Handball-EM: Remis für Deutschland:Das zweite Gesicht

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Beim 34:34 gegen Slowenien zeigen die deutschen Handballer eine katastrophale und eine brillante Halbzeit - und schaffen erst in der letzten Minute den Ausgleich.

Christian Zaschke, Innsbruck

Heiner Brand war nicht wütend. Er rastete nicht aus, er brüllte nicht. Er war auch nicht verzweifelt. Heiner Brand war ratlos, der Bundestrainer betrachtete das Spiel der deutschen Handball-Nationalmannschaft, er hatte bereits jede mögliche Formation probiert, und jetzt wusste er nicht mehr, was er tun sollte. Es lief noch immer die erste Halbzeit der Partie gegen Slowenien, und nachdem die Deutschen bereits das erste EM-Spiel gegen Polen 25:27 verloren hatten, standen sie unter Druck.

Christoph Theuerkauf sind die Anstrengungen im Spiel gegen Slowenien anzusehen. (Foto: Foto: dpa)

Sie durften nicht verlieren, aber sie spielten die wohl schlechteste Halbzeit, seit Brand 1997 den Posten des Bundestrainers übernahm. Neun Minuten hatte es gedauert, bis den Deutschen das erste Tor gelang, und anschließend spielten sie Handball der schlimmsten Sorte, fahrig, unkonzentriert, ungenau. Wäre da nicht die zweite Halbzeit gewesen, man müsste glauben, dass für diese Mannschaft das Niveau bei einer EM zu hoch ist.

34:34 (11:16) trennten sich die Deutschen schließlich von den Slowenen, sie hatten den großen Rückstand aus der ersten Halbzeit tatsächlich aufgeholt, dank eines couragierten Auftritts in den zweiten 30 Minuten, der wirkte, als stünde da eine andere Mannschaft oder zumindest eine mit anderem Gesicht. Mit nun 1:3 Punkten ist die Lage in der Vorrundengruppe nicht sonderlich gut. Ein Sieg gegen Schweden am Freitag würde die Lage verbessern - in der Form der zweiten Halbzeit ist ein Sieg gegen die Skandinavier möglich; in der Form der ersten Halbzeit bekäme die deutsche Auswahl auch gegen die wackeren Handballer Grönlands große Probleme.

Bei der deutschen Mannschaft, das ist bei diesem Turnier bisher zu sehen, funktioniert manches recht gut, manches dafür gar nicht. Die Abwehr ist, wie so oft, meist das beste am Spiel der Auswahl, sie steht robust und doch beweglich, sie rüttelt die Gegner durch, ohne brutal zu werden, sie spielt mit großer Leidenschaft, angeführt vom unermüdlichen Oliver Roggisch. So war es gegen die Polen, so war es bisweilen gegen die Slowenen, wenn auch die Defensive im zweiten Spiel nicht mehr ganz so gut stand.

Das Offensivspiel der Deutschen holperte gegen Polen wie lange nicht mehr, gegen die Slowenen fand es lange Zeit überhaupt nicht statt. Gegen Polen war das Verhältnis von Würfen zu Treffern so sagenhaft schlecht, dass es auf den ersten Blick wie ein kleines Wunder erscheint, dass die Partie nur 25:27 verloren ging. Auf den zweiten Blick ist klar, dass das an der exzellenten Abwehr lag.

Das Spiel gegen die Polen war eines, in dem beide Mannschaften über den Rückraum zum Erfolg kommen wollten. Sie wollten das so sehr, dass die jeweiligen Außenspieler sich einen gemütlichen Ohrensessel an die Außenlinien hätten stellen können, um dort in Kissen versunken dicke Bücher durchzulesen - es hätte den Spielverlauf nicht geändert.

Wer aus dem Rückraum zum Erfolg kommen will, muss die Rückraumwerfer in Position bringen. Das klingt vergleichsweise simpel und ist gegen eine leidenschaftliche Abwehr wie die Polens oder Sloweniens vergleichsweise schwierig. Man muss die großen, schweren, grimmigen Männer ans Laufen bringen, von links nach rechts und wieder zurück, schneller und schneller, bis sich im Verbund der großen, schweren, grimmigen Männer eine Lücke auftut. Durch die - so die Theorie - jagt dann einer der Werfer die Kugel mit Wucht und durchaus auch einer gewissen Freude ins Tor. Anschließend dreht er wild jubelnd ab und gestikuliert in eine Richtung, in der er Gleichgesinnte vermutet.

Brands Kritik

In der Praxis stand die polnische Abwehr jedoch fest wie ein Gebirgsmassiv, nichts geriet da ans Laufen, was auch daran lag, das die Deutschen es nicht richtig versuchten. "Wir haben im Angriff viel zu oft ohne Vorbereitung abgeschlossen", sagte Bundestrainer Heiner Brand. Die Vorbereitung, das ist genau jene Phase, in der Bewegung in die gegnerische Abwehr kommen muss, es ist die Phase, in der sich eine Mannschaft das Tor erarbeitet.

"Die Spieler sind ja nicht faul", sagte Brand, "aber sie haben eben zu wenig für die Tore getan." Das führte dazu, dass Lars Kaufmann zwar sieben Treffer erzielte, aber auch elfmal scheiterte - eine furchtbare Quote. Holger Glandorf und Michael Müller spielten im rechten Rückraum noch schlechter, und weder Michael Kraus noch Michael Haaß gelang es auf der Mittelposition, einen Rhythmus ins deutsche Spiel zu bringen.

"Selbst wenn wir in Unterzahl waren, sind wir noch gerannt, als ob wir es eilig hätten", sagte Brand, "und in Überzahl haben wir nie das gespielt, was wir uns vorgenommen haben. Keiner hat das umgesetzt, was wir besprochen hatten." Diese für Brands Verhältnisse durchaus harsche Kritik richtet sich auch an Kapitän Kraus, der auf dem Parkett Brands verlängerter Arm sein und die Mannschaft führen soll. In der Vorbereitung gelang das noch nicht wie geplant, und auch zu EM-Beginn nicht.

Gegen die Slowenen klappte dann eine Halbzeit lang gar nichts mehr, auch in der zweiten Hälfte dauerte es fast eine Viertelstunde, bis die Deutschen den Rückstand allmählich verkürzen konnten. Die letzten 15 Minuten spielten sie wie im Rausch, fast alles gelang nun, und am Ende, in der letzten Minute, eröffnete sich sogar die Chance zum Sieg - doch die vergab das Team.

© SZ vom 21.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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