Handball-WM der Frauen:Zwiespältiges Fazit wegen 26 torlosen Minuten

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Das Nachsehen hatten die deutschen Handballerinnen um Emily Bölk und Alina Grijseels (in Weiß, v.l.) im Spiel um Platz fünf gegen Larissa Nusser (vorne) und die Niederlande. (Foto: Petter Arvidson/Bildbyran/Imago)

Platz sechs ist das beste WM-Ergebnis der deutschen Handballerinnen seit 16 Jahren. Dennoch bleibt die Erkenntnis, dass zur Weltspitze ein gutes Stück fehlt - und die Frage, warum die Anfangsphase in den beiden letzten Spielen völlig missraten ist.

Von Ulrich Hartmann

Am letzten Abend ist bekanntlich Captain's Dinner. Den deutschen Handballerinnen wurden am Sonntagabend im Hotel zwar weder Funken sprühende Eistorten serviert, noch hat sich ihre Reise nach Dänemark als rosarote Fahrt auf dem Traumschiff entpuppt; eine bilanzierende Bankettrede hielten die Kapitäninnen Alina Grijseels und Emily Bölk trotzdem. Schließlich war viel passiert in den vorangegangenen zweieinhalb Wochen.

Zum Abschluss der Weltmeisterschaft hatten die deutschen Frauen das Spiel um Platz fünf 26:30 gegen die Niederlande verloren. Am Abend schauten sie beim Dinner dann gemeinsam das Endspiel und sahen Frankreich 31:28 gegen Norwegen gewinnen. "Das war ein temporeiches Finale auf sehr hohem Niveau", lobt Grijseels, die mit dem deutschen Team gern mehr erreicht hätte als den sechsten Platz. Ihre Erkenntnis: "Mit unserer Leistung sind wir noch ein Stück entfernt von Frankreich und Norwegen."

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Die 27-Jährige hat jetzt kurz Weihnachtsurlaub. Am 27. Dezember geht es zurück nach Metz zu ihrem französischen Verein, der dann auch fünf Weltmeisterinnen begrüßen darf. "Klar habe ich ihnen die Daumen gedrückt", sagt Grijseels, "wir hatten während des Turniers immer wieder Kontakt und ich freue mich sehr, dass sie mit einem Weltmeistertitel nach Metz zurückkehren."

In vier Monaten geht es um die Olympia-Teilnahme: "Machbar", sagt Kapitänin Alina Grijseels

Das Turnier, bei dem die deutsche Mannschaft mit Platz sechs die beste deutsche WM-Platzierung seit 16 Jahren schaffte, bewertet Grijseels zwiespältig. "Wir hatten viele überzeugende Spiele", sagt sie über Vor- und Hauptrunde. Über das verlorene Viertelfinale gegen Schweden, in dem Deutschland 14:07 Minuten auf das erste Tor wartete, und das Spiel gegen die Niederlande, in dem man erst nach 12:36 Minuten das erste Tor warf, müsse man allerdings reden: "Wir müssen hinterfragen, warum wir zweimal in den ersten Minuten so schlecht waren, das wird wichtig für die Zukunft. Wenn wir irgendwann unter die top Vier kommen wollen, darf das so nicht mehr passieren."

Die Zukunft beginnt in vier Monaten. Vom 11. bis 14. April spielen die Handballerinnen um die Olympia-Qualifikation. In einem Vierer-Turnier mit Montenegro, Slowenien und Paraguay (Spielort steht noch nicht fest) müssen sie Erste oder Zweite werden, dann ist im Sommer in Paris erstmals seit 2008 wieder ein deutsches Frauenhandballteam bei Olympia dabei. Grijseels ist zuversichtlich. "Das sind alles machbare Gegner", sagt sie, "Paraguay ist sicherlich der Außenseiter, und auch Montenegro und Slowenien sind Mannschaften, die wir schlagen können." Gute Leistungen benötige man aber natürlich unbedingt. "Das Ziel ist klar", sagt Grijseels: "Wir wollen uns für die Olympischen Spiele qualifizieren."

Darüber besteht beim Deutschen Handball-Bund (DHB) Einigkeit. "Die Olympia-Teilnahme wäre wichtig für die Entwicklung der Mannschaft", sagt der Präsident Andreas Michelmann. Vorteilhaft wäre das auch mit Blick auf eine besondere WM im Dezember 2025 mit deutschen Spielen in Stuttgart und Dortmund und dem ersehnten Halbfinale in Rotterdam. "Dann muss das Halbfinale das Ziel sein", sagt Michelmann über die nächste WM.

Kleiner Trost: Viola Leuchter (Mitte), die das Spiel um Platz fünf gegen die Niederlande wegen einer Knieverletzung vorzeitig verlassen musste, wurde zur besten Nachwuchsspielerin der WM gewählt. (Foto: Petter Arvidson/Bildbyran/Imago)

Starke Gegner wie Japan, Rumänien und Tschechien haben die deutschen Spielerinnen bei der WM im dänischen Herning besiegt, mit Dänemark, Schweden und den Niederlanden konnten sie, abgesehen von den beiden katastrophalen Startphasen, zumindest halbwegs mithalten. Unantastbar wirken derzeit allenfalls die Finalisten Frankreich und Norwegen. Sie haben zuletzt alle Titel untereinander ausgemacht. Frankreich ist jetzt Olympiasieger und Weltmeister, Norwegen Europameister. Die nächste EM ist Ende 2024 in Ungarn, Österreich und der Schweiz.

Der für die deutsche Mannschaft schmerzlichste Zwischenfall bei der Weltmeisterschaft ereignete sich im letzten Spiel gegen die Niederlande, als sich die 19 Jahre junge Rückraum-Shooterin Viola Leuchter bei der Landung nach einem Sprungwurf das Knie verdrehte. Während sie im Krankenhaus untersucht wurde, kürte der Weltverband sie zur besten Nachwuchsakteurin der WM. Die am Niederrhein geborene Spielerin von Bayer Leverkusen war mit 25 Toren und 14 Vorlagen als WM-Debütantin torgefährlichste Deutsche hinter den deutlich erfahreneren Xenia Smits (25/34), Alina Grijseels (34/21) und Emily Bölk (20/20). Eine Diagnose wird erst nach einer weiteren Untersuchung in Deutschland veröffentlicht.

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