Magdeburg gewinnt die Handball-Champions-League:Die Energie-Gewinner

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Auch beim Feiern vorne mit dabei: Magdeburgs Trainer Bennet Wiegert. (Foto: Marco Wolf/wolf-sportfoto/Imago)

Der SCM steckt im Saisonverlauf einen Rückschlag nach dem anderen weg und krönt sich mit dem Titel in der Königsklasse. Dabei hätte Trainer Bennet Wiegert sogar wegen eines Unglücksfalls eine Niederlage nach Abbruch akzeptiert.

Von Ralf Tögel, Köln

Es gab mindestens einen Deutschen am Sonntagabend in der stimmungsgeladenen Lanxess Arena in Köln, der sich nicht für den SC Magdeburg freute. Andreas Wolff gratulierte dem neuen Champions-League-Sieger sportlich fair zum Triumph: "Das ist eine fantastische Mannschaft mit einem riesen Charakter. Respekt vor Gisli, der sie zum Sieg geführt hat." Aber dummerweise stand der deutsche Nationaltorhüter beim Gegner zwischen den Pfosten. Wolff war neben Alex Dujshebaev der beste Spieler des polnischen Serienmeisters KS Kielce, die 29:30-Niederlage nach Verlängerung konnte er aber trotz einer herausragenden Leistung nicht verhindern. Schon im Halbfinale beim hauchdünnen 25:24 gegen Paris war der deutsche Auswahl-Keeper bester Akteur der Polen, nun befand er gewohnt selbstkritisch: "Hätte ich zwei Bälle mehr gehalten, hätten wir das Spiel gewonnen. Es ist müßig zu spekulieren, ich bin enttäuscht, sauer, einfach nur leer."

Hinter Wolff hüpften und feixten die Magdeburger Spieler in Erwartung der gewöhnungsbedürftigen Trophäe, die einen Ball darstellt, der in ein Tornetz rauscht. 80 Zentimeter hoch und 57 breit ist das von einer spanischen Agentur designte Stück, gegossen aus teilweise recyceltem Aluminium. Kay Smits, mit acht Toren bester Torschütze des Endspiels, wollte sie gar nicht mehr hergeben. Obwohl man sich etwas anderes suchen müsse, um daraus zu trinken, wie er anmerkte. Er dürfte fündig geworden sein, wie die Gesänge aus der Kabine später nahelegten. Trainer Bennet Wiegert kündigte an, dass sich "Magdeburg auf etwas gefasst machen kann", womit er wohl den bevorstehende Balkonbesuch im Alten Rathaus nebst Eintrag ins Goldene Buch der Landeshauptstadt meinte.

Bennet Wiegert ist jetzt einer von fünf Handballern, die die Champions-League als Spieler und Trainer gewonnen haben

Wiegert als Vereins-Urgestein zu beschreiben ist fast untertrieben, der gebürtige Magdeburger und Sohn des ehemaligen Olympiasiegers Ingolf Wiegert, der beim SCM auch zwischenzeitlich sein Trainer war, durchlief alle Jugendteams im Klub. Höhepunkt seiner aktiven Laufbahn war der Gewinn der Champions League 2002, nun zählt er zu jenem erlesenen Kreis an Handball-Profis, denen das auch in sportlich leitender Funktion als Trainer gelungen ist. Vor ihm waren das nur Talant Dujshebajev, Carlos Ortega, Roberto Garcia Parrondo und Filip Jicha, wobei Wiegert den Kollegen Ortega und Dujshebaev in Köln höchstselbst einen weiteren Triumph vermasselte.

Erst bezwang Magdeburg im Halbfinale den klaren Titelfavoriten FC Barcelona mitsamt Coach Ortega nach Verlängerung und Siebenmeterwerfen mit 40:39, ehe Dujshebaevs Kielce den Kürzeren zog. Die Polen sind eine Art Familienbetrieb, prägender Spieler ist Trainer-Sohn Alex, sein Nebenpart im Rückraum Bruder Daniel. Nach einem Magdeburger Blitzstart zum 4:1 hatte Alex Dujshebaev, Dreh- und Angelpunkt im Spiel sowie mit acht Treffern bester Kielce-Schütze, sein Team zurückgebracht - genauso wie Wolff mit seinen Paraden. Zur Pause in einem hochklassigen und einmal mehr nervenaufreibenden Finale führte Kielce 15:13, agierte auch in der zweiten Halbzeit souverän und legte meist vor.

Überschattet wurde das Spiel von einem tragischen Unglück, als Mitte des zweiten Durchgangs ein polnischer Journalist auf der Pressetribüne leblos zusammensackte und kurz darauf im Krankenhaus starb. Das Spiel wurde beim Stand von 22:20 für Kielce für mehrere Minuten unterbrochen, SCM-Coach Wiegert bot sogar den Abbruch an und hätte eine Niederlage in Kauf genommen.

Gisli Kristjansson kugelt sich im Halbfinale die Schulter aus und wird 24 Stunden später zum besten Spieler des Finales gewählt

So aber glich Michael Damgaard, der sechsmal traf, zum 26:26 aus. In der Verlängerung war es der pure Wille und eine aggressive Abwehr vor dem starken Torhüter Nikola Portner, die den Sieg sicherstellten. "Diese Mannschaft war so oft am Boden, sie ist immer wieder aufgestanden, ich bin einfach nur stolz. Um das zu begreifen, brauche ich noch ein paar Tage", sagte Wiegert sichtlich angefasst. In der Tat wurde Magdeburg von einer nicht enden wollenden Verletztenmisere geplagt, von der WM kehrten die Schlüsselspieler Omar Ingi Magnusson (Fersen-OP) und Magnus Saugstrup (Knie-OP) verletzt zurück, beiden wurde das vorzeitige Saisonende prognostiziert. Dann mussten Philipp Weber (Meniskus) und Oscar Bergendahl (Sprunggelenk) passen - bis auf Magnusson standen dann aber alle mehr oder weniger fit in Köln auf dem Spielfeld.

Da ist das komische Ding: Magdeburgs bester Torschütze Kay Smits stemmt die Trophäe. (Foto: Marco Wolf/Imago)

Das war schon irre, aber die unglaublichste Geschichte schrieb Gisli Kristjansson: Anfang Mai brach sich der zum besten Bundesliga-Spieler gewählte Rückraumakteur den Knöchel, seine Rückkehr zum Finalturnier durfte ohnehin schon als kleines medizinisches Wunder gelten. Als sich der 23-jährige Isländer aber in der Schlussphase des Halbfinales gegen Barcelona die Schulter auskugelte, schien ein weiteres Mitwirken undenkbar zu sein. Doch Kristjansson stand vollgepumpt mit Schmerzmitteln nicht nur wieder auf dem Parkett, er führte sein Team mit sechs Treffern zum Sieg und wurde zum besten Spieler des Final4 gewählt. Gesund war dies sicher nicht, "aber es war es wert", sagte der Isländer. Als nächstes steht wohl eine OP an.

Den Triumph an ihm festzumachen, wäre aber zu kurz gedacht. Magdeburg hat es geschafft, aus den Rückschlägen Energie zu ziehen. Gerade Akteure wie Smits und Damgaard, eigentlich Backups in der zweiten Reihe, nutzten die plötzliche Verantwortung zu einer bemerkenswerten Entwicklung und trugen das Team in der zweiten Saisonhälfte. Auch die knapp verpasste Meisterschaft mit zwei Punkten Rückstand auf Kiel sowie die unglückliche Niederlage im Pokal-Finale gegen die Rhein-Neckar Löwen nach Siebenmeter-Drama warf die Mannschaft nicht aus der Bahn. Anstatt zu hadern münzten die Spieler das Erlebte in Zusatzmotivation um. "Wir haben gelernt, Rückschläge wegzustecken", erklärte Smits, "das hat uns geholfen, ruhig zu bleiben, wenn es im Spiel hektisch wird und Details entscheiden."

Dann schulterte der Niederländer das bronzefarbene Aluminium-Tornetz und ging zu den singenden Kollegen in die Kabine.

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