Handball:Wider die Nörgler und Plärrer

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Neuer Spielgestalter: Der Champions-League-erfahrene Slowene Patrik Leban (li.) soll das Erlanger Spiel führen und die Nebenleute einsetzen, wie her im Testspiel gegen den österreichischen Erstligisten Krems. (Foto: Oliver Gold /Imago/Sportfoto Zink)

An diesem Mittwoch startet der HC Erlangen in die neue Bundesliga-Saison - er steht vor der Frage, ob sein verstärkter Kader hält, was er verspricht.

Von Sebastian Leisgang

Ein kurzer Ausflug in die Erlanger Innenstadt, ein Nachmittag im August 2019, durch das Fenster des Cafés sieht man den Bahnhofsvorplatz. Quentin Minel sitzt auf einem Barhocker an einem der erhöhten Tische, er ist erst vor ein paar Wochen aus Frankreich gekommen. Die Verantwortlichen des HC Erlangen hatten den Rückraumspieler mit vollmundigen Worten angekündigt, Adalsteinn Eyjolfsson, der damalige Trainer, sprach sogar davon, dass Minel der Mannschaft helfen werde, in "eine neue Dimension" vorzustoßen. Erlangen war übrigens gerade Neunter geworden.

Anspruch und Wirklichkeit, das war schon vor zwei Jahren ein großes Thema in Erlangen, und das ist es im Spätsommer 2021 auch noch. Minel hat sich damals als Missverständnis herausgestellt, die Mannschaft wurde Vierzehnter, und Eyjolfsson überstand das Jahr ebenso wenig wie sein Nachfolger Rolf Brack. Seitdem sitzt Michael Haaß auf der Erlanger Bank.

Michael Haaß redete schon als Spieler wie ein Trainer, jetzt soll er liefern

Es gibt Trainer, die noch wie Spieler reden; Haaß, 37, hat schon als Spieler oft wie ein Trainer geredet, wenn er mit schweißgetränktem Trikot in der Nürnberger Halle am Eingang zu den Katakomben stand. Wer sich jetzt, am Tag vor dem Erlanger Bundesliga-Auftakt gegen Leipzig, mit Haaß unterhält, der spürt eine beinahe kindliche Vorfreude.

An diesem Mittwoch dürfen wieder mehr als 6000 Zuschauer in die Halle, es könnte also eine Kulisse werden, wie es sie in Nürnberg seit knapp zwei Jahren nicht mehr gegeben hat. Grundsätzlich ist der Franke ja ein eher pessimistischer, manchmal etwas runtergekühlter Mensch, mehr Nörgler und Plärrer als Enthusiast und Frohnatur, doch beim Handball lässt sich der Franke gerne mitreißen. "Wir leben von der Energie, die vom Publikum ausgeht", sagt Haaß, als gebürtiger Essener ein Mann aus dem Pott.

Haaß freut sich, dass die Spiele endlich beginnen, er weiß aber auch, dass es ein Spannungsfeld ist, in dem er und seine Mannschaft sich bewegen. Man könnte auch sagen: bewegen müssen - es ist ja alles andere als ein Kinderspiel, wirklich zu liefern, wenn alle drauf warten, dass man liefert. Das ist also die große Frage, mit der Erlangen in die Saison zieht. Die Leute wollen was sehen, nur: Bekommen sie auch was zu sehen? Liefern Haaß und seine Mannschaft?

Wer Spieler holt wie Patrik Leban, ein Mann für den Rückraum, der schon in der Champions League auf dem Feld gestanden hat, wer mit Spielern wie Johannes Sellin und Simon Jeppsson die Verträge verlängert, Spielern, die schon die Europameisterschaft und den Bundesliga-Titel gewonnen haben - der muss damit leben, dass all das vor allem als Kampfansage an die Konkurrenz gewertet wird, als Zeichen zunehmender Ziele. Auch Haaß findet: "Daran sieht man, dass die Spieler was vorhaben mit dem HC Erlangen."

Das Ziel? Ein einstelliger Tabellenplatz, das ist in dieser Liga schwer genug

Haaß entgegnet auf die Frage, was denn das Ziel für die kommende Saison sei: "Wir wollen einstellig sein, wohlwissend, dass das eine Aufgabe ist." Einstellig sein, das klingt nicht gerade nach einer Kampfansage. Einstellig sein, konkreter will Haaß an diesem Vormittag nicht werden. Er weiß ja, dass ihn die Leute nächstes Jahr sonst festnageln, wenn er jetzt sagen würde, dass er angreifen wolle, seine Mannschaft am Ende aber doch nur Elfter werden sollte. Haaß ist vorsichtig, doch das ist nicht alles. Erlangens Trainer hat ja Recht, wenn er sagt: "Zwischen Platz sechs und zwölf sind es teilweise nur ein paar Punkte, deswegen wollen wir uns eher handballerische Ziele setzen."

Eine gute Deckung, eine hohe Erfolgsquote bei Gegenstößen, Flexibilität im Positionsangriff, um solche Dinge geht es Haaß. Dass sich sein Kader im Sommer nur punktuell verändert hat, das sei "sehr wichtig für die Entwicklung der Mannschaft". Leban ist einer von nur drei Neuen, neben dem ehemaligen Essener Tim Zechel und dem aus Magdeburg zurückgekehrten Christoph Steinert.

Wegen ihm will es Haaß "nicht als Verlust bezeichnen", dass Sime Ivic zu Auftaktgegner Leipzig gegangen ist, Erlangens Kader kann sich ja selbst ohne den Kroaten sehen lassen. Und das ist auch der Grund, warum die Erwartungen der Nörgler und Plärrer so hoch sind. Im Verein ruhen die Hoffnungen vor allem auf Haaß. Das Vertrauen in ihn ist immens, von neuen Dimensionen will in Erlangen aber erstmal niemand sprechen.

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