Handball-EM:Gegen die großen Idole

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Auch mit 39 Jahren noch kräftig genug: Nikola Karabatic (Mitte) setzt sich gegen die Schweizer Abwehr durch. (Foto: Odd Andersen/AFP)

Das letzte Spiel der Vorrunde gegen Frankreich ist für die deutschen Handballer enorm wichtig, weil die Punkte schon für die Hauptrunde zählen. Juri Knorr sagt, er habe Respekt vor Karabatic und Co. - aber keine Angst.

Von Ralf Tögel, Berlin

Plötzlich kam Andy Schmid in Fahrt. Natürlich sei dieses 26:26 gegen den Topfavoriten Frankreich bei der Handball-EM eine Genugtuung gewesen, nach der Pleite im Eröffnungsspiel gegen Deutschland vor 53 000 Zuschauern. "Da waren 3500 Schweizer in Düsseldorf und haben viel Geld bezahlt, dass sie uns zuschauen können", sagte Schmid.

Die Worte purzelten immer schneller aus dem Mund des 40-Jährigen, bis er sich einfach die Fragen selbst stellte und beantwortete, wie einst Klaus Augenthaler bei seiner legendären Pressekonferenz als Trainer des VfL Wolfsburg. "Was es für uns war?", hob der Schweizer Spielmacher an: "Weil die Frage sicher gekommen wäre: mehr als Genugtuung. Wir haben selten so auf die Fresse bekommen wie in den letzten drei Tagen, berechtigt. Wir hatten im Schweizer Fernsehen Einschaltquoten wie noch nie im Handball, und dann werden wir wie auf einem Spielplatz von den Deutschen herumgeschoben. Was es für mich bedeutet? Weil die Frage auch gekommen wäre: extreme Genugtuung. Wenn ich etwas nicht leiden kann, ist es, wenn die Leute sagen, ich bin zu alt. Weil ich weiß, dass ich gewisse Sachen noch in mir drin habe. Ich bin nicht mehr so spritzig und schnell, den Rest muss ich über den Kopf machen - und schlau bin ich immer noch." Seine Einlassung schloss Schmid mit einem Appell an die deutsche Mannschaft: "Wenn sie uns mit 13 Toren schlagen können, dann auch Frankreich."

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Das sehen die deutschen Spieler etwas anders, es ist Hochachtung zu spüren vor dem Rekordweltmeister und Olympiasieger - der neben den Dänen der große Titelfavorit ist. "Ich sehe uns nicht auf Augenhöhe", sagt Juri Knorr, der das deutsche Team bisher so bravourös angeführt hat. Als er mit 18 Jahren in das Ausbildungscenter nach Barcelona wechselte, habe er mit Größen wie Dika Mem oder Ludovic Fabregas zusammengespielt: "Das sind immer noch Idole, zu denen ich aufschaue." Das waren auch die beiden Akteure, die gegen die Eidgenossen den Punkt sicherstellten. Gleichwohl: "Wir sollten Respekt haben, aber keine Angst", sagt Knorr, der "das Taktische" als ausschlaggebend ansieht, er glaubt, "das Mentale" werde entscheiden: "Es kommt darauf an, ob wir emotional dagegenhalten können."

Nikola Karabatic, der große alte Mann des Handballs, freut sich schon auf die EM-Gastgeber

Trainer Alfred Gislason misst dem Patzer der Bleus ohnehin keine Bedeutung zu: "Das spielt gar keine Rolle, wir müssen eine riesige Leistung bringen, um eine Chance zu haben." Beim jüngsten Aufeinandertreffen im Viertelfinale der WM 2023 war das deutsche Team 40 Minuten lang das bessere, scheiterte dann aber an seiner miesen Chancenverwertung, also an den Nerven. Denn der Olympiasieger hat diese mentale Wettkampfhärte, die Spieler sind gestählt durch unzählige dieser K.-o.-Spiele auf höchstem Niveau.

Allen voran Nikola Karabatic, der große alte Mann des Handballs. Er weiß genau, was sein Team gegen die Deutschen besser machen muss: "Bis auf die Abwehr alles." Sonderlich nervös wirkt der dreimalige Welthandballer allerdings nicht, trotz der fantastischen Heimkulisse: "Es ist immer geil, gegen die Heimmannschaft zu spielen, das haben wir schon oft gemacht."

Individuell ist das deutsche Team unterlegen, aber das waren die Schweizer auch. "Wir müssen über unser Tempospiel einfache Tore erzielen", erklärt Knorr, im Positionsspiel habe Frankreich Vorteile. Dafür benötige es "neben einer starken Abwehr gute Torhüter", so Knorr, beides ist erwiesenermaßen im deutschen Team vorhanden. Der Trainer jedenfalls glaubt an eine Überraschung: "Wir wollen gewinnen, auch wenn die Experten uns das nicht zutrauen."

Es wäre nicht die erste Überraschung bei dieser EM, denn neben dem Patzer der Franzosen gegen die Schweiz gab es schon einige unerwartete Ergebnisse. In der Gruppe B bekam Mitfavorit Spanien eine Zehn-Tore-Abreibung von Kroatien, das in den vergangenen Turnieren keine Rolle gespielt hatte. Die Kroaten wiederum gaben gegen Österreich einen Punkt ab, Geheimfavorit Island schaffte gegen Serbien ebenfalls nur ein Remis und vermied das vorzeitige Aus mit einem Zittersieg gegen Montenegro. Und die Färöer trotzten den Norwegern, ebenfalls im erweiterten Favoritenkreis, einen Punkt ab.

Jeweils die beiden Ersten der sechs Vorrundengruppen kommen in die Hauptrunde, die Punkte aus dem direkten Vergleich werden mitgenommen. Dort könnte jede weitere Niederlage das Ende bedeuten, denn wiederum nur die beiden Besten der beiden Hauptrundengruppen ziehen ins Halbfinale ein. Was das für die Partie gegen Frankreich bedeutet, erklärt Timo Kastening so: "Weil man die Punkte mitnimmt, ist das unser erstes Hauptrundenspiel."

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