Kroatien bei der WM:Friedensminister Olic

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Weg vom Image der hochbegabten Chaostruppe: Kroatien will bei der WM als wohl organisierte Einheit auftreten. Doch in der Vorbereitung gab es schon wieder Ärger. Ausgerechnet Wuselstürmer Ivica Olic bringt da Ruhe ins Team.

Von Boris Herrmann, Manaus

Als Ivica Olic die Auslosung der WM-Gruppen im Fernsehen verfolgte, war sein erster Gedanke: "Oh Gott!" Sein zweiter Gedanke war auch nicht viel besser: "Eröffnungsspiel gegen Brasilien! Warum ausgerechnet gegen Brasilien?" Beim dritten Gedanken sah Olics Welt schon wieder ein bisschen freundlicher aus. "Warum nicht? Ist doch gut! So ein kleines Kroatien gegen so ein großes Brasilien." Und wenn er sich jetzt, kurz bevor es endlich losgeht, an seinen vierten Gedanken erinnert, dann treibt es ihm sogar sein unverschämt mitreißendes Olic-Lächeln ins Gesicht. "Ich weiß nicht, wie viele Milliarden von Menschen damit rechnen, dass Brasilien gewinnen wird. Wenn wir da eine Überraschung schaffen, dann wird die ganze Welt über uns reden", sagt er.

Ivica Olic hat - bei aller Bescheidenheit - durchaus den Anspruch, dass das kleine Kroatien mal wieder ein bisschen mehr Aufmerksamkeit in der Fußballwelt verdient hätte. Inzwischen steht er deshalb auf dem Standpunkt, dass es nicht viele größere Spiele geben kann als ein Eröffnungsspiel in Brasilien gegen Brasilien. Und dieser Olic hat schon viele große Spiele gespielt, zwei Champions-League-Finals mit dem FC Bayern zum Beispiel (die er beide verloren hat). Olic, 34, hat auch schon an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen (bei denen er beide Male mit seinen Kroaten in der Vorrunde ausgeschieden ist). Er sehnt sich jetzt nach einem großen Spiel mit einem großen Ende.

Am Donnerstag in São Paulo böte sich eine gute Gelegenheit. Die kroatische Mannschaft wird zwar aus guten Gründen nicht als Titelanwärter gehandelt. Ihr ist trotzdem zuzutrauen, dass sie den Gastgebern die Eröffnungsparty vermiesen kann.

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Im Mittelfeld wirbeln Luka Modric von Real Madrid und Ivan Rakitic, der am Mittwoch seinen Wechsel vom FC Sevilla zu Barcelona bestätigte - zentrale Figuren eines Champions-League- und eines Europa-League-Gewinners. Ganz vorne kommt es gegen Brasilien wohl auf den guten alten Olic vom VfL Wolfsburg an. Sturmpartner Mario Mandzukic ist fürs Eröffnungsspiel gesperrt. Er hatte sich in der WM-Relegation gegen Island eine rote Karte eingehandelt. "Ist schade", sagt Olic, "bei uns ist es nicht wie bei Deutschland, Brasilien oder Spanien: Wenn einer fehlt, kommt eben der nächste. Wir sind schon abhängig davon, wer spielt. Wir haben keine drei Mandzukics."

Unruhe durch Simunic und Mandzukic

Kroatien kann heilfroh sein, dass es zumindest einen Olic hat. Ob das Land traurig sein muss, dass es bei der WM null Josip Simunics dabei haben wird, daran scheiden sich die Geister. Einerseits würde der ehemalige Bundesliga-Profi, heute bei Dynamo Zagreb, wohl auch mit 36 Jahren noch zu den Stützen der Abwehr gehören. Andererseits hat die Fifa ausnahmsweise wenig falsch gemacht, als sie Simunic wegen Anstiftung zur Fremdenfeindlichkeit für zehn Spiele sperrte. Er war nach der erfolgreichen WM-Relegation in Zagreb gegen Island zu den Fans auf den Zaun geklettert und hatte mit ihnen nationalistische Weisen angestimmt. Am Ende rief er über das Stadion-Mikrofon: "Za Dom - Spremni!" ("Für die Heimat - bereit!"). Seine spätere Beteuerung, wonach er nicht gewusst habe, dass es sich um den Gruß der faschistischen Ustascha-Bewegung handelte, konnte den internationalen Sportgerichtshof nicht von einem milderen Strafmaß überzeugen.

Olic hält Simunic weiterhin für einen guten Kerl, die beiden teilten sich jahrelang auf Länderspielreisen ein Zimmer. Trotzdem will er den Vorfall nicht beschönigen, allenfalls ein bisschen relativieren: "Meines Erachtens hatte Josip keine Ahnung, was für eine Tragweite das Thema besitzt. Und ich glaube viele Zuschauer wissen auch nicht, dass es verboten ist." Ob es nun Unwissenheit oder Dummheit war, die Simunic da geritten hat, die Geschichte ist für den kroatischen WM-Tross jedenfalls ein nachhaltiges Ärgernis.

Sie wollten ja gerade nicht mehr als die hochbegabte Chaostruppe der Vergangenheit auftreten. Sondern als wohl organisierte Einheit, angeführt von dem Brüderpaar Niko Kovac (als Cheftrainer) und Robert Kovac (als Assistent). Beide sind in Berlin aufgewachsen und halten viel von der sprichwörtlichen deutschen Disziplin. Verordnete Seriosität lautet die Devise. Da stört die Debatte um Simunics Kriegsgejaule genauso wie das Gezerre um den wechselwilligen Bayern-Stürmer Mandzukic, der sich kurz vor dem WM-Auftakt via Zeitungsinterview selbst auf den Transfermarkt setzte; der AC Mailand mit seinem neuen Trainer Filippo Inzaghi gilt aktuellen Gerüchten zufolge als potenzieller neuer Arbeitgeber.

"Wichtig ist die Statistik"

Ivica Olic wirkt dagegen so seriös, dass er glatt der dritte Kovac-Bruder sein könnte. Einer, der in seinem zwölften Jahr als Nationalspieler die Debatten eher abfedert, anstatt sie zu befeuern. Er hat nach einer glänzenden Bundesliga-Saison seinen Frieden mit einem Karriere-Ende in Wolfsburg gemacht. Nach einer zwischenzeitlichen Schwächephase spielte er zuletzt wieder so, als ob er von einer Art Alters-Leichtigkeit erfasst worden wäre. Auch deshalb ist Olic, der Friedensminister, so wichtig für diese nicht mehr ganz junge kroatische Nationalmannschaft.

Dabei böten sich wahrscheinlich genügend Streitanlässe. Es ist ja nie unkompliziert, wenn man einen Vorgesetzten hat, der jahrelang ein Kollege war. Im bislang letzten kroatischen WM-Spiel, beim Turnier 2006 in Deutschland, standen Ivica Olic und Niko Kovac noch gemeinsam auf dem Platz. "Niko und ich sind Freunde", berichtet Olic, "und wir werden Freunde bleiben. Ich kann vielleicht meine Meinung sagen, weil ich ihn lange kenne. Aber jetzt ist er mein Boss. Ich muss genau so wie die anderen ins Bett, wenn er sagt: Bettruhe!"

Das will schon was heißen, wenn dieser Olic klaglos zu Bette geht. Wer seine Arbeitsweise kennt, der weiß, dass er kein Mann ist, der lange stillhalten kann. Er ist auch mit Mitte 30 noch der nimmermüde Wuselstürmer, der er immer schon war. Der deutsche Angriffsveteran Miroslav Klose, 36, hält sich bekanntlich mit Eisbädern und einer asketischen Lebensweise auf Trab. Ivica Olic lächelt, wie das nur wenige können, mit den Augen, wenn man ihn nach seinen Verjüngungsstrategien fragt. Er will mal so sagen: "Ich mache alles genau so wie mit 25. Ich frage nach jedem Spiel: Wie viel bin ich gelaufen? Und wie viele Sprints habe ich dabei gehabt? Und wenn ich dann sehe, dass ich wieder unter den Top Drei in der Mannschaft bin, dann weiß ich, dass das Alter nicht wichtig ist. Wichtig ist die Statistik."

Statistisch gesehen war Ivica Olic im Jahr 2014 bislang in jedem seiner Pflichtspiele an einem Tor beteiligt.

© SZ vom 12.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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