Albertville, Lillehammer, Nagano, Salt Lake City, Turin, Sotschi, Pyeongchang. 1992, 1994, 1998, 2002, 2006, 2014 und 2018. Es sind die siebten Olympischen Spiele, an denen Claudia Pechstein, 45, in Südkorea teilnimmt. Sie ist mit fünfmal Gold, zweimal Silber und zweimal Bronze die erfolgreichste deutsche Winterolympionikin überhaupt. Und eine streitbare Figur ist sie auch.
Mit drei Jahren steht die gebürtige Berlinerin erstmals auf Schlittschuhen. Sie versucht sich im Eiskunstlauf, wechselt aber bald zu den Eissschnellläufern. Sie macht mit der Silbermedaille bei der Junioren-WM auf sich aufmerksam, und 1992, mit gerade 19 Jahren, ist sie schon gut genug für ihre ersten Olympischen Spiele im französischen Albertville. Dort gewinnt sie Bronze über 5000 Meter - eine große Überraschung.
1994 im norwegischen Lillehammer gewinnt Pechstein ihre erste Goldmedaille über 5000 Meter, außerdem gewinnt sie Bronze über 3000 Meter. Als Belohnung für den großen Erfolg darf sie bei der Abschlussfeier der Spiele die deutsche Fahne tragen.
Nagano, 1998: Pechstein gewinnt Silber über 3000 und Gold über 5000 Meter. Im Finale stellt sie einen Weltrekord auf, nachdem im selben Rennen ihre deutsche Rivalin Gunda Niemann-Stirnemann erstmals die 5000 Meter in unter sieben Minuten absolviert hatte. Eine kleine Sensation.
Niemann-Stirnemann ist Pechsteins große Konkurrentin in den Jahren bis 2002, doch sie verpasst die Spiele in Salt Lake City, weil sie schwanger wird. Die nächste große Eisschnellläuferin steht allerdings schon bereit: Anni Friesinger (links im Bild) aus Inzell. Sie provoziert Pechstein gleich zum Einstand, als sie Athleten aus dem Osten ein "engstirniges Trainingssystem" unterstellt. Das Verhältnis zwischen Pechstein und Friesinger ist von Beginn an unterkühlt. In Salt Lake City gewinnt Friesinger Gold über 1500 Meter, Pechstein wiederum wird Olympiasiegerin über 3000 und 5000 Meter.
"Anni und ich, wir respektieren uns. Aber es ist nicht so, dass ich mit ihr Kaffee trinken gehen möchte", sagt Pechstein über Friesinger im FAZ-Interview nach den Spielen 2002. Aber es hilft ja nichts, sie sind die besten deutschen Eisschnellläuferinnen und gehen beide in Turin 2006 wieder an den Start. Dort gewinnen sie die Goldmedaille im Teamwettbewerb (unter anderem mit Daniela Anschütz-Thoms, links im Bild), Pechstein holt außerdem Silber über 5000 Meter.
Es ist die große Kunst von Claudia Pechstein, so interpretieren es die Beobachter, alle vier Jahre auf den Punkt fit zu sein. Sie ist auch bei Europa- und Weltmeisterschaften erfolgreich, aber besonders bei Olympia beeindruckt die Berlinerin jedes Mal aufs Neue. In Turin ist sie durch eine allergische Reaktion geschwächt - und freut sich deshalb über den zweiten Platz über 5000 Meter umso mehr.
Der Wendepunkt in Pechsteins Karriere folgt im Jahr 2009. Die Internationale Eislaufunion (ISU) teilt nach der WM in Hamar mit, bei Pechstein sei ein erhöhter Wert von jungen Blutkörperchen festgestellt worden, sogenannte Retikulozyten. Die Athletin wird zwei Jahre gesperrt. Pechstein beteuert ihre Unschuld und wehrt sich juristisch - doch der Internationale Sportgerichtshof Cas belässt es bei der zweijährigen Sperre bis 2011.
Ein Eilantrag von Pechstein beim Schweizer Bundesgericht (in Lausanne sitzt der Internationale Sportgerichtshof Cas) hat allerdings Erfolg: Die Athletin darf beim Weltcup in Salt Lake City starten. Doch sie trägt den juristischen Streit wie eine schwere Last mit sich - und verpasst mit schwachen Leistungen die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Vancouver 2010.
Pechstein kämpft um ihren Ruf. Ihre auffälligen Blutwerte seien auf ein natürliches Anwachsen der Retikulozyten zurückzuführen, lautet ihre These. Sie verweist auf Gutachten der Diagnose einer hereditären Sphärozytose und klagt auf Schadenersatz. Trotzdem bleiben Fragen: Warum setzte sie, als die Dopingvorwürfe aufkamen, zunächst auf eine "Notlüge" (O-Ton Pechstein) und erfand eine Erkältung, um ihre überstürzte Abreise vom Wettkampf zu erklären? Im Bild: Pechstein vor dem Oberlandesgericht in München.
Sotschi 2014: Pechsteins sechste Spiele. Sie darf antreten, weil der Cas bereits 2011 die IOC-Regel aufgehoben hatte, wonach Athleten die wegen Dopings für mehr als sechs Monate gesperrt wurden, auch nach Ablauf ihrer Sperre an den folgenden Olympischen Spielen nicht teilnehmen dürfen. Pechstein verpasst eine Medaille, doch sie erringt später einen wichtigeren Sieg: Ein Urteil des OLG München bestätigt die Zulässigkeit der Schadensersatzklage von Pechstein gegen die ISU. Sie sagt, die Entscheidung "ist mehr wert als alle meine Olympiamedaillen zusammen". Der Rechtsstreit geht weiter.
Pyeongchang 2018, die siebten Olympischen Spiele für Pechstein. Sie verpasst einen letzten Triumph auf der großen Bühne, in ihrer Lieblingsdisziplin über 5000 Meter schafft sie es nicht unter die besten drei. Sie kann sich trösten mit insgesamt neun olympischen Medaillen in ihrer langen Karriere.