Sebastian Vettel in der F1:Zerrüttetes Verhältnis zu Lina

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Was steht denn da? Ferrari-Pilot Sebastian Vettel ist zwar nicht planlos in Hockenheim, wirkt aber doch ein wenig ratlos. (Foto: Jerry Andre/Imago)
  • Sebastian Vettel hat seit fast einem Jahr kein Rennen mehr gewonnen.
  • Dem Deutschen liegt der Ferrari SF90H nicht so gut wie seinem Teamkollegen Charles Leclerc.
  • Beim Rennen auf dem Hockenheimring könnte er in der Gesamtwertung sogar hinter Leclerc zurückfallen.

Von Philipp Schneider, Hockenheim

Und nun zu Boris Johnson. Was er so denke über den neuen britischen Premierminister?

Lewis Hamilton blickt auf. Verwundert, überrascht? Er guckt wie immer, überlegt auch nicht lange. Er hatte die Frage nach Johnson ja provoziert. Tags zuvor hatte er Theresa May, Johnsons zum Rücktritt gezwungene Vorgängerin, für ihren Anmut in Zeiten der Brexit-Wirrungen gelobt und ihr "balls of steel" unterstellt, womit er offenbar Wertschätzung ausdrücken wollte.

Ach, England, sagt Hamilton nun. Er sitzt am Donnerstag in seiner persönlichen Pressekonferenz an der Rennstrecke in Hockenheim. England sei ein so kraftvoller, spezieller Ort. Mit so vielen intelligenten Menschen. Klugen Leuten, die Sachen designen, die woanders nicht designed werden. "Ich hoffe, dass es besser wird und Johnson der Mann ist, der es schafft."

"Generell denke ich nicht sehr oft über Sebastian nach"

Brexit. May. Johnson. Womit sich ein fünfmaliger Formel-1-Weltmeister halt so befasst in einer Saison, in der sich nach der ersten Saisonhälfte die Frage nicht mehr stellt, ob er zum sechsten Mal den Titel einsammeln wird, sondern nur noch wann. Gut, Hamilton hat schon auch über andere Themen gesprochen. Über seinen Vater, der als Drummer sehr viel Reggae mit nach Hause gebracht habe, dazu Stevie Wonder, Marvin Gaye. Er selbst habe als Teenager eher Hip Hop gehört. Derzeit sei er ganz angetan von einer dänischen Rapperin, obwohl er deren Songtexte gar nicht versteht. Und Arnold Schwarzenegger! Super Typ. Schwarzenegger spiele ja mit in "The Game Changers", einer Dokumentation über Veganismus im Sport. Hamilton ist Co-Produzent des Films.

Und Sebastian Vettel? Ob Hamilton finde, dass Vettels Karriere vor genau einem Jahr beim Rennen am Hockenheimring einen Bruch erfahren habe, von dem er sich noch nicht erholt habe? Als er, als Führender im WM-Klassement, die Nase seines Ferraris nach einem Ausritt in der Sachs-Kurve in eine Werbebande gebohrt hatte? Och, sagt Hamilton: "Generell denke ich nicht sehr oft über Sebastian nach." Gewiss, er und Ferrari haben Mühe. Und Vettel habe auch noch einen jungen Teamkollegen, der einen sehr guten Job mache: "Es sind keine einfachen Zeiten für Sebastian."

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Einige hundert Meter entfernt sitzt Vettel in der großen Pressekonferenz, in die die Organisatoren jene Piloten laden, von denen sie glauben, dass sie gerade Thema sind. Und Vettels Geschichte ist nun diese: Er hat seit 333 Tagen kein Rennen mehr gewonnen, er hat 100 Punkte Rückstand auf Hamilton. Sein Teamkollege Charles Leclerc ist in Frankreich, Österreich und Silverstone aufs Podest gefahren. Vettel wurde derweil Fünfter, Vierter und Sechzehnter. Leclerc hat in England begeistert mit seiner mutigen Fahrweise gegen Max Verstappen. Vettel ist aufgefallen, indem er Verstappen ins Heck rauschte, nachdem er sich verbremst hatte.

Zu Vettels Geschichte gehört auch, dass er in seinem fünften Jahr bei der Scuderia endlich den Weltmeistertitel gewinnen wollte. Doch nachdem er und sein Team sich in den vergangenen zwei Jahren verbessert hatten, ging es in diesem Jahr gehörig abwärts. Hinzu kommt: Vettel hat sich in Kanada über eine fragwürdige Bestrafung durch die Kommissare so fürchterlich geärgert, dass er nun das ganze Regelwerk der Formel 1 infrage stellt. Die 2014 eingeführten Hybrid-Motoren nerven ihn sowieso schon seit Jahren, er findet, sie sind zu leise und haben zu wenig Zylinder. Allmählich schwindet seine Hoffnung, dass die Formel 1 sich von diesem - aus seiner Sicht - Irrweg noch abbringen lässt. Viel Freude wird ihm auch die Zeitungslektüre nicht mehr bereiten, bei der ihm in mannigfaltigen Publikationen eine wiederkehrende Rubrik auffallen dürfte: die Auflistung aller Vettel-Fehler, zeitlich beschränkt auf diese Saison, oder ausgeweitet auf die vergangenen zwei.

In Anbetracht dieser schwindelerregenden Sammlung an Ärgernissen kann ein 32 Jahre alter Rennfahrer schon mal mit dem Karriereende konfrontiert werden. Sacht, nur angedeutet: Ob er sich vorstellen könne, wie Kimi Räikkönen noch mit 40 Jahren zu fahren? Vettel ist viel zu lang im Geschäft, um in eine derart ungetarnte Bärenfalle zu treten, die jemand am helllichten Tag mitten auf den Wanderweg gelegt hat. Im Ferrari zu sitzen, sagt er, sei "keine Belastung, sondern ein Privileg". Es bereite ihm unglaublich viel Spaß, diese Autos zu fahren. Die Motivation, seinen Job bei Ferrari zu Ende zu bringen, sei nach wie vor hoch. Vettel sagt aber auch: "Es hängt davon ab, ob 2021 der große Richtungswechsel in der Formel 1 erfolgt oder eben nicht." Und überhaupt: 40 Jahre alt werde er erst 2027!

Vettels Problem ist sein Auto, sein zerrüttetes Verhältnis zum Ferrari SF90H. Mit Rennfahrern und ihren Autos verhält es sich nicht anders als mit der Beziehung zwischen Menschen. Entweder man kommt klar, oder man kommt nicht klar. Und wenn man nicht klarkommt, dann muss sich entweder mindestens einer von beiden ändern, oder es gibt halt keine Harmonie. Ausgerechnet in dem beim Rennfahren maßgeblichen Moment, dem Anfahren einer Kurve, das hat Vettel erzählt, traut er seinem Wagen nicht, den er in diesem Jahr "Lina" getauft hat.

Vettel muss im zweiten Teil nachsteuern

Im ersten Teil der Kurve fügt sich Lina nicht so in die Spur, wie es Vettel gerne hätte. Er spürt ihr Heck nicht, es bricht aus. Beim Einlenken übersteuert Lina, beim Rausfahren untersteuert sie. Er muss gegensteuern und verliert Zeit. Anders als sein Teamkollege, der seit drei Rennen weit besser zurecht kommt mit Linas Zwilling. Beim Rennen in Frankreich hat er erstmals einen Strategiewechsel vollzogen. Vorher, sagt Leclerc, habe er versucht, "meinen Fahrstil dem Auto anzupassen, seit dem Rennen in Paul Ricard passe ich das Auto mehr meinem Fahrstil an".

21 Jahre alt ist Leclerc, er erlebt seine zweite Saison in der Formel 1 und die erste in einem potenziellen Siegerfahrzeug. In den ersten Monaten bei der Scuderia sei er noch etwas schüchtern gewesen, hat er erzählt. "Ich wollte nicht sagen: Ich will das, das und das." Seit dem Rennen in Le Castellet sagt er seinen Ingenieuren aber das, das und das - und hat Vettel in drei Qualifikationen, drei Rennen und im zweiten Training in Hockenheim besiegt. Drei Punkte Vorsprung hat Vettel noch vor Leclerc. Nach dem Rennen am Sonntag könnte seine Sammlung an Ärgernissen einen neuen Eintrag erhalten.

© SZ vom 27.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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