Abschied von der Nationalelf:Ballack bescheinigt Löw "Scheinheiligkeit"

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Gegenattacke vom ausgebooteten "Capitano": Michael Ballack verzichtet auf das ihm angebotene Abschiedsspiel im Nationaltrikot und Bundestrainer Joachim Löw massiv. Der reagiert gelassen. Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus hat hingegen seine ganz eigene Meinung.

Michael Ballack hat Bundestrainer Joachim Löw Scheinheiligkeit vorgeworfen und das ihm angebotene Abschiedsspiel gegen Brasilien wie erwartet abgelehnt. Einen Tag nach seiner Ausbootung aus der deutschen Nationalelf attackierte der 34-Jährige Löw heftig und empfand den vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) für den 10. September in Stuttgart gegen den Rekordweltmeister geplanten Abschied als einen Affront.

Entzweit: Spieler Ballack und Trainer Löw, hier bei einem gemeinsamen Auftritt im Jahre 2006. (Foto: AFP)

"Ein längst vereinbartes Freundschaftsspiel jetzt als Abschied zu deklarieren, ist aus meiner Sicht eine Farce. Ich weiß, dass ich meinen Fans dieses Spiel eigentlich schuldig bin, aber ich kann dieses Angebot nicht annehmen", hieß es in einer Erklärung, die Ballacks Berater Michael Becker über eine Hamburger Kanzlei verbreiten ließ: "Ich habe gestern im Urlaub durch eine Pressemitteilung erfahren, dass der Bundestrainer nicht mehr mit mir plant. Form und Inhalt der Mitteilung sind leider bezeichnend dafür, wie sich der Bundestrainer mir gegenüber seit meiner schweren Verletzung im Sommer letzten Jahres verhalten hat."

"Wenn jetzt so getan wird, als sei man mit mir und meiner Rolle als Kapitän der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft jederzeit offen und ehrlich umgegangen, ist das an Scheinheiligkeit nicht mehr zu überbieten", ließ Ballack erklären.

Der Mittelfeldspieler von Bayer Leverkusen bezichtigte den Bundestrainer sogar, die Unwahrheit gesagt zu haben. "Form und Inhalt der Nachricht überraschen und enttäuschen mich zugleich, weil sie die vom Bundestrainer mir gegenüber gemachten Aussagen in keinster Weise widerspiegeln", erklärte Ballack. Löw hatte am Donnerstag via Pressemitteilung erklärt, dass er nicht mehr mit Ballack plane.

Löw zufolge habe Ballack in einem Gespräch im März aber "durchaus Verständnis" für die Sichtweise der Nationalmannschaftsführung gezeigt. "Im Interesse aller ist eine ehrliche und klare Entscheidung angebracht", sagte Löw.

Diese Wahrnehmung verwies Ballack am Freitag ins Reich der Fabel. Zudem stößt ihm bitter auf, dass Löw in den vergangenen zwölf Monaten stets sagte: "Wenn Michael Ballack wieder fit ist, dann ist er auch mein Kapitän." Dabei war Ballacks Zeit im DFB-Team nach dem verletzungsbedingten WM-Aus offenbar längst abgelaufen.

Michael Ballack wird das Trikot der Nationalelf nicht mehr anziehen. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Bundestrainer Löw reagierte gelassen auf die harsche Kritik. "Ich weiß genau, was in meinen Gesprächen mit Michael besprochen wurde. An meinen Aussagen wird sich nichts ändern", ließ er am Samstag über den Deutschen Fußballbund mitteilen.

Löw nahm Ballack mit der Ausmusterung zudem die Chance, seine Laufbahn bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine mit einem internationalen Titel zu krönen. Zwar bot Löw ihm an, gegen Brasilien im August zum Abschied ein 99. Länderspiel für die DFB-Auswahl zu absolvieren, doch darauf hat Ballack keine Lust.

Der frühere Kapitän empfindet es als enttäuschend, dass er nun nicht mehr mit 100 oder mehr Länderspielen in den "Club der Hunderter" einziehen kann. Ballack ahnte bereits seit der WM 2010, die er nach einem Foul von Kevin Boateng im englischen Pokalfinale verletzungsbedingt verpasste, dass sich die Nationalelf von ihm emanzipiert hatte.

Ganz deutlich wurde das zuletzt wieder bei der Nominierung für die EM-Qualifikationsspiele gegen Österreich und Aserbaidschan, als Löw trotz großer Personalnot im defensiven Mittelfeld einen Benedikt Höwedes oder Sebastian Rudy bevorzugte.

Verständnis für den Frust des gebürtigen Görlitzers zeigte auch die zweimalige Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt. Die Vorsitzende des Kuratoriums der Bewerbungsgesellschaft München 2018 bedauerte die Art und Weise des Karriereendes von Ballack in der Nationalmannschaft. "Michael Ballack kann auf eine großartige Karriere stolz zurückblicken, aber es ist natürlich immer besser, wenn man als Leistungssportler selbst den Abschied bestimmen kann", sagte Witt.

Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus unterstrich dagegen, dass Löw die richtige Entscheidung getroffen habe. "Man hat gesehen, dass die Nationalelf auch ohne ihn stark ist, und man will die Entwicklung dieser Mannschaft nicht stören. Ich an seiner Stelle würde das Abschiedsspiel spielen, denn er würde mit Standing Ovations verabschiedet", sagte Matthäus.

Der DFB blieb bislang zurückhaltend, trotz Ballack-Kritik. "Es ist schade, dass Michael jetzt so reagiert hat. Seit Ende März stand der Bundestrainer ständig mit ihm in Kontakt und hat in aller Offenheit mit Michael über seine sportliche Situation geredet, weil er das verdient hat", teilte DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach am Freitagabend mit.

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