Basketball:Der verschwundene Zweitligist

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Im Mai 2018 wäre Jahn München, hier mit Leonie Fiebich am Ball im Spiel gegen Speyer-Schifferstadt, fast in die erste Bundesliga aufgestiegen. (Foto: Claus Schunk)

Jahn München hat zwei aktuelle Nationalspielerinnen herausgebracht, nach mehr als zehn Jahren aber die Profilizenz seines Frauenteams verkauft und sich in die Drittklassigkeit zurückgezogen. Ohne Groll arbeitet der Verein nun am Neuaufbau.

Von Andreas Liebmann

0,4 Sekunden ließen keine Zeit für Wehmut. Ball einwerfen, Ball fangen, ihn im Sprung sofort wieder Richtung Brett schleudern und dann bangen - das alles in einer Zeitspanne, in der selbst ein Kolibri nur zehn bis 20 Flügelschläge hinbekommt, je nach Größe und Tagesform.

Als Basketballerin ist Leonie Fiebich eindeutig größer als ein Kolibri, die Tagesform der Nationalspielerin aber war hervorragend, und als sie das Unmögliche geschafft hatte, als der Ball tatsächlich mit Ablauf der Uhr noch den Weg ins Netz eingeschlagen hatte, war da erst mal nur Jubel: Emily Bessoir hüpfte an der Dreierlinie mit beiden Beinen in die Luft wie ein Flummi und wirbelte ungläubig ihre Fäuste umher, und auch bei der TS Jahn München im fernen Oberbayern war die Freude riesig, versichert Armin Sperber.

Fiebichs 0,4-Sekunden-Heldentat hatte das deutsche Basketball-Nationalteam bei der EM in Slowenien Ende Juni zunächst in die Verlängerung gegen Tschechien gebracht und dann zu einem Zittersieg, der die Teilnahme an der Olympia-Qualifikation sicherte. Natürlich freute sich Sperber kräftig mit, schließlich hat er beide früher in München trainiert, Fiebich und Bessoir (die übrigens auch deutlich größer als ein Flummi ist).

Armin Sperber verantwortet seit Kurzem als Sportwart wieder den weiblichen Bereich der TS-Jahn-Basketballer, jener Abteilung, in der Fiebich und Bessoir ihre größten Jugenderfolge feierten und ihre ersten Bundesligaspiele bestritten; einem etablierten Frauen-Zweitligisten, der in der neuen Saison - Augenblick, kurz mal nachgeschaut... nanu? - gar kein Zweitligist mehr ist? Kann das sein?

"Die Abteilung blüht", versichert Sperber, aber stimmt schon: Sie blüht nicht mehr in der zweiten Liga. Die TS Jahn hat sich im Sommer leise von dort zurückgezogen. Mitte Mai hatte er das bereits auf der Vereinshomepage verkündet. In jener kleinen Saisonrückschau ging es zunächst um die weibliche U12 mit den Übungsleiterinnen Leonie Kambach und Theresa Spatzier, einige Jugendberichte weiter unten stand dann, immerhin fett gedruckt: "Erstmals seit mehr als zehn Jahren Teilnahme an der Zweiten Bundesliga der Damen meldet Jahn nicht mehr in dieser Spielklasse." Das war es. Ein geräuschloses Ende, das Sperber aber keineswegs in große Trauer stürzt.

Fiebich und Bessoir, das war immer klar, waren viel zu gut, um in der zweiten Liga zu bleiben

Ein bisschen Wehmut hätte man dem Sportwart durchaus zugestehen können in dieser Lage, in der beim Jahn eine Ära endete, just während die zwei größten Talente der jüngeren Vergangenheit im Nationalteam Furore machten. Doch selbst wenn Sperber 0,4 Jahre für diesen einen Gedanken Zeit gehabt hätte statt 0,4 Sekunden - er wollte einfach nicht aufkommen. Schon deshalb, weil ja von Anfang an klar gewesen sei, dass die Landsbergerin Fiebich, die inzwischen Liga-MVP in Spanien wurde, und die Münchnerin Bessoir, die College-Basketball an der renommierten UCLA spielt, viel zu gut waren, um auf Dauer Zweitligabasketball zu spielen.

Deutsche Meister: Jahn München erobert den Titel in der Jugend-Bundesliga WNBL. (Foto: Frank Burger / oh)

Es gibt noch ein Foto von ihm aus dem Jahr 2018, um Sperbers Hals hängt das Netz, das seine Spielerinnen zuvor vom Korb geschnitten hatten, die Brillengläser sind nass von einer Mineralwasserdusche. Deutsche Meister in der Jugend-Bundesliga WNBL waren sie geworden, mit Sperber als Coach und angeführt von ihren Ausnahmetalenten Fiebich und Bessoir. Trotz der Erfolge aus den Vorjahren war das eine Überraschung. Es war überhaupt das erfolgreichste Jahr des Vereins: Nur zwei Wochen später unterlag das Frauenteam der Turnerschaft Jahn München, ebenfalls mit den beiden Teenagern, im entscheidenden dritten Spiel um den Aufstieg in die erste Liga 59:64 bei den Eisvögeln Freiburg. Auch wenn es ein Wagnis gewesen wäre, sie hätten den Schritt nach oben damals wohl gemacht, und das nach Jahren, in denen ihnen der Sponsor abgesprungen war, weshalb die Spielerinnen Klinken geputzt hatten, um Geld aufzutreiben, und in denen ihr Teamname unter den Sponsoren verlost wurde, weshalb sie zunächst wie ein Reisebüro hießen und danach wie eine Estrich-Firma. Letztere blieb dann länger als Geldgeber, so nah an die erste Liga aber kam der Jahn danach nicht mehr.

Was zuletzt geschah, ist gar nicht so selten im semiprofessionellen Sport, wo eine gute Jugendarbeit eine Voraussetzung sein kann bei der Sicherung der eigenen Zukunft, aber noch lange keine Garantie. Viele aus dem erfolgreichen Jahrgang zogen zum Studieren weg, einige gingen auch ans College. Kreuzbandriss, Promotion, Modellaufbahn, die Liste der Abschiede wurde immer länger. "Letztes Jahr hatten wir plötzlich nur noch fünf erwachsene Frauen", fasst Sperber zusammen. Das aktuelle U18-Bundesligateam sprang ein, half den Klassenerhalt zu sichern, dann kündigten auch die letzten verbliebenen Stammkräfte ihren Fortgang an. Leonie Kambach probiert es nun bei Nördlingen in der ersten Liga, Theresa Spatzier ist beim Lokalrivalen gelandet. "Zäh" sei dieses Jahr gewesen, sagt Sperber, und künftig nur mit 16- bis 18-Jährigen in der zweiten Liga der Frauen anzutreten, wollte niemand. "Die hätten wir da verbrannt."

Die Männer sind nun das Aushängeschild, sie haben sich in die erste Regionalliga emporgearbeitet

Er sieht die Entwicklung gelassen, "ohne Groll", wie er sagt. Die Lizenz habe man noch zu Geld machen können, in Neuss fand sich ein dankbarer Abnehmer, und nun betreibe man eben den Neuaufbau. "Der Förderverein ist nicht pleite", versichert Sperber, womit er sagen will, dass die zweite Liga durchaus schnell wieder zur Option werden könnte, sobald genügend Spielerinnen das passende Alter erreicht haben. Derweil freut sich der Verein über seine Männer, die nach dem sechsten Aufstieg seit 2016 nun in der ersten Regionalliga spielen. Im ersten Heimspiel in dieser Klasse seit 1988 gab es einen Sieg gegen die Haching Baskets.

Ach ja, apropos Lokalrivale: Seit dieser Saison spielt der Aufsteiger München Basket in der zweiten Frauen-Bundesliga Süd. Schon vor Spatzier hatte sich dort eine Handvoll ehemaliger Jahn-Spielerinnen versammelt. Der ehemalige Jahn-Trainer Marco Moroder war nach Meinungsverschiedenheiten mit seinem alten Klub dorthin gewechselt und hatte sie mitgenommen. Auch das ist ein Teil der Geschichte, aber auch den erzähle er "ganz ohne Groll", versichert Sperber. Er lobt die Nachbarn: "Sie haben gut gearbeitet, sind frisch, haben neue Ideen und neuen Elan." Ihm sei nur wichtig, dass es insgesamt vorwärts gehe mit dem Frauenbasketball, nicht nur in München. "An diesem Pflänzchen gießen wir doch alle."

München Basket ist nach drei Spielen noch ungeschlagen. Und beim Jahn wollen sie nun so kräftig gießen, dass die vorerst ausgefallenen Zweitliga-Derbys vielleicht in naher Zukunft nachgeholt werden können.

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