Rücktritt von Julia Görges:"Liebes Tennis, ich bin bereit, mich von dir zu verabschieden"

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Julia Görges Ende 2017, als sie ihre erfolgreichsten Monate hatte (Foto: imago images/Imaginechina)

Eine der talentiertesten Spielerinnen im deutschen Tennis hört auf. Der Abschied von Julia Görges kommt plötzlich - passt aber ins Bild einer aufgeräumten und selbstbestimmten Sportlerin.

Von Lisa Sonnabend

Es ist erst ein paar Monate her, da sprach Julia Görges über ihre Zukunft im Tennis. Sie wolle noch eine Weile spielen, kündigte sie im Dezember an, "Richtung zwei, drei Jahre". Doch nun hat die 31-Jährige es sich anders überlegt. Am Mittwochabend veröffentlichte sie überraschend ein Statement. "Liebes Tennis", heißt es darin, "ich schreibe dir diese Zeilen, weil ich bereit bin, mich von dir zu verabschieden." Es sind emotionale und persönliche Sätze, aber auch leise. Görges hat für ihr Karriereende keine monatelange Abschiedstournee geplant, sie ist nun plötzlich weg. Die Anteilnahme ist dennoch groß - die Internetseite der Spielerin brach sogleich zusammen. Angelique Kerber gratulierte ihr "zu einer großartigen Karriere", Andrea Petkovic richtete Görges aus: "Ich werde dich so vermissen." Und Sabine Lisicki schrieb in den sozialen Medien: "Neeeeein Jule!"

Görges gehörte der sogenannten goldenen Generation an. In den vergangenen 15 Jahren prägte sie mit Kerber, Petkovic und Lisicki das deutsche Tennis, meistens war zumindest eine der vier Spielerinnen unter den Top Ten der Weltrangliste, die dreimalige Grand-Slam-Siegerin Kerber schaffte es sogar bis ganz an die Spitze. Görges war nicht die erfolgreichste von ihnen, aber die wohl talentierteste.

Görges hatte zuletzt immer wieder Neuanfänge gewagt

Die 1,80 Meter große Sportlerin war eine offensive und intelligente Spielerin. Ihr Aufschlag galt als einer der stärksten auf der Tour, Volleys spielte sie mit Gefühl, Grundlinienschläge mit Power. Das Einzige, das ihr fehlte, um ganz nach oben zu kommen: Konstanz. Nach einem starken Match unterliefen ihr oft im nächsten zu viele Fehler, manchmal dachte sie auch einfach zu viel nach auf dem Platz.

Tennisspielerin Julia Görges
:Aus Bad Oldesloe auf den Centre Court

Julia Görges galt schon früh als kommende Frau der deutschen Tennisszene, ihren größten Erfolg hatte sie in Wimbledon - jetzt hört sie auf. Ihre Karriere in Bildern.

Ihre Karrierebilanz ist dennoch beachtlich: Sieben Turniere im Einzel gewann Görges insgesamt, elf im Doppel. 2011 holte die damals 22-Jährige den Titel in Stuttgart, ihre bedeutendste Trophäe. 2014 erreichte sie mit dem Fed-Cup-Team das Finale. Vor zwei Jahren stürmte sie in Wimbledon bis ins Halbfinale; dort verlor sie gegen Serena Williams, weil sie ein bisschen zu aufgeregt war. Es waren ihre erfolgreichsten Monate, sie kletterte auf Rang neun der Weltrangliste.

Zuletzt hatte Görges immer wieder Neuanfänge gewagt. Vor einem Jahr trennte sie sich von ihrem Team um ihren langjährigen Trainer Michael Geserer und Physiotherapeut Florian Zitzelsberger, der auch ihr Lebensgefährte gewesen war. Die Spielerin, die aus Bad Oldesloe im Schleswig-Holstein stammt, verlegte ihren Mittelpunkt von Regensburg nach Oberhaching bei München, wo sie mit Jens Gerlach trainierte. Im Sommer heuerte sie dann Raemon Sluiter an, der derzeit als einer der besten Trainer gilt, sie verbrachte nun viel Zeit in den Niederlanden, sie feilte noch einmal akribisch an Details. Bis auf Platz 45 der Weltrangliste war sie abgerutscht, sie wollte wieder angreifen, doch es gelang ihr nicht recht. Bei lediglich zwei Turnieren nahm sie nach der Coronavirus-Pause teil: In Rom verlor sie in der ersten Runde, beim Grand-Slam-Turnier in Paris in der zweiten Runde in einer umkämpften Partie gegen Laura Siegemund. Was damals noch niemand ahnte, womöglich nicht einmal sie selbst: Es war ihr letztes Match.

Nach dem Rücktritt sagte die deutsche Teamchefin Barbara Rittner, er löse bei ihr "eine gewisse Wehmut aus". Görges ist die erste Spielerin aus dem erfolgreichen Quartett, die aufhört. Doch auch die anderen Spielerinnen sind alle bereits über 30 Jahre alt, ein mögliches Karriereende ist auch bei ihnen Thema. Kerber kommt seit einiger Zeit schon nicht mehr an ihre großen Erfolge heran, Petkovic arbeitet inzwischen nebenher als TV-Moderatorin und Lisicki plagen Verletzungen. Bei den French Open ließ nun zwar Siegemund mit ihrem Viertelfinaleinzug aufhorchen, sie ist aber bereits 32 Jahre alt. Potentielle Nachfolgerinnen sind keine auszumachen.

Während der Coronavirus-Pandemie hatte Görges zuletzt mehrmals darüber gesprochen, wie sie gemerkt habe, dass es Wichtigeres als Tennis gebe. Wie sie es genoss, endlich einmal nicht so viel zu reisen, Zeit für andere Dinge zu haben. Sie entfernte sich in dieser Zeit sicherlich bereits ein wenig von ihrem Sport.

Vom Tennis zur Buchhaltung?

Görges ist ein strukturierter und aufgeräumter Mensch, sie hat klare Vorstellungen, trifft Entscheidungen selbstbestimmt. Wenn sie zu einem Turnier reiste, plante sie vieles selbst: die Anreise, die Unterkunft. Sie entschied, ob sie nach einer Niederlage noch ein paar Tage vor Ort blieb, um sich die Stadt anzuschauen, oder ob es gleich wieder heimgehen sollte. Während der Pandemie ist dies nicht mehr möglich. Die Spieler werden bei den Turnieren in einem vorgegebenen Hotel untergebracht, sie dürfen die Anlage oft nicht einmal verlassen.

Es ist anzunehmen, dass Görges gerne noch ein paar Matches bestritten hätte. Doch im Gegensatz zur Männer-Tour, bei der in den kommenden Wochen weitergespielt wird, ist die Saison auf der WTA-Tour bereits beendet. "Es ist auf jeden Fall interessant zu sehen, was die Männer im Vergleich zu uns noch so haben", beschwerte sich Görges vor kurzem. "Unser Kalender ist schon recht nackt."

Erst 2021 geht es für die Tennisspielerinnen weiter - wie, das vermag derzeit niemand zu sagen. Görges hätte nun erneut für einen Neubeginn trainieren müssen. In ihrer Abschiedserklärung schreibt sie: "Ich habe immer gewusst, dass ich es fühlen werde, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, Tschüss zu sagen - der Moment ist da." Sie hat einmal mehr selbstbestimmt entschieden. Was sie nun machen will? Neulich sagte sie einmal: Sie interessiere sich sehr für Buchhaltung.

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