitere folgten. Über sieben Jahre hinweg hatte Schwanitz Schrauben in ihren Füßen, bis zum November 2012, als sie sich doch noch einmal zu einer Operation überwinden konnte. "Ich bereue, dass ich so lange gewartet habe", sagt sie, "aber die vielen negativen Erfahrungen davor waren einfach prägend."

Studie "Doping in Deutschland"
:Kontrolleure sollen selbst manipuliert haben

Ein besonders spannendes Kapitel der Studie "Doping in Deutschland" beleuchtet die Frage: Wie ernst war es den Kontrolleuren mit dem Kontrollieren? Dabei verstärkt sich der Verdacht, dass Mediziner in der alten BRD selbst Teil des Systems waren.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Was Schwanitz danach erlebte, lässt sich als sportliche Wiedergeburt bezeichnen. "Die ersten Trainingseinheiten, die schmerzfrei waren, waren überwältigend", erinnert sie sich: "Ich kam nach Hause und hatte keine Fußschmerzen - das war ein unglaublich befreiendes Gefühl, gigantisch." Barfuß laufen und auf Leitern steigen war früher eine Tortur. Jetzt fühlt sie sich auch im Kopf frei: "Ich muss mir keine Gedanken mehr darüber machen, ob ich irgendwo anstoße und dann furchtbare Schmerzen habe."

Das Denken machte ihr bei wichtigen Wettkämpfen früher immer wieder zu schaffen. "Ich war oft instabil und habe kläglich versagt", sagt Schwanitz, etwa bei der WM 2011, als sie nur auf Platz 13 landete. Schwanitz setzte sich selbst unter Druck, nahm die Erwartungen ihrer Umgebung zu ernst und erlebte im Ring einen Blackout. "Da wusste ich fast nicht mehr, was Kugelstoßen überhaupt ist", erzählt sie. Topleistungen im Training, Versagen im Ring.

Seit fast zwei Jahren arbeitet die Sportsoldatin nun mit einer Psychologin. Das hilft. "Ich gehe lockerer an den Wettkampf heran und unterhalte mich mit meinen Konkurrentinnen", sagt Schwanitz, "natürlich will jede die Beste sein. Aber man muss sich außerhalb des Ringes ja nicht zerfleischen." Das Miteinander ist Schwanitz wichtig, in ihrer Jugend hat sie den Konkurrenzkampf aber noch ganz anders erlebt. "Auch bei den Deutschen wurde das vor einigen Jahren noch von den Trainern unterstützt, dass sich die Athleten untereinander nicht sonderlich gut verstehen, dass da ständig Konkurrenzkampf ist", erinnert sie sich, "so wie es heute ist, empfinde ich es als viel angenehmer."

Von der Arbeit mit ihrem neuen Trainer profitiert Schwanitz enorm. Sven Lang hat bereits David Storl zum Weltmeister geformt, für ihn ist Schwanitz nach Chemnitz gezogen. Freunde und Familie ließ sie in Baden-Württemberg zurück. "Ich weiß, dass ich noch nicht am Limit bin", sagt Schwanitz. Die Zuversicht ist in ihre Worte zurückgekehrt.

Leichtathletik
:Bolt zeigt Mitleid mit den positiv getesteten Rivalen

Usain Bolt hat sich zur Dopingaffäre um Gay und Powell geäußert. Powell will seine Karriere fortsetzen. Durch ein 3:1 gegen Honduras erreicht die US-Fußball-Nationalmannschaft das Finale des Gold Cups.

Zusammen mit Josephine Terlecki wird Schwanitz bei der WM in Moskau für Deutschland antreten. Schwanitz macht keine großen Ankündigungen, doch ein Ziel hat sie schon: Unter die besten Fünf zu kommen. Ihre Bestleistung liegt bei 20,20 Metern, da sie konstant 20 Meter stoßen kann, gilt sie als Medaillenkandidatin.

An der Topfavoritin Valerie Adams, einst Vili, wird vermutlich noch kein Weg vorbeiführen. Für Schwanitz ist die Neuseeländerin "im Moment noch unerreichbar, Welten entfernt." Mit 1,93 Meter ist Adams einen Kopf größer als Schwanitz, bringt 120 Kilogramm Wettkampfgewicht mit. Beim letzten Kräftemessen vor der WM stellte Adams in London die Weltjahresbestleistung von 20,90 auf. "Valerie ist fürs Kugelstoßen geboren", sagt Schwanitz. Vielleicht kann sie beim Wettkampf ja ein bisschen mit der großen Favoritin plaudern.

© Süddeutsche.de/ska - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: