Handball:Ruhe nach dem Sturm

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Handballer Justin Kurch. (Foto: Oliver Gold/Imago)

Die Mannschaft in Quarantäne, der Abstieg nah: Es sind schwere Tage für den HSC Coburg - dennoch bleibt der Handball-Bundesligist ganz bei sich.

Von Sebastian Leisgang

Es gibt einen kleinen und doch bedeutenden Unterschied zwischen furchtbar und fruchtbar. Manchmal aber bedingt das eine das andere, Jan Gorr weiß das.

Seit dem vergangenen Wochenende befindet sich der Handball-Bundesligist HSC Coburg in Quarantäne. Vier Spieler sind infiziert. Es ist, wenn man so will, die Ruhe nach dem Sturm. Rund vier Wochen ist es jetzt ja her, dass Gorr ein paar Sätze gesagt hat, die eigentlich so gar nicht nach ihm klingen. Coburgs Geschäftsführer ist ein sehr maßvoller Mensch, in diesem Moment aber, das spürte er, war es Zeit für eine Ansage, die an die Mannschaft gerichtet und deshalb auch das war: ein Appell, eine Anklage. So könne es nicht weitergehen, sagte Gorr Ende März. Es fehle beim Tabellenletzten an Grundlagen, die Spieler und Trainer Alois Mraz seien nach wie vor noch nicht auf einer Linie, und, das war das härteste Urteil: Bei den Spielen in Magdeburg und in Minden sei der HSC nicht der HSC gewesen.

Es waren sehr deutliche Worte, die Gorr da formulierte, doch es waren ja auch wirklich furchtbare Spiele gewesen, die hinter den Coburgern lagen. Die Mannschaft wirkte geschafft, sie schien sich ihrem Schicksal zu ergeben und den sich abzeichnenden Abstieg aus der Handball-Bundesliga einfach hinzunehmen. "Wir haben in der Phase das Gefühl vermittelt, dass wir den Glauben verloren haben", sagt Gorr, "so konnten wir nicht weitermachen."

Auf die furchtbaren Spiele folgten fruchtbare Gespräche. Gorr zählte Mraz nicht an. Er nahm ihn zwar in die Pflicht, aber auch in Schutz - und er traf eine Maßnahme, die man als höchst ungewöhnlich bezeichnen darf: Gorr, der Geschäftsführer, machte sich zum Assistenten jenes Trainers, den er vor knapp einem Jahr nach Coburg geholt hat, um selbst nicht mehr Trainer zu sein.

Ist das nicht mit einem Misstrauensvotum gegenüber Mraz gleichzusetzen?

Gorr nutzt die Frage, um zu einem langen Bekenntnis anzusetzen, dann sagt er: "Es ging einfach darum, die Kräfte zu bündeln. Alois hat das Ganze sehr souverän angenommen. Er ist ja noch ein junger Trainer, auch für ihn geht es darum, Erfahrungen zu sammeln. Und ich bin eben der Meinung: Es ist das eine, Druck aufzubauen - das andere ist, die Hand zu reichen und selbst anzupacken."

Gorr hat beides getan. Er hat deutlich zu verstehen gegeben, dass sich etwas ändern muss - und er hat den Worten selbst Taten folgen lassen. Jetzt sieht man wieder jene Bilder von ihm, die man aus den vergangenen Jahren kennt: Gorr, wie er im Trainingsanzug am Spielfeldrand sitzt. Gorr, wie er den Spielern auf der Ersatzbank Anweisungen gibt. Gorr, wie er in einer Auszeit zur Mannschaft spricht.

All das zeigt Wirkung. Nach Gorrs Kritik spielte Coburg 30:30 gegen Wetzlar, dann folgten zwar ein 19:22 in Ludwigshafen und ein 28:31 gegen die Rhein-Neckar Löwen - aber Coburg war wieder Coburg. Körpersprache, Aggressivität, Einsatzfreude, alles wieder da. "So kann man erste Liga spielen", sagt Gorr.

Haben sie also noch Hoffnung in Coburg, obwohl die Mannschaft mindestens vier Siege benötigt, um überhaupt in die Nähe der Nichtabstiegsplätze zu kommen? Glauben sie noch an die Rettung, obwohl die Mannschaft derzeit isoliert und deshalb außerstande ist, gegen den Rückstand anzugehen? "Wir sind keine Traumtänzer", antwortet Gorr, "momentan sieht es eher danach aus, dass wir nächstes Jahr wieder in der zweiten Liga spielen. Wichtiger ist aber, wie die Mannschaft auftritt."

Der HSC, das wird im Gespräch mit Gorr klar, ist wieder bei sich. Niemand wird panisch, niemand verfällt in Hektik. "Wenn man ehrlich ist", sagt Gorr, "ist in dieser Saison nichts Außergewöhnliches passiert." Die Mannschaft hat zwar eine Menge Spiele verloren, doch in Coburg wussten sie ja schon vor der Saison, dass sie zum Kreis jener Mannschaften gehören werden, die ab dem ersten Spieltag ums sportliche Überleben kämpft. "Und deshalb", betont Gorr, "müssen wir auch keine Opfer suchen, wenn wir die Sensation am Ende nicht schaffen."

Mraz, das ist der Plan, soll auch im Falle eines Abstiegs bleiben und an Gorrs Seite eine Mannschaft aufbauen, die wie eine Coburger Mannschaft spielt. Eine Mannschaft mit Herz, eine Mannschaft, mit der sich die Leute aus der Stadt identifizieren können.

Schon jetzt, vor dem letzten Drittel der Bundesliga-Saison, will Gorr "Aufgaben und Verantwortung auf dem Platz anders verteilen" - nicht nur, weil es der dichte Spielplan erfordern wird, wenn die Coburger aus der Quarantäne zurückkehren. Exemplarisch nennt Gorr Dino Mustafic und Justin Kurch, zwei Talente aus der zweiten Reihe, die von nun an häufiger zum Zug kommen sollen. Er, Gorr, kann das jetzt ja wieder mitentscheiden.

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