Kanurennsport:Im Kampf mit Moby Dick

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Für Normen Weber (links) und Tim Heilinger hat es im Zweier-Canadier nicht gereicht, letztlich fehlte eine Sekunde für eine Medaille. (Foto: Marianne Stenglein/Privat/oh)

Bei der Sprint Weltmeisterschaft im Kanu-Slalom im Eiskanal von Augsburg bleiben die Deutschen hinter den Erwartungen zurück. Eine Gold- und eine Silbermedaille in den Teamwettbewerben zeigen deutlich den Abstand zur Topnationen Frankreich.

Von Thomas Becker

"Fuzzy Kauder Silber, Gisela Grothaus Silber, Magdalena Wunderlich Bronze." Klaus Wäschle hat sie alle noch parat, die Helden von 1972, er war nämlich dabei, "bei all den DDR-Siegen - die haben ja alle Bootsklassen gewonnen". Mit 22 war er Pressechef der olympischen Kanu-Wettbewerbe: "Ein Raum, 50 Tische, 50 Reise-Schreibmaschinen: Das war das Pressezentrum", erinnert er sich, "über ein Dutzend Telefonzellen haben die Kollegen ihre Geschichten durchtelefoniert. Einen einzigen Computer mit Zugang zu einem Archiv gab es. Da haben alle nach dem Zweitplatzierten Norbert Sattler aus Österreich gesucht - den kannte keiner." Heute ist jede Info in Sekunden zur Hand - wobei: Fragt man Wäschle wie schnell die Ergebnisse im Netz stehen, sagt er: "Ich ruf' lieber an. Geht schneller."

Ein halbes Jahrhundert nach Olympia, ein Jahr nach der Heim-WM und eine Woche nach dem Slalom-Weltcup findet nun also mit der Sprint-WM das nächste Großereignis am denkmalgeschützten Eiskanal statt, mit 50 Athleten aus 20 Nationen. Eigentlich hätte es in China stattfinden sollen, doch dass dies wegen Corona abgesagt wurde, trieb niemandem Tränen in die Augen. "Es gab einen Aufschrei, als die Wahl auf Augsburg als Ersatz-Austragungsort fiel", erzählt Bundestrainer Gregor Simon, der 2011 hier bei der ersten Sprint-WM selbst um WM-Medaillen gepaddelt war: "China betreibt offiziell gar keinen Wildwasser-Rennsport - wer weiß, was für eine Strecke die ausgesucht hätten." Dann lieber auf dem guten, alten, im Vorjahr renovierten Eiskanal am Lech. Seit dabei das Moos von den Felsen gekratzt wurde, soll das Wasser noch schneller sein.

Der rund 300 Meter lange Sprint - einst nur erfunden, um olympisch zu werden, was nie geklappt hat - ist neben dem acht bis 20 Minuten dauernden Klassik-Wettbewerb die spektakulärere Disziplin. Die Ideallinie ist kaum breiter als 20, 30 Zentimeter, trotz der Rhythmuswechsel muss man Linie und Takt halten. "Waschmaschine" und "Restaurantwalze" heißen die forderndsten Weißwasser-Passagen, "Moby Dick" der mächtige Fels, der mitten in der Ideallinie lauert. Die vielen Rettungsschwimmer entlang der Strecke sind keine Deko: Bei einem Vorlauf fischen sie eine havarierte Athletin aus dem 18 Grad kalten Wasser. "Wir reden immer von Sprint, aber eigentlich ist es eine Mittelstrecken-Distanz, wie ein 400-Meter-Lauf", findet Bundestrainer Simon und führt Yannic Lemmen an, dem im Kajak-Einer mit exakt einer Minute die Vorlaufbestzeit gelungen war: "Bei ihm konnte man genau sehen: Ab der letzten Kurve vor dem Ziel war der blau."

Ein Fehler, den er in 50 Rennen nur einmal macht, kostete Lokalmatador Normen Weber eine Medaille

Dennoch konnte Simon nach den Vorläufen zufrieden sein: 14 Athletinnen und Athleten qualifizierten sich für die Finals. Tags darauf sah es nicht mehr so rosig aus: Sowohl in den Einzelwettbewerben als auch im Zweier-Canadier blieb das deutsche Team ohne Medaille. "Mit so vielen Teilnehmern in den Finals erhofft man sich schon die eine oder andere Medaille. Lemmen hatte nur einen kleinen Fahrfehler, aber der genügte, um auf Platz fünf zurückzufallen", resümierte der Bundestrainers. Und Lemmen klagte: "Es ist besonders mental sehr schwierig, zwei Rennen so kurz hintereinander zu gewinnen. Und die Spitze ist so eng beieinander." Seine Zeit aus der Qualifikation hätte für Silber gereicht.

Eine Medaille hatte sich auch Lokalmatador Normen Weber erhofft: "Ich hatte einen Fahrfehler, den ich in 50 Rennen nur einmal mache. Mein Arm ist schwer geworden, ich habe zwei weitere Wellen nicht so erwischt, wie ich wollte, und dadurch vielleicht Platz drei verschenkt." Mit Tim Heilinger wollte es der 37-Jährige, der 2017 schon mal seinen Rücktritt erklärt hatte, dann im Zweier-Canadier noch einmal wissen, aber auch da fehlte eine Sekunde.

Bei den Frauen war einzig Sabine Füsser zufrieden: "Ganz ehrlich, ich bin 48 und stehe bei einer WM im Finale und schließe als beste Deutsche ab. Von der großartigen Stimmung habe ich wenig mitbekommen, weil ich voll im Tunnel war." Das beste deutsche Ergebnis gelang Sabrina Barm mit Constanze Feine im Zweier-Canadier: "Wenn man ins Ziel kommt und es leuchtet die eins auf, hofft man auf eine Medaille und ist enttäuscht, wenn es Rang vier wird", klagte Barm. Erst im Teamwettbewerb verbesserte sich die deutsche Bilanz: Weber holte sich bei seinem dritten Start Gold im Canadier-Team mit Tim Heilinger und Ole Schwarz, sein fünfter WM-Titel. Ebenso glücklich über Silber: Yannic Lemmen, Björn Beerschwenger und Marcel Blum. Es war Lemmens letzte Medaille: Der 28-jährige Düsseldorfer beendet seine Karriere.

Stärkste Nation war Frankreich mit fünfmal Gold, dreimal Silber und viermal Bronze, was Chef-Trainer Pierre Michel Crochet so erklärte: "Wildwasser Abfahrt ist in Frankreich sehr populär, es gibt genügend Nachwuchs. Deshalb können wir unsere Teams auch immer ganz gut erneuern." Sein deutscher Kollege kann nur neidvoll nach Frankreich, Slowenien und Tschechien schauen: "Die sind früh komplett auf Sprint gegangen, bekommen viel Förderung. Wir haben etwas später mit der Entwicklung angefangen, müssen zum Training immer weit fahren." Das tut die Konkurrenz aber auch: Die Franzosen trainierten im Mai fern der Heimat: am Augsburger Eiskanal.

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