Hockey-EM:Auch Mauern und Ballwegschlagen erlaubt

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Überfallartig: Justus Weigand (li.) jubelt zusammen mit Thies Prinz (Mitte) und Teo Hinrichs (re.) über seinen Treffer zum 1:0. (Foto: Ostseephoto/Imago)

Strenge Formation, Disziplin beim Vorwärtsspiel und ein überragender Torwart: Das deutsche Hockeyteam zeigt gegen die Niederlande, warum es man es bei der EM auf der Rechnung haben sollte.

Von Volker Kreisl

Manchmal beginnt ein wichtiger Sieg nicht mit dem ersten Tor im Spiel. Auch gründet er nicht immer darin, dass der Trainer die richtige Ansprache gefunden, oder etwa, dass ein Team besonders gut gegessen und geschlafen hatte.

In dem fürs Weiterkommen wichtigen 3:0-Sieg der deutschen Mannschaft bei der Hockey-EM gegen die Niederlande, der auf überragender Defensivarbeit beruhte, war der wohl entscheidende Spieler weder ein indisponierter Niederländer noch ein überragender Deutscher, sondern ein Waliser: Stürmer Jack Pritchard.

"Wir haben es jetzt in der Hand", sagt Angreifer und Torschütze Niklas Wellen

Am Montag in Spiel zwei besiegte jedenfalls die Mannschaft von Trainer Andre Henning mit bestechender Konzentration, starkem Willen und Ehrgeiz die Niederlande. Wie es halt läuft, wenn man sich von einem blamablen Spielausgang zum Auftakt distanzieren möchte, ja, zeigen will, was man draufhat, auch gegen einen nominell stärkeren Gegner, der eine stets top eingespielte Mannschaft in den Saison-Höhepunkt schickt.

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Ein 4:0 und ein 5:0: Das deutsche Team strebt dem Gruppensieg entgegen und will dem Favoriten Niederlande im Halbfinale aus dem Weg gehen. "Da ist noch eine Rechnung offen", sagt Julia Sonntag.

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Hennings Team war nicht wiederzuerkennen. Mit der ersten Ballberührung war zu spüren, dass die Deutschen etwas wiedergutmachen wollten - alles dank Jack Pritchard, dem walisischen Stürmer, der ihnen mit zwei Gegentoren im ersten Spiel ein Remis verpasst und ihren Ehrgeiz angefacht hatte.

Nun steht die Mannschaft an der Spitze der Tabelle der Gruppe B, einen Punkt Vorsprung hat sie vor den Niederlanden und Frankreich, das Wales mit 2:0 besiegt hatte. Hennings Team hat die leicht besseren Perspektiven, schon mit einem Remis ist es weiter, aber mehr, nämlich der Gruppensieg sei das Ziel, sagte Stürmer Niklas Wellen: "Wir haben es jetzt in der Hand!" Im dritten Spiel schlage man Frankreich und gehe als Gruppenerster ins Halbfinale. Aber das sind die Gedanken, bei denen Trainer meist abwinken und darauf hinweisen, dass es nun ausschließlich darum gehe, konzentriert in dieser Art weiterzumachen.

Diese Art war irgendwie neu, und man konnte dabei noch die eigene Wut und Pein der Deutschen über die misslungene Wales-Eröffnung erahnen. Denn sonst treten Mannschaften in vorgezogenen Endspielen erst einmal vorsichtig auf, schieben sich den Ball hin und her, bis alle im Spiel angekommen sind - vor allem, wenn es um einen Gegner geht, der über großes Vermögen an technischer Versiertheit und auch über Erfahrung verfügt. Die Deutschen aber wichen ab Anstoßsirene erstmal vom Weg ab. Sie rannten nach vorne.

Kapitän Mats Grambusch setzte sich direkt durch, und passte per argentinischer Rückhand, also scharf ins Gewühl. Der von den Niederländern geblockte Ball fiel vor die Füße von Niklas Wellen, der schobt ihn hart wie einen Puck vors Tor, von wo Justus Weigand traf: 1:0, 2. Minute. Hennigs Equipe jubelte, formierte sich aber gleich wieder, es ging kurz etwas hin und her, dann lag der Ball wieder im niederländischen Tor. Niklas Wellen hatte im Gewühl die beste Übersicht: 2:0, 5. Minute.

Wenn einer ausbrach, um zu attackieren, fand er schnell wieder in Reih und Glied zurück

Das Spiel aber ging jetzt erst los, und zwar mit jener Team-Qualität, die im DHB-Team gegen Wales so vermisst wurde: Disziplin. Vor allem in der Verteidigung sah man die Spieler, die zuvor noch ihre Posten verlassen hatten oder nach leidenschaftlichem Nach-Vorne-Stürmen eher lässig zurück trabten. Es war ein fast militärisch wirkendes Bild: Hennings Team nahm eine Zwei-Reihen-Formation ein, und wenn einer mal ausgebrochen war, um zu attackieren, fand er schnell in Reih und Glied zurück.

Womöglich wirkte dies so, weil diese Disziplin im Spiel zuvor so stark vermisst wurde, jedenfalls zeigte die Mauerbildung nun Wirkung. Die vielleicht stärkste Phase der Niederländer begann nun, vielleicht auch, weil ihnen die Zeit davon rann. Nur, in dieser Phase, aber auch davor und danach, zeigte eben auch einer der besten Spieler der Deutschen wohl eines seiner besten Spiele: Torhüter Jean-Paul Danneberg.

Der schob seinen Körper instinktiv an die richtige Stelle, seine linke Hand fuhr präzise aus wie eine Schranke, mit der rechten und seiner Kelle verstellte er den Weg. Danneberg, so wirkte es, machte dieses Spiel Spaß, er parierte mehrmals spektakulär, seine vielleicht beste Parade war ein Schuss vom niederländischen Kapitän Thierry Brinkmann halbhoch auf die rechte Torecke, eine Parade mit links.

Und dann stand es auf einmal 3:0. Die Deutschen waren bei ihrer Disziplin geblieben, doch Entlastungsattacken wurden immer mal wieder versucht. Eine von ihnen vollendete dann Malte Hellwig, der allein über halblinks in Richtung Tor lief, er hatte dort so viel Platz, dass er in vollem Lauf Maß nehmen konnte und den Ball unbedrängt im Tor unterbrachte.

Ob danach das, was die Deutschen dann in der zweiten Hälfte zeigten, auch geübt war, ist ungewiss. Das Mauern, Blocken, Ball rausschlagen und sich weiter fortwährend aufs Verteidigen zu beschränken, entspricht sicher nicht dem Ethos der deutschen Mannschaft. In diesem Spiel jedenfalls war es das beste Mittel, dem Gegner den Spaß zu verderben.

Nun, nach dem Niederlande- und vor dem Frankreich-Spiel hat Hennings Team jedenfalls seine erfolgsbringende Seite reaktiviert, jenes Team-Gen, das Gegenreaktionen schafft, Ehrgeiz und womöglich auch wieder eine souveräne Platzierung am Sonntag.

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