Italien vor dem Testspiel gegen Deutschland:Oper neben Trümmern

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Ein Mahner: Italiens Nationaltrainer Cesare Prandelli (Foto: dpa)

Skandale und Randale erschüttern den Fußball in Italien. Beim Testspiel gegen Deutschland wird davon in Mailand wenig zu spüren sein. Nur Nationaltrainer Prandelli spricht die gravierenden Probleme offen an, die seine Kollegen gerne totschweigen.

Von Birgit Schönau, Rom

Endlich einmal Italien besiegen! Da hat Joachim Löw etwas gemeinsam mit seinem Kollegen Cesare Prandelli. In den Tagen vor dem "amichevole di lusso" - dem "Luxus-Länderspiel", wie der Test am Freitag von den Gastgebern lässig eingeordnet wird -, waren bei der Squadra Azzurra Reflexionsübungen angesagt, bei denen die Deutschen keine Rolle spielten. Denn die Italiener kämpften vor der Partie in Mailand, wie so oft, mit sich selbst.

Prandelli leitete das Training mit erhobenem Zeigefinger: "Wir bilden uns immer noch ein, die Größten zu sein. Aber entweder, wir geben uns einen Ruck - oder wir trudeln weiter abwärts", sagte er. Nicht, dass der Commissario Tecnico über die Moral in seiner Mannschaft klagen würde, die Squadra Azzurra hat sich bereits vor zwei Monaten für die WM qualifiziert - italienischer Rekord.

Der Mahner Prandelli meint vielmehr jene Trümmerlandschaft des Ligaalltags, in der seine Azzurri als Bannerträger auftreten sollen, und die geprägt ist von Skandalen und Gewalt. Ein trauriger Höhepunkt ereignete sich am vergangenen Sonntag, als in der Region Kampanien unweit von Neapel das Drittligaderby Salerno gegen Nocera Inferiore nach nur 20 Minuten abgebrochen werden musste.

Die Gäste von der ASG Nocerina hatten bereits zu Beginn der Begegnung drei Auswechslungen vollzogen, sofort danach verließen fünf ihrer Spieler wegen angeblicher Verletzungen den Platz. In Wirklichkeit waren sie bedroht worden - von den eigenen Anhängern, die das Stadion laut polizeilicher Anordnung nicht betreten durften. "Wenn ihr spielt, bringen wir euch um", sollen die sogenannten Fans den Kickern gesagt haben. Vor Spielbeginn ließen sie ein Flugzeug starten, über dem Stadionhimmel flatterte das Spruchband: "Respekt vor Nocera und seinen Fans." Die Sprache versteht jeder in der von der Mafia-Organisation Camorra beherrschten Gegend zu Füßen des Vesuvs: Entweder ihr gehorcht - oder es passiert was. Die Spieler der Nocerina gehorchten lieber.

Nun äußert sich längst nicht jeder Nationaltrainer zu Gewaltexzessen in unteren Ligen. Cesare Prandelli aber tut es. Regelmäßig. Er versteht seine Mannschaft nicht als Elite-Team, das losgelöst von den Problemen im Unterholz glänzt. Sondern er nutzt seine Position, um Dinge zur Sprache zu bringen, die seine Kollegen am liebsten totschweigen. Ja, es gibt Gewalt im Fußball. Und sie ist leider alltäglich: "Wenn ich schulpflichtige Kinder hätte, würde ich in gewissen Städten nicht als Trainer arbeiten. Der Fußball ist für uns zur Obsession geworden", klagt er. Allzu wenig habe sich in den vergangenen Jahren geändert, resümiert Prandelli, "und für die Zukunft bin ich nicht optimistisch".

Kaum hatte der Nationaltrainer gesprochen, da schlug man sich kollektiv an die Brust, allen voran Premierminister Enrico Letta. "Null Toleranz" verkündete er markig den Kurven-Hooligans, bevor er wieder zur Tagesordnung der Regierung überging. Auf der übrigens schon sehr lange nicht mehr steht, dass weite Teile Süditaliens auch außerhalb der Stadien von Mafia-Banden terrorisiert werden. Und dass es dort neben Fußballern, die sich nicht trauen zu spielen, Politiker gibt, die sich nicht trauen zu kandidieren und Polizisten, die sich nicht trauen, ihre Arbeit zu machen - weil man ihnen dringend davon "abrät".

Im Land des viermaligen Weltmeisters Italien sagt ein Nationalspieler: "Ich bin nicht in der Lage zu beurteilen, ob die organisierte Kriminalität unsere Stadionkurven beherrscht. Von außen wirkt es nicht so." Der zweifelnde Spieler ist Riccardo Montolivo, er hat auch die deutsche Staatsangehörigkeit, weil seine Mutter Deutsche ist. Montolivo dürfte seine Landsleute und Gegenspieler aus der DFB-Elf gründlich beneiden, weil die sich nicht öffentlich Gedanken über Bandenkriminalität machen müssen, sondern allerhöchstens über die Bewachung von Andrea Pirlo.

Der allseits bewunderte Maestro Pirlo hatte erst vor wenigen Tagen für Juventus den SSC Neapel mit einem seiner unwiderstehlichen Freistöße bedient - das Tor wird Löws Hintermannschaft wieder und wieder studiert haben, um am Schluss zu erkennen, dass gegen so viel maliziöse Präzision nur Voodoo hilft. Neapel verlor gegen die Pirlo-Truppe aus Turin 0:3 und damit den zweiten Platz. Juve aber, das Team mit den meisten Nationalspielern, wird an den kommenden beiden Spieltagen vor einer leeren Fankurve spielen - weil die eigenen Ultras die Neapolitaner mit rassistischen Schmährufen empfingen.

Die Stadien sind halbleer

Seit Monaten tobt der Kampf um die Macht in den Kurven, die Regelverstöße werden inszeniert, um Klubs und Verband zu zeigen, wer der Herr im Haus ist. Aber die Stadien sind ohnehin halb leer. Wen die Randale nicht stört, den bremst die kafkaeske Bürokratie. Wer etwa den Tabellenführer AS Rom sehen will, aber in der Hauptstadt nicht den Erstwohnsitz hat, muss sich erst als Fan einer auswärtigen Mannschaft registrieren lassen. Die Wartezeit dafür beträgt zwei Monate.

Im Meazza-Stadion, der abgerockten Mailänder Fußballoper, wird man von all dem wenig spüren. Das Feld gehört gegen Deutschland Pirlo, Montolivo und Mario Balotelli, die insgeheim höchstens den Kollegen Giuseppe Rossi vermissen. Der Torjäger vom AC Florenz sollte eigentlich an Balotellis Seite ein Comeback feiern, muss wegen einer Mandelentzündung aber passen. Dabei sollte er Prandelli helfen, den alten Freundschaftsspiel-Fluch zu überwinden: Wenn's denn nur ein Test ist, pflegen die Italiener ihn aus alter Gewohnheit großzügig zu vergeigen. Sicher, es gab da mal einen 4:1-Sieg gegen Deutschland vor sieben Jahren in Florenz. Aber damals spielten die Deutschen vor allem gegen sich selbst.

© SZ vom 15.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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