Streit um russische Athleten:IOC-Präsident Bach: Ukrainische Regierung bestraft eigene Sportler

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Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, spricht bei der außerordentlichen 140. Session des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne. (Foto: Laurent Gillieron/dpa)

Seit der Wiederzulassung russischer und belarussischer Athleten boykottieren die Ukrainer viele Wettkämpfe. Der Chef des Internationalen Olympischen Komitees findet: Das bedroht "die Einheit der Bewegung".

IOC-Präsident Thomas Bach hat die Boykotthaltung der Ukraine wegen der Wiederzulassung von Sportlern aus Russland und Belarus für internationale Wettbewerbe erneut kritisiert. "Die ukrainischen Athleten werden von ihrer eigenen Regierung für den Krieg bestraft, der von den Regierungen von Russland und Belarus begonnen worden ist", sagte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees am Donnerstag bei der IOC-Sondersitzung in Lausanne. Das Vorgehen der Ukraine sei schwer zu verstehen, findet Bach.

Auf Anweisung des ukrainischen Sportministeriums dürfen Sportler und Sportlerinnen des Landes derzeit nicht an Wettbewerben teilnehmen, bei denen auch russische und belarussische Athleten dabei sind. Die Ukraine droht auch mit einem Boykott der Sommerspiele in Paris 2024, sollten Russland und Belarus dort vertreten sein. Das IOC hatte im März den Weg für die Wiederzulassung von Russen und Belarussen unter Bedingungen frei gemacht - was erst zur Boykotthaltung der Ukraine geführt hatte. Eine Entscheidung über die Olympia-Starterlaubnis soll erst später fallen.

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Bach verwies darauf, dass Ukrainer weiterhin in bestimmten Sportarten wie Radsport und Tennis starten, obwohl Russen dabei sind, es ihnen in anderen Sportarten wie Fechten oder Schwimmen aber untersagt sei. "Die ganze Welt sehnt sich danach, dass ukrainische Athleten in olympischen Wettbewerben glänzen", versicherte Bach. Der 69-Jährige verwies mit Blick auf die Russland-Frage erneut darauf, dass der Dachverband alle Formen der Diskriminierung verhindern müsse. "Es geht um nichts weniger als unsere Werte, um die Einheit der olympischen Bewegung", sagte Bach.

In seiner mehr als 20-minütigen Rede warf Bach auch mehreren anderen Regierungen vor, durch ihre Positionierungen die Werte des Sports zu untergraben. "Die russische Seite will, dass wir den Krieg ignorieren. Die Ukraine will, dass wir jeden mit russischem oder belarussischem Pass isolieren", klagte er: "Beide Positionen stehen in diametralem Gegensatz zu unserem Auftrag und zur Olympischen Charta." Auch attackierte Bach die polnische Regierung dafür, sich in die "Autonomie des Sports" eingemischt zu haben, was letztlich zur Verlegung der Einzel-Fecht-Europameisterschaften nach Bulgarien geführt habe. Dort gibt es keine Einreisebeschränkungen für Athleten aus Russland und Belarus, anders als bei den am Mittwoch begonnenen Europaspielen in Krakau, wo nun nur noch die Mannschafts-EM im Fechten stattfindet. In Team-Events sind Athleten aus Russland und Belarus laut IOC-Empfehlungen weiterhin komplett ausgeschlossen.

Ein absolutes Novum: Das IOC schließt den Boxverband IBA aus

Bei seiner virtuell abgehaltenen Sitzung hat das IOC außerdem den suspendierten Box-Weltverband IBA ausgeschlossen. Unter 80 Stimmen fielen 69 für den Ausschluss aus (eine Nein-Stimme, zehn Enthaltungen). Die IOC-Mitglieder folgten damit einer entsprechenden Empfehlung der Exekutive vom 7. Juni. Nie zuvor hatte das IOC über einen Dachverband einer olympischen Sportart den Daumen gesenkt. "Wir haben kein Problem mit der Sportart Boxen, den Boxern oder ihren Werten. Wir schätzen die Werte des Boxens sehr", sagte Bach: "Aber wir haben ein extrem ernstes Problem mit der IBA. Die Boxer verdienen es, von einem Verband vertreten zu werden, der Integrität und Transparenz lebt." Die IBA erklärte in einer ersten Reaktion, das IOC habe "einen gewaltigen Fehler" begangen.

Seit 2019 ist die IBA vom IOC wegen "mangelnder finanzieller Transparenz" und "fehlender Integrität der Schiedsprozesse" suspendiert gewesen. In Tokio 2021 organisierte eine vom IOC eingesetzte Taskforce die Wettkämpfe. Gleiches ist für Paris 2024 geplant. Das IOC gab am Donnerstag auf Nachfrage zudem die Zusage, dass Boxen auch 2028 in Los Angeles zum Programm gehören wird. Dies galt bislang als unsicher. Zuletzt hatten im Kampf um den olympischen Fortbestand ihres Sports mehrere nationale Verbände den neuen internationalen Verband World Boxing gegründet, darunter der Deutsche Boxsport-Verband (DBV). Als Reaktion wurde unter anderem der DBV von der IBA suspendiert.

Am Dienstag war die IBA um ihren umstrittenen russischen Präsidenten Umar Kremlew vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas mit einem Antrag gescheitert, die Entscheidung über die Zukunft des Verbandes auszusetzen.

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