Interview:"Damals hast du hin und wieder richtig eine vor den Latz bekommen"

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Wolfsburg ist seine Heimat geworden - dabei wollte der gebürtige Kaufbeurer nach wenigen Monaten unbedingt wieder weg. (Foto: Roland Krivec/DeFodi/Imago)

Die Nummer drei der ewigen DEL-Torjägerliste beendet seine Karriere. Von Kindheitsidolen, Stockschlägen und Grüßen vom Mars - eine Zeitreise mit Sebastian Furchner nach 20 DEL-Jahren.

Von Christian Bernhard

Seine letzte Spielzeit hat Sebastian Furchner nicht ganz bis zum Ende ausgekostet. Während München und Berlin ihre Finalserie austragen, war für den 40-Jährigen im Halbfinale Schluss - mit der Saison und mit seiner Karriere, nach mehr als 1100 DEL-Spielen in 20 Jahren für nur zwei Klubs, Köln und Wolfsburg. Der gebürtige Kaufbeurer hat es mit 302 Treffern auf Rang drei der ewigen Torjägerliste der Liga gebracht, hinter den Allgäuern Patrick Reimer (380) und Michael Wolf (337). Ehe er nun in der Wolfsburger Geschäftsstelle als "eine Art Azubi" anfängt, wie er es nennt, unternimmt er im Interview eine kleine Zeitreise - mit legendären Wegbegleitern.

SZ: Herr Furchner, haben Sie schon realisiert, dass Sie nicht mehr professionell Eishockey spielen werden?

Sebastian Furchner: Ich versuche es mir vorzustellen, aber kann es noch nicht. Ich habe mir immer die Schlittschuhe angezogen, erst zweimal, dann neunmal die Woche. Wie es sein wird? Ich weiß es nicht. Im August wird es sicher noch einmal besonders schwer, wenn die Jungs einrücken und du selber nicht mehr aufs Eis gehst.

Ihre Karriere begann beim ESV Kaufbeuren - an der Seite Ihres Kindheitsidols Didi Hegen.

Das war unglaublich. Ich hatte wegen Didi Hegen die Trikotnummer 23 gewählt, dann hat er in meinem zweiten Jahr bei den Herren in Kaufbeuren unterschrieben. Gut, da war die 23 dann weg (lacht). Einer der größten Eishockey-Spieler Deutschlands, mein Vorbild - und dann spielt er mit mir als 18-Jährigem in einer Mannschaft. Das war Wahnsinn, für die ganze Stadt, dass er zurück nach Hause kam.

Erinnern Sie sich noch an den ersten Moment mit ihm als Teamkollege?

Als er in die Kabine reinkam, verfiel ich in eine Art Schockstarre. Aber wie es halt so ist, war er ein ganz normaler Kerl, ein richtiger Kaufbeurer. Ich weiß noch, wie ich als Kind mal in der Stadt war, und da lief Didi Hegen. Ich konnte es nicht glauben. Und auf einmal steht er als mein Teamkollege in der Kabine. Er war auch im Training beeindruckend, ihm ist nie ein Puck versprungen. Er war eine Inspiration. Leider konnte ich mir nicht so viel abschauen, weil ich nicht so der Techniker bin. Aber ich habe es wenigstens versucht (lacht).

Nach einem gemeinsamen Jahr mit Hegen ging es für Sie in den hohen Norden, nach Bremerhaven in die zweite Liga.

Da habe ich nicht nur meine Frau kennengelernt, sondern eigentlich auch die beste Geschichte meiner Karriere erlebt. So etwas wirst du im Profisport kaum finden.

Bitte, erzählen Sie.

Wir haben die letzten drei, vier Monate der Saison kein Gehalt bekommen. Der Manager kam in die Kabine und sagte: 'Jungs, wir haben kein Geld mehr. Wir können euch nicht mehr bezahlen. Ihr könnt euch neue Vereine suchen, wenn ihr wollt. Der Spielbetrieb wird aber aufrechterhalten.' Kapitän Tray Tuomie antwortete als erster, er sagte: 'Jungs, ich bin schon älter , meine Kinder gehen zur Schule, ich bleibe hier.' Dann ging es reihum und viele Spieler sagten: 'Wir bleiben auch'. Ein Ausländer erklärte, er gehe, weil er Geld verdienen müsse. Für mich war auch klar, dass ich bleibe, ich habe damals eine Ausbildung bei der Stadtverwaltung gemacht. Als alle sagten, sie würden bleiben, sagte der Ausländer: Wisst ihr was, ihr Arschlöcher? Ich bleibe auch. Dann sind wir Zweitliga-Meister geworden. Eine Woche nach dem Titelgewinn kam diese irre Geschichte an die Öffentlichkeit, und bei der Meisterfeier haben die Leute vor Glück geweint deswegen.

Von Kaufbeuren nach Bremerhaven, eine viel größere Distanz geht innerhalb Deutschlands ja kaum.

Meine Mutter hat auch direkt geweint.

Und ein komplett anderer Kulturkreis.

Auf jeden Fall. An meinem ersten Tag im Bremerhavener Magistrat sage ich zum Ersten, dem ich begegnete, freundlich 'Grüß Gott'. Der hat mich angeschaut, als würde ich vom Mars kommen.

Nach nur einem Jahr kam Ihr Sprung in die DEL, zu den Kölner Haien.

Alfred Prey (der heutige Bremerhaven-Manager, Anm. d. Red.) war damals schon im Verein. Als ich ihm von meinem Angebot aus Köln erzählte, hat er mir nach dem Training Bratkartoffeln gemacht und gesagt: 'Sebastian, als dein Freund sage ich dir, du musst das machen. Aber als Verantwortlicher von Bremerhaven sage ich: Bitte bleibe bei uns.' Ich habe seinen Rat als Freund angenommen.

Wenn er dich nicht mehr anschrie, hattest du ein Problem: Trainer Hans Zach, hier im sanften Austausch mit Sebastian Furchner. (Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Verständlich, die Haie waren damals eine der Top-Adressen.

Alles hat gepasst. Ich bin zu dem damaligen Topklub gekommen, mit einer Riesenhalle und Hans Zach als Trainer. Der hat damals mit als einziger auf junge deutsche Spieler gesetzt und mich gefördert. Das war für mich ein Glücksfall.

Yannic Seidenberg, gegen den Sie in den vergangenen 19 Jahren gespielt haben, hat in einem SZ-Interview tolle Geschichten von Hans Zach erzählt. Dass man "beim Hans" jeden Tag angeschrien wurde und dass er lange Haare nicht leiden konnte.

Lange Haare hatte ich in Bremerhaven, aber die habe ich abgeschnitten, bevor ich meine Frau kennenlernte. Sie meinte, sonst hätten wir uns wahrscheinlich gar nicht kennen gelernt.

Das dürfte Ihnen den Einstieg mit Zach erleichtert haben.

Ihn umgab eine gewisse Aura, er war die Persönlichkeit im deutschen Eishockey. Ein Beispiel: Zach hat mich mal angerufen. Ich wusste, er ist es, aber ich habe mich nicht getraut sofort ranzugehen. Ich sagte zu meiner Frau, ich müsse mich erst ein bisschen sammeln und rufe ihn später zurück. Klar, er hat dich angeschrien, aber du hast trotzdem gespielt. Andi Renz hat es mal passend eingeordnet: Wenn er dich mal nicht mehr anschreit, hast du ein Problem, weil dann bis du unten durch. Nach dem Motto habe ich mich dann vier Jahre lang ganz gut gehalten (lacht).

In der damaligen Phase Ihrer Karriere war er wahrscheinlich einer der besten Trainer, den man haben konnte.

100-prozentig. Ich habe mit Hans immer noch ein gutes Verhältnis. Er war bei meinem 1000. DEL-Spiel und hat mich jetzt auch angerufen. Der Hans ist so ein Typ: Eishockey ist das eine, aber wenn du ein Problem hättest, würde er dir sofort helfen. Ohne zu zögern.

Die damaligen Zeiten sind mit den heutigen nicht zu vergleichen, da konnte es schon einmal vorkommen, dass man als Spieler in der Kabine eingeschlossen wurde und als Strafe das komplette Spiel noch mal anschauen musste.

Das Coaching hat sich komplett gewandelt. Jeder Spieler will heute erklärt bekommen, warum welche Entscheidung getroffen wurde. Damals hast du schon hin und wieder mal richtig eine vor den Latz bekommen.

Ihr erster DEL-Kapitän war Mirko Lüdemann, hinter dem sie Platz zwei in der ewigen Liste der Spieler mit den meisten DEL-Spielen belegen.

Lüde wollte eigentlich gar nicht Kapitän sein. Hans hatte ihn dazu bestimmt, im Jahr darauf haben das Amt schon Dave McLlwain und Brad Schlegel übernommen. Apropos McLlwain: Der hatte 500 NHL-Spiele auf dem Buckel, einer der besten Spieler, mit dem ich zusammengespielt habe, ein Top-Techniker mit einer super Einstellung. Aber wenn ich ihm in meinen ersten zwei Köln-Jahren mal im Training die Scheibe abgenommen habe, war das ein sicherer Stockschlag gegen die Wade oder auf die Hände. So hat er mich wissen lassen: Das gefällt mir nicht. Im dritten Jahr habe ich ihm die Scheibe abgenommen und gewartet - und es kam nichts mehr. Da wusste ich, ich bin akzeptiert. So etwas gibt es heute gar nicht mehr. Ich sage nicht, dass es gut oder schlecht war. Es war halt so.

2008 sind Sie nach Wolfsburg gewechselt. Wenn Ihnen damals jemand gesagt hätte, dass Sie 2022 immer noch dort sein würden, was hätten Sie darauf geantwortet?

Keine Chance. Bereits nach den ersten zwei, drei Monaten bin ich zu Charly (Fliegauf, bis heute Wolfsburgs Manager, d. Red.) und habe ihm gesagt: Ich will hier nicht bleiben. Wenn du mich aus dem Vertrag lässt, gehe ich wieder nach Köln. Er hat mich nicht rausgelassen - und 14 Jahre später bin ich immer noch da.

Hat es Sie nie gereizt, für einen bayerischen Klub zu spielen?

Als ich noch in Kaufbeuren war, hat der damalige Münchner Manager Max Fedra gesagt, dass ich nicht DEL-tauglich sei. Zu meinen Kölner Zeiten war mal Ingolstadt ein Thema. Meine Eltern hätten mich gerne in Bayern gesehen. Ich schon auch irgendwo, aber wir sind früh Eltern geworden und haben uns Wechsel deshalb gut überlegt. Unsere Heimat ist jetzt hier in Wolfsburg.

2002 bis 2022: Was hat sich während Ihrer DEL-Karriere am meisten in der Liga verändert?

Als erstes: die Athletik. Wenn wir zu meinen Anfängen mit den Haien gegen eine Mannschaft aus dem Tabellenkeller gespielt haben, war es im Prinzip nur eine Frage, wie hoch der Sieg ausfiel. Damals waren bei allen schwächeren Teams der Liga zwei Verteidiger im Kader, gegen die du nahezu mit Sicherheit eine Torchance bekommen hast, wenn sie auf dem Eis standen.

Auch in den Klubs hat sich viel verändert.

Das ganze Setup ist viel professioneller geworden. Wir hatten damals nicht einmal in Köln einen Fitnesstrainer. Man hat mit Videokassetten analysiert, vor und zurückgespult und nicht immer die gesuchte Szene gefunden. Damals bist du vielleicht mal mit einem Fehler davongekommen, weil ihn niemand gesehen hat.

Stichwort Akribie: Damit lässt sich perfekt der Bogen zu Pavel Gross spannen, den Sie zehn Jahre lang in Wolfsburg als Trainer hatten.

Pavel hat aus mir viel mehr rausgeholt, als eigentlich drin war. Er ist ein Bessermacher. Er hat bei vielen von uns die Knöpfe gefunden, die er drücken musste. Bei mir wusste er, wenn er mich ärgert und provoziert, dann bin ich am besten.

Wie gut war er in seiner Rolle als Provokateur?

Oh, darüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben. Das hat mich viele schlaflose Nächte gekostet - und meine Frau viele Nerven. Ich wusste, warum er es macht, aber es hat mich trotzdem geärgert. Ein Beispiel: In einer Saison hatte ich 13 Tore geschossen. Beim Saisonabschlussgespräch meinte er: 13 Tore sind okay, aber ein guter deutscher Stürmer schießt 15. Im Jahr darauf habe ich 16 Tore geschossen - da sagte er: 16 ist gut, aber ein guter Stürmer schießt 20. Daraufhin habe ich 22 Buden gemacht. Meine Lieblingsgeschichte mit Pavel ist aber diese.

Ehre, wem Ehre gebührt: Wolfsburgs Fans verabschieden sich von Sebastian Furchner. (Foto: Franziska Gora/Jan Huebner/Imago)

Legen Sie los.

Heimspiel gegen Nürnberg, es geht in die Verlängerung. Ich stehe mit Aleksander Polaczek an der Bande, als mich Gross von hinten kommend am Kragen packt, zu sich zieht und anschnauzt: 'Du kriegst jetzt einen Wechsel, mach ja keine Scheiße.' Polaczek lacht los, denn bei mir dampft es aus den Ohren. Die Verlängerung beginnt, ich kriege den Wechsel - und schieße das Tor. Statt zu jubeln, gestikulierte ich wild und schimpfte vor mich hin. Als wir dann in der Kabine saßen, kam Pavels Co-Trainer Mike Pellegrims zu mir und bat mich, mit ins Trainerbüro zu kommen. Dort saß Pavel am Laptop, zeigte mir die Szene vom "Jubel" und fragte: 'Was war denn das?' Da trat ich die Flucht nach vorne an: "Das ist doch genau das, was du wolltest, oder?' Und er mit einem Grinsen: 'Ganz genau.' Seinen Gesichtsausdruck in diesem Moment habe ich heute noch vor mir.

Sie schlossen eine eigene Trainerkarriere mit der Begründung aus, sie seien "zu sehr Pavel-geprägt". Wie meinen Sie das?

Ich würde es genauso machen wollen wie er. Ich würde nach einer verlorenen Endspielserie vielleicht auch direkt in die Kabine gehen und das Spiel sofort analysieren. Weil es mich nicht loslassen würde. Und ich glaube, dass ich es nicht verkraften könnte, wenn ich beispielsweise am 35. Spieltag meine Kabinenansprache halte und ich in den Gesichtern von fünf Spielern, die nicht zuhören, erkennen würde, dass sie sich denken: Was für ein Idiot. Mit denen könnte ich nicht so gut umgehen. Nein, Trainer ist, glaube ich, nichts für mich.

Zum Abschluss müssen wir noch die Geschichte Ihrer legendären Badelatschen auflösen, die Sie seit Ihrer Zeit in Bremerhaven benutzen. Wie ist es um die bestellt?

Ein Fan, ich glaube er hieß Elvis, hat uns damals diese Schlappen geschenkt, beschriftet mit unseren Namen und Nummern. Dieses Paar habe ich die ganzen Jahre über getragen, die gehörten irgendwann zu mir und sahen irgendwann so aus, wie ich mich ab und zu gefühlt habe. Der Wolfsburger Betreuer hat sie jetzt am Ende mit Kabelbinder fixiert, das war nicht mehr so angenehm. Aber auf den letzten Metern, nach 21 Jahren, wollte ich sie jetzt auch nicht mehr wechseln.

Was passiert jetzt mit denen?

Die müssen ins Eishockey-Museum (lacht). Nein, ich möchte sie zuhause in unserem Gästezimmer, wo schon mein Olympiatrikot und das meines 1000 DEL-Spiels hängen, mit dazu stellen. Ich fürchte allerdings, dass meine Frau da nicht mitspielt. Das dürften harte Verhandlungen werden.

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