Deutschland bei der Hockey-EM:Erst schlotternde Knie, dann Kunststücke

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Der Kapitän legt vor: Mats Grambusch erzielt den ersten Treffer beim 4:1 gegen Frankreich. (Foto: Ostseephoto/Imago)

Nach einer schwächeren ersten Hälfte steigern sich die deutschen Hockeymänner gegen Frankreich. Mit drei Toren im dritten Viertel schießen sie sich ins EM-Halbfinale gegen England.

Von Volker Kreisl

Zweimal nacheinander denselben Trick anzuwenden, ist riskant. Als die deutschen Hockeyspieler die Niederlande am Montag quasi in den ersten fünf Minuten besiegt hatten, als sie zwei Tore gefühlt schon im Einlaufen erzielt und dem Gegner reichlich Spielfreude verdorben hatten, da waren alle möglichen weiteren Gegner gewarnt. Solch ein Überfall passiert uns nicht, dachten also die Franzosen.

Am Donnerstag versuchte es die Equipe von Trainer Frederic Soyez anders, sie drehten den Spieß um, und gingen gleich in die Offensive. Und auch wenn dieser nominell schwächere Gegner am Ende klar mit 1:4 verloren hatte, so verschaffte er sich doch zwischendurch Respekt. Die deutsche Mannschaft dürfte nach diesem Spiel gedanklich gleich bei der nächsten Herausforderung gewesen sein: Beim englischen Team, das in diesem Turnier sehr gut spielt, schon jetzt nichts mehr zu verlieren hat und am Freitagabend um 21 Uhr von den Deutschen erstmal besiegt werden muss, ehe sie im Finale antreten können.

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Das deutsche Team von Trainer André Henning, konventionell und kontrolliert ins Spiel gestartet, hatte zunächst weniger Chancen, die Franzosen hielten mit teils groben Aktionen dagegen. Von deutscher Überlegenheit war nichts zu spüren, worüber das erste Tor der DHB-Mannschaft im zweiten Viertel nicht hinwegtäuschen konnte. Mats Grambusch bekam den Ball auf rechts, schoss mäßig präzise Richtung Torwart Arthur Thieffry, aber der abgefälschte Ball fand doch den Weg durch eine schmale Lücke neben dem kurzen Pfosten ins Tor.

Der nächste Sieg ist sicher, war der erste Gedanke auf deutscher Seite, jedoch, die Motivation kam erst durch den Ausgleich der Franzosen. Ihre Strafecke kurz vor der Halbzeit geriet aufreizend frech. Sie versuchten es erst von der rechten Seite, doch da war alles dicht, also beförderten die Franzosen den Ball von Kelle zu Kelle einmal um alle Verteidiger herum, wie ein kleines Paket auf die andere Seite des Hauses, wo es dann Masson im Tor zum 1:1 einwarf.

Was war los mit der neuen deutschen Disziplin? Vielleicht schlich sich abermals Überheblichkeit ein, jedoch hatte Henning vorab ja dieses Spiel aufgewertet. Manchmal sind die Ideen der Trainer leicht durchschaubar, etwa dann, wenn ein Coach sein Team anstacheln will, indem er das nächste Spiel zu einem "Viertelfinale" erklärt, was wichtiger klingen soll als "drittes Gruppenspiel". Jedoch, das Team nahm das Spiel nach dem Ausgleich wirklich ernster, so ernst als wäre schon K.-o.-Runde.

Das Männerteam des DHB braucht vielleicht öfter eine Art Weckruf. Schon gegen Wales hatte man aus Lässigkeit den Auftaktsieg verschenkt, nun geriet man abermals unnötig unter Druck. Aber es folgte schnell die Halbzeit-Pause, genug Zeit für Henning, an die eigenen Stärken zu erinnern, und vielleicht auch daran, dass es jetzt erst richtig losging - mit dem gesamten EM-Turnier und in diesem Moment mit dem dritten Viertel, in dem die Deutschen allmählich Tore brauchten. Henning wusste, dass sein Team in den entscheidenden Momenten zuletzt Großes geschafft hatte, unter anderem im Januar einen WM-Titel. Bei Henning erweckte es mal wieder den Eindruck, nur bei großem Druck aus sich herauszugehen, also dann "wenn es richtig drauf ankommt".

Auch Kapitän Mats Grambusch hatte auf einmal schlotternde Knie

Dies war so ein Zeitpunkt für eine Wende. Nun gelang es dem gesamten Team, in einen anderen Auftritt zu finden, einen mit "Durchschlagskraft", wie Henning findet: "Die Jungs haben das unglaublich gut gemacht." Jeder hat plötzlich kapiert, dass es schon wieder nur zu einem Remis gegen einen nominell unterlegenen Gegner kommen konnte, wenn sich nicht sofort etwas änderte. Mats Grambusch sagte, er habe auch schon "schlotternde Knie" gespürt, doch rechtzeitig gelang die Befreiung von allen Versagensängsten. Drei Treffer im dritten Abschnitt und ein locker herunter gespieltes Schlussviertel reichten, um ins Halbfinale einzuziehen, das Selbstvertrauen zu stärken, und zwar mit dem besten Mittel: mit Toren.

Lukas Windfeder hatte schon eines in diesem Turnier geschossen, nun gelang ihm das zweite per Strafecke - 2:1. Nach und nach wirkte der immer sattelfestere Auftritt der Deutschen. Zwar verschoss Tom Grambusch danach einen Siebenmeter, doch die Abschlüsse der anderen gerieten genauer. Gonzalo Peillat, dem Strafeckenspezialist mit den Gelenken für den optimalen Schusswinkel, gelang das wichtige dritte Tor - per Strafecke. Und am Ende durfte sich auch noch Thies Prinz, der 25-jährige Angreifer zeigen. Er kam an den Ball nach einer Strafecke, bei der es vor dem Tor so eng war wie im Stadtbus bei Stoßzeit und behielt doch die Nerven.

Diesem Treffer zum 4:1 ging eine Vorlage von Prinz an sich selbst voraus, zwei Meter raus aus dem Gewühl, wo er etwas mehr Platz für einen Rückwärtsschuss hatte. Es war ein Kunststück und wohl auch eine passende Vorlage für die noch folgenden wichtigen Spiele.

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