Es war von vornherein nur eine Frage der Zeit. Insofern ist die Uhrzeit nicht ganz uninteressant, zu der sich das vollzog, was vor ein paar Jahren am Reißbrett eines österreichischen Getränkekonzerns entstanden war. Nun denn, voilà: Es war 20.20 Uhr, als Schiedsrichter Robert Hartmann die Partie von RB Leipzig bei Hertha BSC Berlin abpfiff - und damit ein Resultat feststand, das RB Leipzig direkt für die kommende Champions League qualifizierte. Denn Leipzig siegte, auch in dieser Höhe vollauf verdient, mit 4:1 bei einer der heimstärksten Mannschaften der Bundesliga. Und komplettierte einen Erfolg, der frei ist von Alltäglichkeiten.
Denn: Leipzig ist der erste deutsche Aufsteiger seit 1998, der sich für die europäische Königsklasse qualifiziert. Damals vollbrachte der 1. FC Kaiserslautern das Kunststück, allerdings als Überraschungsmeister unter Trainer Otto Rehhagel. Leipzig ist überdies der erste Ost-Klub, der sich für einen europäischen Wettbewerb qualifiziert, seit dies der Zweitligist 1. FC Union Berlin als unterlegener Pokalfinalist 2001 vollbrachte. "Was wir als Mannschaft geleistet und heute gekrönt haben, ist sensationell", sagte Leipzigs Kapitän Demme.
"Es ist ein geiles Gefühl", fügte Spielmacher Emil Forsberg hinzu. Trainer Ralph Hasenhüttl jubelte: "Ich bin einfach stolz, sehr stolz. Ich glaube, es gibt keinen besseren Rahmen als hier die Qualifikation für die Champions League zu feiern." Danach gab er seinen Männern erst einmal frei - bis zum kommenden Mittwoch. "Der Cottaweg", wo sich Leipzigs Trainingszentrum befindet, "wird in den nächsten Tagen verwaist sein." Erst danach beginnen die Vorbereitungen auf das Match gegen den FC Bayern.
Jenseits von Deutschland dürften die Anfeindungen stark nachlassen
Gerade einmal acht Jahre sind seit der Gründung von RB Leipzig vergangen. Doch dass diese Geschichte in Deutschland wegen der kohlensäurehaltigen Kapital-Spritze aus Österreich nicht als Fußball-Märchen durchgeht, bekam Leipzig auch vor der Partie in Berlin wieder zu spüren. Die treuesten Fans der Hertha tauchten die Ostkurve des Olympiastadions in Trauerschwarz - und geißelten in diversen Transparenten die Kommerzialisierung des Fußballs, für die Leipzig exemplarisch wie kaum ein zweiter Verein in Europa steht. "Geldgier & Korruption - Financial Fairplay? Produkte statt Vereine? Keine Mitbestimmung", war auf diversen Transparenten zu lesen, ebenso das unweigerliche "alle Bullen sind Schweine". Was dann folgte, war Grundsatzkritik. Umrahmt von Geldscheinen waren die stilisierten Gesichter von Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz, Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp zu sehen, neben den früheren Fußballfunktionären Sepp Blatter (Fifa) und Michel Platini (Uefa) sowie - siehe da - der Sommermärchen-Onkel Franz Beckenbauer. "Die wahren Totengräber des Fußballs - Der Fehler liegt im System!", war in großen Lettern zu lesen.
Es steht zu vermuten, dass Leipzig solche Anfeindungen jenseits deutscher Grenzen nicht ertragen muss. Und selbst wenn: Die Mannschaft ist derart mit Teflon beschichtet, dass sie das ungerührt an sich abtropfen lässt. Auch in Berlin war das so, wo die Leipziger von Beginn an die frischere und konzentriertere Mannschaft stellten. Sie nutzten gnadenlos aus, dass die Hertha sich wie schon im Vorjahr nach brillanter Hinrunde wieder in dramatischem Sinkflug befindet, in der Rückrundentabelle stehen die Berliner gerade einmal auf dem vierzehnten Platz. Gegen Leipzig kam Hertha nur einmal zu einer Chance, und sie sprach Bände. In der 28. Minute hatte Alexander Esswein die Gelegenheit, Herthas erstes Kontertor der laufenden Saison zu erzielen. Doch nach einem Pass von Vladimir Darida schoss er ohne jede Not aufs Tor - und dem Leipziger Schlussmann Peter Gulasci harmlos in die Arme.
Zu diesem Zeitpunkt führten die Leipziger bereits mit 1:0. Denn es hatte gerade einmal zwölf Minuten gedauert, bis die Sachsen ihren souveränen Sieg geebnet hatten. Der österreichische Mittelfeldspieler Marcel Sabitzer konnte in der gleichen Weise aus dem rechten Halbfeld flanken, wie Stürmer Timo Werner im Strafraum zu einem wirklich schulbuchmäßigen Kopfball ansetzen konnte: völlig unbedrängt. Herthas Torwart Rune Jarstein war ohne jede Abwehrmöglichkeit. Dafür konnte sich der Norweger eine Viertelstunde später auszeichnen, bei einem Distanzschuss von Sabitzer, der wohl im Giebel gelandet wäre. Ähnlich brillant reagierte Jarstein, als Timo Werner in der 36. Minute allein vor ihm auftauchte.
Wieder patzt Hertha-Torwart Jarstein spektakulär
Allerdings war Jarstein auch mit dabei, als bei der Hertha nach der Pause alle Sicherungen aus der Fassung sprangen. Erst spielte Herthas Esswein einen Rückpass in die Füße von Leipzigs Yussuf Poulsen, der aber an Jarstein scheiterte. Dann wiederum rutschte Jarstein aus, als er nach einem weiteren Rückpass das Spiel eröffnen wollte. Der Ball landete bei Poulsen, der vernunftbegabt zu sein scheint. Statt es neuerlich allein zu probieren, spielte er seinen Sturmpartner Werner an, der keine Mühe hatte, das 2:0 für die Gäste zu erzielen. Es folgte noch das Anschlusstor der Hertha, für das die Berliner aber der Mithilfe der Leipziger bedurften: Nach einem Freistoß von Darida köpfte Herthas Mittelstürmer Vedad Ibisevic den eingewechselten Rani Khedira an - und von dessen Kopf flog der Ball ins Tor.
Doch der Treffer für die Hertha war ein Trugbild: In der 89. Minute setzte der ebenfalls eingewechselte Davie Selke, der nach einer Saison mit wenig Spielzeit wohl auf dem Sprung ist, auf der linken Seite zum Solo an, umkurvte im Strafraum Allen und schob den Ball Jarstein durch die Beine. Leipzigs Angriff auf Europa war damit perfekt. Entsprechend fiel der Jubel aus: Die Bank sprang auf und folgte, Trainer Ralph Hasenhüttl inklusive, der gesamten Mannschaft über die Werbebande in die Westkurve, wo etwa zehntausend Leipziger Fans feierten. Dass danach noch in der Nachspielzeit Selke erneut traf, zum 4:1, war bloß eine Zugabe. "Es gilt jetzt zügig, heimzukommen und dann und mit der gesamten Stadt zu feiern", sagte Sportdirektor Ralf Rangnick. Detaillierte Feierpläne gab es nicht, wohl aber einen Vorsatz: "Heute werden wir sicherlich die Nacht zum Tag machen."