Ski alpin:Weidle würzt mit mehr Risiko

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Mit Tempo und Selbstvertrauen: Kira Weidle überzeugt im ersten Super-G in St. Anton als Siebte. (Foto: Christophe Pallot/Zoom/Getty)

Kira Weidle war bislang in der Abfahrt in der Weltelite unterwegs. In St. Anton bekräftigt sie, dass auch im Super-G Spitzenplätze möglich sind - auch, weil sie sich dezent an einer waghalsigen Konkurrentin orientiert.

Von Johannes Knuth, St. Anton

Manchmal flirtet auch Kira Weidle so richtig mit dem Risiko. Dann lugt sie zu Sofia Goggia, der Italienerin, die in den rasanten Alpinrennen fast immer mit dem Feuer spielt - und oft genug hineinlangt. "Was man sich schon abschauen kann, ist, wie sie in so ein Rennen reingeht", sagt Weidle, sie meint: mit allem, was man hat. Wenn sie nur ein wenig davon auf sich abfärben lassen würde, findet Weidle, "dann würde es schon gut stimmen".

Wer sich Goggia als Vorbild nimmt, das weiß Weidle natürlich, spielt auch mit dem Feuer. Vor einem Monat brach sich die Italienerin in St. Moritz zwei Finger, am Tag darauf klebte sie sich den Skistock an die blutige Hand, sie gewann dann halt die zweite Abfahrt. In St. Anton, am vergangenen Wochenende, stauchte es Goggia nun so zusammen, dass es sie aus dem Kurs warf. Später schritt sie durch den Zielbereich, fester Blick, ein Pflaster auf dem Kinn, das Rennen am Sonntag verpasste sie. Das gehört bei ihr dazu: Irgendwas ist immer.

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Und Kira Weidle: Die federte am Samstag, nach dem ersten Super-G des Wochenendes, von Mikrofon zu Mikrofon, nie ohne ihr Lächeln. Als Federica Brignone, die Siegerin aus Italien, die Deutsche umarmte, wirkte das ein wenig wie ein "Willkommen bei den Besten". Platz sieben, so gut war Weidle erst einmal im Super-G gewesen; Rang drei war nur Sekundenbruchteile entfernt. Und auch wenn es Weidle am Sonntag im zweiten Super-G, bei schlechterer Sicht und auf schmierigem Grund auf Rang 18 zurückwarf, hielt der Stopp am Arlberg eine erfreuliche Botschaft für den deutschen Skiverband parat: dass eine seiner wenigen Spitzenkräfte bei den Alpinen sich in einer zweiten Disziplin für die Spitzenplätze anmeldet, pünktlich zur Hauptsaison.

Kira Weidle vom SC Starnberg ist 26, sie ist die WM-Zweite von 2021, fünf Mal stand sie im Weltcup auf dem Podest, das ist schon viel für eine in ihrem Alter. Sie hat sich das alles freilich in der Abfahrt erarbeitet, der Königsdisziplin, im Super-G hielt sie oft etwas Abstand zu den Besten, manchmal etwas mehr. Im Super-G geht es schon auch rasant zu, die Tore stehen aber, grob gesagt, enger beieinander, Beine und Kopf müssen noch schneller arbeiten. Da sind oft die vorne, die sich im noch kurvigeren Riesenslalom eine vorzügliche Technik antrainiert haben, man sah das in St. Anton bei den Tagessiegerinnen Brignone und Lara Gut-Behrami.

Platz sieben - das soll für Weidle im Super-G zur Gewohnheit werden

Andreas Puelacher, seit diesem Winter der Cheftrainer der DSV-Fahrerinnen, blickt noch mit dem Auge des Neuen auf Weidle; zugleich fischt er aus einem Wissensteich, der sehr tief reicht. An den Fertigkeiten im Kurvenfahren liege es nicht, findet er, oder nicht mehr. "Sie traut sich es im Rennen noch zu wenig zu", sagte er in St. Anton, er meint: Wenn Weidle zum Beispiel auf eine Kuppe zusteuert, das Tor dahinter nicht sieht - dann sticht sie nicht immer mit voller Kraft in den Hang. Anders als in der Abfahrt sind einem Super-G keine Trainingsläufe vorgeschaltet, die Fahrerinnen inspizieren den Kurs und müssen ihre Fahrten dann sofort mit genug Mut würzen - einer Prise Goggia, wenn man will. Auch deshalb hatte Puelacher Weidle vor der Saison mit den Männern trainieren lassen - sie habe viel darüber gelernt, sagte sie später, wie man schon bei der Inspektion erkenne, wie viel Risiko man später nehmen könne. "Wenn sie das hinkriegt", sagte Puelacher nun, könne Weidle "im Super-G so schnell wie in der Abfahrt sein".

Manchmal braucht es nur einen Funken, dann entzündet sich ein Feuer, wo man vorher im Dunkeln tappte. Am Samstag in St. Anton etwa: Da preschte Weidle durch den schnelleren oberen Teil, und im unteren, der vor allem am Sonntag einem rasanten Riesenslalom auf einer kleinen Buckelpiste glich, stach sie in jeden Schwung hinein, mit voller Kraft. Warum es diesmal klappte? "Ich weiß aus dem Training ja, dass ich schnell sein kann", sagte Weidle, da hält sie mit den Weltbesten mit, mit denen man auch mal eine Piste teilt, mit einer Sofia Goggia zum Beispiel. "Aber die Ergebnisse fehlen mir einfach noch", sagte Weidle, oder besser: Sie fehlten bis jetzt. Platz sieben, "das soll der Standard werden", sagte sie, mindestens.

Keine, die "einfach drauflos brennt": Kira Weidle ist geduldig in die Weltspitze vorgestoßen. (Foto: Johann Groder/dpa)

Weidle wird das so vorantreiben, wie sie es immer in ihrer Karriere getan hat, Schritt für Schritt. "Das ist vielleicht auch Persönlichkeitssache", sagt sie; sie ist keine "die alles links liegen lässt, einfach drauflos brennt". Sie denke "vielleicht manchmal ein bisschen zu viel nach", räumt sie ein; wenn sie bei der Einfahrt in den Steilhang schon darüber sinniere, was bei der Ausfahrt sein könnte, statt dem Moment alle Kräfte zu widmen. Was passiert, wenn ihr das gelingt, konnte man am Samstag besichtigen - und überhaupt in ihrer Karriere: über die Anfänge im Europacup bis zu den Erfolgen heute. "Es gab immer Höhen und Tiefen, aber grundsätzlich ging es immer nach oben", sagt Weidle. "Jetzt fehlen halt noch die letzten zwei Prozent."

Und jetzt? Der Januar, Anfang Februar, zwei Abfahrten und ein Super-G am nächsten Wochenende in Cortina d'Ampezzo, dann schon bald die WM - "das ist so ein bisschen meine Zeit", sagt Weidle. "Am Saisonanfang sind noch ein paar Unsicherheiten da. Wenn ich die ad acta gelegt habe, kann man durchstarten." Dann auch mit der richtigen Prise Risiko.

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