Handball-EM:Im Zeichen des Hexers

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  • Hatten die Deutschen im Handball Erfolg, waren die Schlussleute herausragend.
  • Das Duo Wolff/Bitter soll die Tradition bei der EM bestätigen.
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Von Joachim Mölter, Trondheim

In den Vorstellungen des Handball-Bundestrainers Christian Prokop haben seine Torhüter eine besondere Aufgabe bei dieser Europameisterschaft: Sie sollen nicht nur den Ball abwehren, sondern ihn umgehend auch in den eigenen Angriff weiterleiten, idealerweise mit weitem Pass auf die flinken Außenspieler. Je schneller es nach vorne geht und dort einfache Treffer erzielt werden, so Prokops Plan, desto weniger muss sich die Mannschaft im Positionsangriff mühen.

Die geordnete Offensive ist ja wegen des verletzungsbedingten Fehlens von einem halben Dutzend Rückraumspielern die große Schwäche. Selbst der EM-Neuling Niederlande hat im Auftaktspiel am Donnerstag den deutschen Angriff zeitweise lahmgelegt. Erst als Torhüter Andreas Wolff in der Schlussphase einige Bälle abwehrte und das Konterspiel in Schwung brachte, kam die Auswahl in Trondheim/Norwegen noch zu einem standesgemäßen 34:23 (15:13). Und damit erging es ihr weit besser als am Tag danach Rekordweltmeister Frankreich, der seinen Auftakt mit 25:28 gegen Portugal vergeigte - die EM startet mit einer Überraschung. Allerdings waren sich auch die deutschen Spieler einig, dass eine Leistung wie gegen die Niederlande nicht reichen wird im zweiten Vorrundenspiel gegen den Titelverteidiger Spanien an diesem Samstag (18.15 Uhr/ARD).

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Die Partie gilt als wegweisend für den weiteren Turnierverlauf und das Ziel Halbfinale, aber Torwart Wolff relativierte die Bedeutung vorsichtshalber. "Wir haben auch das Turnier 2016 gewonnen, nachdem wir gegen Spanien verloren haben in der Vorrunde", erinnerte er und wies darauf hin: "Ein Sieg verschafft dir nur eine leichtere Ausgangsposition für die Hauptrunde." Eine Niederlage, so der Umkehrschluss, sei jedenfalls kein irreparabler Rückschlag. Und wer will Wolff da widersprechen, dem EM-Helden von 2016, der die Spanier später entnervte mit seinen Paraden beim 24:17-Finalsieg?

Wenn die deutschen Handballer etwas erreicht haben bei internationalen Turnieren, hatten sie das immer auch ihren Torhütern zu verdanken, Männern wie Andreas Wolff, die ihnen den Rücken freigehalten haben. Das war beim WM-Triumph 1978 so, als Manfred Hofmann im Team der Bundesrepublik zwischen den Pfosten stand, und 1980 auch, als Wieland Schmidt den Olympiasieg für die DDR-Auswahl festhielt. Das setzte sich fort beim Olympia-Silber 1984 mit Andreas Thiel, dem legendären "Hexer", und ging im neuen Millennium weiter, als Henning Fritz Rückhalt gab beim Erreichen diverser Olympia-, WM- und EM-Finals zwischen 2002 und 2007.

Im Idealfall hatte die Nummer eins noch eine überdurchschnittliche Nummer zwei hinter sich, die einspringen konnte, falls es mal eine Phase gab, in der der Stammtorwart nicht so gut hielt - und die gibt es im Laufe eines Turniers immer. So bildete Hofmann jahrelang mit Rudi Rauer ein optimales Gespann, Thiel mit dem im vorigen Sommer verstorbenen Stefan Hecker und Fritz mit Johannes Bitter. Den hat Prokop nun für die EM reaktiviert.

Der mittlerweile 37 Jahre alte Bitter ersetzte im WM-Finale 2007 gegen Polen den angeschlagenen Fritz und sicherte den Titel. Bei seinem Comeback überzeugte er in den Testspielen ebenso wie die Stammkraft Wolff. "Wenn wir diese Torhüterleistung ansatzweise halten können, haben wir ein tolles Fundament", fand der Bundestrainer. Prokop weiß ja auch, dass nicht immer beide Torleute einen gleich guten Tag erwischen werden: "Dann ist es wichtig, dass sie als Team funktionieren." Das tun sie, versichern Wolff und Bitter. "Es harmoniert, das ist nicht gespielt, das ist so", bekräftigte Bitter am Freitag: "Ich habe meine Rolle - und die ist, mit Andi zusammen das Tor zu vernageln."

Bitter war einst der Familie zuliebe aus der Nationalmannschaft zurückgetreten

Beim DHB haben sie sich viele Gedanken gemacht über die Besetzung der Torhüter-Position, erzählte der für den Leistungssport zuständige Vizepräsident Bob Hanning vor dem Turnier. Der Europameister Wolff war gesetzt, aber Silvio Heinevetter, die langjährige Nummer eins, außer Form und selbst in Berlin in seinem Klub mehr auf der Bank als im Tor. Dario Quenstedt aus Kiel, den Prokop zuletzt häufig berücksichtigte, wäre eine logische und solide Wahl gewesen: Er hätte vermutlich ordentlich gehalten, wenn es nötig gewesen wäre, und sich ansonsten klaglos in die Hierarchie eingefügt, keine Ansprüche angemeldet, keinen Ärger gemacht.

Aber Hanning erinnerte dann an die Frauen-WM jüngst in Japan, als der deutschen Auswahl nur ein Punkt gefehlt hatte für den Halbfinaleinzug, im Grunde sogar nur ein Tor. Ein Tor, das sie bei der 28:29-Niederlage gegen Serbien in der Hauptrunde zu wenig geworfen hatte, oder eins, das sie nicht verhindert hatte. "Da war halt die Frage: Wem traust du am ehesten zu, diesen einen Ball zu halten, der am Ende womöglich übers Weiterkommen entscheidet?" Die Antwort sei dann Bitter gewesen, der seit Jahren mit seinen Paraden den Außenseiter TBV Stuttgart in der Bundesliga hält.

Der Routinier war einst der Familie zuliebe aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, nun sind die drei Söhne alt genug, um ihrem Vater bewusst zuzuschauen. Deshalb hat Bitter auch nicht Nein gesagt, als der DHB ihn anrief. Gegen die Niederlande stand er zum 145. Mal im deutschen Tor, wenn auch nur kurz. Aber nicht nur der Kreisläufer Patrick Wiencek ist sicher: "Jogi mit seiner Erfahrung wird uns noch helfen."

© SZ vom 11.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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