Italiens Niederlage gegen Costa Rica:Erdrückt von der Affenhitze

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Her mit dem Wasser: Italiens Andrea Pirlo (Foto: REUTERS)

Italiens Nationalspieler wirken unter der Sonne von Recife so alt wie nie - beim 0:1 gegen Costa Rica hinterlassen sie einen erschöpften Eindruck. Die Niederlage gegen den dynamischen Außenseiter offenbart, dass die Squadra Azzurra neben den Gegnern vor allem das Klima in Brasilien fürchten muss.

Von Thomas Hummel, Recife

Lorenzo Insigne ist ein junger Kerl von 23 Jahren, er kommt aus Neapel. Dort wird es bisweilen heiß, sogar sehr heiß. Gut, es hat dort nicht die Luftfeuchtigkeit von Brasiliens Nordosten, aber die Hitze müsste einer wie Insigne gewohnt sein. Dennoch taumelte der Mittelfeldspieler über den Platz.

Er wirkte wir einer, der sich in die falsche Ecke der Welt verlaufen hat. Meistens stand er ohnehin einer Welt namens Abseits herum und wenn der Schiedsrichterassistent die Fahne ausnahmsweise mal nicht hob, dann ballerte dieser Insigne den Ball auf die Tribüne, dass zu Hause dem Heiligen San Gennaro das Wasser in die Augen stieg.

Vielleicht sind Spieler wie der gegen Costa Rica eingewechselte Insigne der Grund, weshalb kein Trainer sich in diesem Turnier bislang über das Wetter, das Klima beklagt. Niemand will der erste sein, der jammert. Keiner will ein Warmduscher respektive Kaltspieler sein. Der honorige Cesare Prandelli sowieso nicht. Wenn die WM in der Backofen-Wüste von Katar stattfinden würde, er würde immer noch sagen: Das sei keine Ausrede.

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Costa Rica gelingt die nächste Überraschung - und gewinnt auch gegen Italien. Das bedeutet: Das WM-Aus für England steht fest. Die Briten haben keine Chance mehr auf das Erreichen des Achtelfinals.

0:1 hat die italienische Mannschaft von Prandelli völlig überraschend gegen Costa Rica verloren. Seine Spieler wirkten unter der Sonne des nordöstlichen Bundesstaates Pernambuco so alt wie noch nie, so erschöpft, müde und verletzlich. Das Spiel begann um 13 Uhr unter einer stechenden Sonne, das Stadiondach spendete kaum Schatten auf dem Spielfeld. Die Welt sah zu, wie diese Italiener Minute um Minute an Kraft und Konzentration verloren. Umso länger die Partie dauerte, desto mehr waren sie den jungen, dynamischen Gegnern aus Costa Rica ausgeliefert.

Die Italiener haben nicht nur eine besonders schwere Gruppe erwischt, auch ihre Spielorte und Anstoßzeiten sind etwas unglücklich gelegt. "Prandellig" ausgedrückt. Das erste Spiel verwies sie in den Dschungel nach Manaus, doch da hatten sie Glück, denn der Gegner hieß England. Diesmal also 30 Kilometer Richtung Landesinnere von Recife aus, dazu zur Mittagszeit. Wenn es gegen Uruguay um das Fortkommen im Turnier geht, müssen die Azzurri wieder um 13 Uhr ran, noch etwas näher am Äquator, in Natal.

Prandelli vermisst bei seinen Spielern den Willen

Prandelli klagte nicht, aber er versuchte, zu erklären. Schließlich war es für jeden deutlich erkennbar, dass seine in Teilen in die Jahre gekommene Auswahl körperlich nicht mithalten konnte. "Ich habe viele Spieler gesehen, die sehr müde waren. Wenn man gegen ein Team spielt, das physisch stärker ist, braucht man die bessere Ordnung. Doch auch die hatten wir nicht."

Er wolle die Niederlage aber nicht nur mit der Hitze erklären. Er finde, Fußballspielen bei diesen Bedingungen erfordere nicht nur viel körperliche Kraft, sondern vor allem "psychische Energie". Er meinte den Willen, die Widerstandsfähigkeit, sich von den Bedingungen nicht schwächen zu lassen. Da hätten Süd- und Mittelamerikaner einen Vorteil, in diesem Sinne gingen sie die Partien anders an, erklärte Italiens Trainer.

Seine Spieler gingen die Partie so an, dass sie sich wie immer rund um den Mittelkreis den Ball zuschoben. Andrea Pirlo, 35, Daniele De Rossi, 30, und Thiago Motta, 31, bildeten ein Dreieck im Zentrum, das den Ball zirkulieren ließ. Der Auftritt wandelte zwischen absoluter Souveränität und Teilnahmslosigkeit. Wer es gut mit den Italienern meinte, dem kam der gute, alte Spruch von Oliver Kahn in den Sinn: vom Pferd, das nur so hoch springe, wie es müsse.

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:Nicht einmal ein Küsschen

Er wollte so gerne die Queen küssen, doch stattdessen wütet er frustriert auf dem Spielfeld: Auch im Spiel gegen Costa Rica setzt Trainer Cesare Prandelli auf Mario Balotelli - doch der italienische Stürmer führt seine Aufgabe nur mäßig aus.

Von Thomas Hummel

Sollten die Italiener überhaupt gesprungen sein, landeten sie im Nirgendwo. Vom Zentrum aus fanden sie fast nie einen Weg nach vorne. Nur zwei Geistesblitze von Pirlo führten zu zwei, allerdings großen Möglichkeiten des Mario Balotelli. Der Stürmer vergab beide. Ansonsten hinterließ auch der 23 Jahre junge Balotelli einen müden Eindruck, er verbrachte mehr Zeit am Spielfeldrand, wo es Wasser zur Abkühlung gab, als im gegnerischen Strafraum. "Ich glaube, wir hätten da draußen mehr Qualität zeigen können" analysierte Prandelli trocken.

Die weitgehend unbekannte Gruppe aus Costa Rica hingegen schien mit zunehmender Spielzeit immer schneller zu werden. Immer kraftvoller, immer energischer. Die Fünferkette in der Abwehr würgte alle Attacken ab, zwei weitere Zweikämpfer vor der Abwehr bearbeiteten Pirlo und Motta. Gegen die träger werdenden Gegner öffneten sich Räume zum Konter. Costa Rica wendet eine Taktik an, die bei dieser WM bislang als neue Mode des Fußballs gelten muss und die auch meistens schöne Erfolge zeitigt.

Am Ende der ersten Hälfte verweigerte den Mittelamerikanern zunächst Schiedsrichter Enrique Osses aus Chile einen Elfmeter an Joel Campbell. Nur wenige Minuten später flankte der großartige Linksverteidiger Junior Diaz vom FSV Mainz 05 auf den Kopf von Bryan Ruiz, der per Wembley-/Bloemfontein-Tor einköpfte. Die Torlinientechnik zeigte dem Unparteiischen sofort und richtigerweise an, dass der Ball von der Latte hinter die Linie gesprungen war. Da gibt es bei dieser WM keine Debatten mehr.

Zu wenig Tempo im Spiel

Prandelli reagierte, brachte mit Insigne, Antonio Cassano und Alessio Cerci drei weitere Offensivspieler, doch am trägen Ballgeschiebe wollte sich nichts ändern. "Wir hatten zu wenig Tempo in unserem Spiel", ärgerte sich der Trainer, trotz der Umstellungen sei die Mannschaft nie in der Lage gewesen, diese Lähmung abzulegen. Selbst die kleinen Pässe von Pirlo auf De Rossi wollten irgendwann nicht mehr gelingen.

Nun darf Italien am Dienstag gegen Uruguay nicht verlieren, sonst fährt neben England auch der zweite Europäer in Gruppe D vorzeitig heim. "Das wird jetzt eine sehr große Herausforderung für uns", befürchtet Prandelli, "wir müssen uns besonders im mentalen Bereich vorbereiten."

Die Spieler sollen irgendwie diese Hitze, diese Luftfeuchtigkeit vergessen und rennen wie zu Hause in der Emilia Romagna. Das zu schaffen, wird eine psychologische Meisterleistung erfordern. Auch wenn viele Menschen auf dieser Welt den italienischen Fußballern alles zutrauen, wies Cesare Prandelli auf einen weiteren Aspekt hin, der es seiner Mannschaft nicht leicht macht: "Unser Team ist nicht so explosiv wie der Gegner."

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