SC Magdeburg:Endlich hört dieses Gerede auf!

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Enttäuschte Magdeburger, zum ersten Mal in dieser Saison. (Foto: Frank Molter/dpa)

Die Handballer des SC Magdeburg verlieren kurz vor dem Jahreswechsel ihr erstes Saisonspiel - bricht nun alles zusammen? Eher nicht. Doch die anstehende EM ist ein Risikofaktor.

Von Carsten Scheele

Wer ein halbes Jahr lang immer nur gewinnt, muss mit dem Gefühl des Verlierens erst mal wieder klarkommen. Magnus Gullerud saß auf der Magdeburger Bank und versuchte, ein Loch in den Hallenboden zu starren. Philipp Weber, direkt neben ihm, wählte eine andere Taktik: Er starrte ein Loch in die Tribüne. Trainer Bennet Wiegert zauste sich immer wieder durch den mächtigen Bart und winkte ab, als auch er erkannte, dass es an diesem Tag nicht reichen würde.

Vielleicht können die Handballer des souveränen Bundesliga-Tabellenführers SC Magdeburg ihrer ersten Saisonniederlage in ein paar Tagen trotzdem etwas Positives abgewinnen: Endlich, endlich hört dieses Gerede auf! Es verging ja seit langem kein Reportergespräch, in dem Wiegert oder die Spieler nicht immerzu auf diese "perfekte Bilanz" angesprochen wurden: Könnte Magdeburg wirklich alle Saisonspiele in der Bundesliga gewinnen? 34 Spiele, 34 Siege? Wie einst der THW Kiel, der am Ende der Spielzeit 2011/12 elefantöse 68:0 Punkten gesammelt hatte?

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Die neuen Corona-Maßnahmen betreffen auch den Profisport. Zuschauer sind vorerst nicht mehr erlaubt - vor allem Hallensportarten trifft der Schritt hart.

Bei Magdeburg hat es für 32:0 Punkte gereicht, 16 Siege also. Wettbewerbsübergreifend, nimmt man die Auftritte im Europacup und DHB-Pokal dazu, waren es gar 28 Spiele in Serie ohne Niederlage. Doch nun ist es passiert: 27:30 (11:13) am Sonntagabend bei der SG Flensburg-Handewitt, die erste Pleite der Saison. Ein Drama? Nö! "Wir wussten, dass es uns irgendwann trifft", sagte Trainer Wiegert.

"Die haben schon eine Hand an der Schale", sagt Flensburgs Spielmacher Gottfridsson

Dass beim Spitzenreiter nun alles zusammenbricht, darf zudem als unwahrscheinlich gelten. Der SCM liegt, mit nun 32:2 Punkten, immer noch komfortabel vorne und gilt als erster Anwärter auf den deutschen Meistertitel, was nach Jahren der Hegemonie der beiden Nord-Großklubs aus Kiel und Flensburg allein eine Sensation wäre. Die Kieler sind für den Moment zwar erster Verfolger (28:8) vor Flensburg (27:7) und Berlin (25:9), aber der Rückstand ist deutlich. Magdeburg hat noch ein Spiel weniger absolviert als Kiel.

Ob Magdeburg in der Rückrunde noch mindestens fünf Punkte einbüßt, darf als fraglich eingestuft werden, zumal Kiel und die anderen Verfolger aktuell keine Anstalten machen, sich in eine Form zu spielen, in der sie bis zum Saisonende ihrerseits nicht mehr verlieren. Flensburgs Spielmacher Jim Gottfridsson glaubt jedenfalls nicht daran, dass Magdeburg noch ernsthaft in Gefahr gerät: "Die haben schon eine Hand an der Schale", sagte er.

Auch in Flensburg zeigte der SCM über weite Strecken eine reife Leistung, beteiligte sich an Hochgeschwindigkeits-Handball und führte in der ersten Halbzeit mit drei Toren (11:8) - ehe Benjamin Buric im Flensburger Tor irgendwann anfing, jeden Ball zu halten. Dagegen ist im Handball manchmal wenig auszurichten, wenn zwischen den Pfosten einer steht, der über sich hinauswächst. 15 Paraden hatte der bosnische Nationaltorwart bis Spielende gesammelt - ein herausragender Wert.

"Wir haben zu viele freie Würfe vergeben", beklagte Magdeburgs Trainer Wiegert, "das darf man sich in Flensburg nicht erlauben." Doch er weiß: Strukturell ist im Team alles in Ordnung. Die Abwehr steht, die Automatismen sitzen. Eine Niederlage macht das gute Grundgefühl in der Mannschaft gewiss nicht kaputt. Und in den ersten Spielen nach der EM-Pause warten ausgesprochen schlagbare Gegner: Minden, Nettelstedt, Göppingen und Lemgo.

Diese EM-Pause ist nun dennoch wohl das größte Risiko, das den Magdeburgern in dieser Saison noch droht. Keiner weiß, wie die Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei (13. bis 30. Januar) verläuft, wie lange die zahlreichen Nationalspieler der Topklubs im Turnier bleiben und wie sie zurückkehren: pumperlgesund? Oder doch bis ans Ende ihrer Kräfte ausgelaugt, verletzt oder gar Corona-infiziert (was bei einer Großveranstaltung dieser Kategorie mitten in der Omikron-Welle kaum auszuschließen ist)?

Der Januar hat die Kräfteverhältnisse im Handball schon häufiger durchgeschüttelt. Manche sagen, ab Februar beginne eine neue Saison. Ein Team, das plötzlich mehrere Langzeitausfälle hat, kann in der Rückrunde kräftig durchgereicht werden. Und richtig hart wird's im März und April, wenn die Energiereserven der Spieler endgültig aufgebraucht sind, es aber um die Schalen und Pokale geht.

Wobei der SCM einen sehr prominenten Fürsprecher hat, der an das Team glaubt und im deutschen Handball durchaus etwas zu sagen hat: Bundestrainer Alfred Gislason, übrigens letzter Magdeburger Meistertrainer im Jahr 2001, das ist bald 21 Jahre her. Er wolle "keinen Druck auf jemanden ausüben", sagte der Isländer dem Sportinformationsdienst, aber: "Ich denke nicht, dass sich der SCM das jetzt noch nehmen lässt."

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