Kai Häfner:Der Löcherreißer

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Ein typischer Häfner: Ein Abwehrspieler hängt an seinem Trikot, der zweite eilt herbei, doch Häfner setzt sich durch. (Foto: Radovan Stoklasa/Reuters)

Im ersten EM-Spiel der deutschen Handballer sticht Rückraumspieler Kai Häfner heraus. Trotz des Sieges gegen die starken Belarussen hat die junge Mannschaft immer noch kein Gefühl, wo sie genau steht.

Von Carsten Scheele

Furchtlos ist das Adjektiv, das das Handballspiel von Kai Häfner am besten beschreibt. In der sicheren Erwartung, dass gleich diverse Abwehrarme auf ihn einprasseln, die böse Schmerzen verursachen, zwängt sich der Linkshänder durch noch so kleine Lücken. Die Fotografen schießen dann immer hübsche Bilder, wenn Häfner nach vorne prescht, obwohl ihm zwei Abwehrspieler in den Armen hängen, er aber immer weiterzieht, noch einen Meter, noch ein Stückchen.

Das tut zwar weh, ist aber wertvoll: Am Ende seiner Slalomfahrt durch das Abwehrwirrwarr hat Häfner entweder beide Gegenspieler abgeschüttelt und lässt den Ball aufs Tor zischen. Oder sein Nebenmann steht derart frei, dass er den Ball nur noch rüberpassen muss.

"Kai war überragend", sagte Bundestrainer Gislason über seinen Spieler Häfner. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Beim ersten Spiel der deutschen Mannschaft bei dieser Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei hat Häfner so ziemlich alles abgeräumt, was es zu holen gab. Erst wurde er in Bratislava zum besten Spieler der Partie gewählt, nach seinen acht Toren beim 33:29 (17:18) zum EM-Auftakt gegen Belarus. Er heimste dafür ein Sonderlob des Bundestrainers ein - und dann gelang ihm auch noch der beste Spruch von allen.

Dazu muss man wissen: Häfner, Europameister von 2016, tritt bei der EM als erfahrene Kraft inmitten einer neu formierten, teilweise sehr jungen deutschen Mannschaft an. Es ist schwer zu prognostizieren, was sportlich diesmal möglich ist. "Wir wussten nicht, wo wir stehen", sagte Häfner nach dem Sieg gegen Belarus: "Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich das nach diesem Spiel auch noch nicht genau."

"Das war das beste Spiel, das ich überhaupt von ihm gesehen habe", lobt Bundestrainer Gislason

Bei einer Auftaktniederlage wäre der Druck aufs deutsche Team erheblich gewesen, deshalb war die Erleichterung spürbar. "Wir sind umso glücklicher. Der Sieg tut gut und stimmt uns positiv", sagte Häfner nach diesem komplizierten Auftaktspiel, in dem die Mannschaft des Deutschen Handballbunds (DHB) anfangs einem Fünf-Tore-Rückstand hinterherlaufen musste und bis tief in die zweite Halbzeit brauchte, um sich entscheidend abzusetzen.

Es war Häfner, der auch in den kniffligsten Minuten famose Anspiele an den Kreis fertigte, wichtige Löcher für die Kollegen riss und immer wieder selbst traf, acht Mal, ebenso häufig wie sein Kollege auf Linksaußen, Marcel Schiller. "Kai hat in meinen Augen absolut überragend gespielt", lobte Bundestrainer Alfred Gislason: "Das war das wahrscheinlich beste Spiel, was ich jemals von ihm gesehen habe - und ich habe einige Spiele gesehen." Häfner kaschierte, dass manches andere nicht so gut lief: Die Torhüter parierten wenig bis nichts, die Abwehr hatte erhebliche Probleme, den belarussischen Kreisläufer Artsem Karalek in den Griff zu bekommen. Über Außen kamen die Gegner viel zu oft zu leichten Toren.

Im Nationalteam war Häfner im rechten Rückraum häufig nur zweite oder dritte Wahl - vielleicht, weil er nie für einen Champions-League-Klub spielte, stattdessen in Göppingen, Balingen und Hannover, jetzt in Melsungen. Doch schon einmal hat er die Platzhirsche auf seiner Position bestens vertreten: Vor sechs Jahren, beim überraschenden Europameistertitel, wurde Häfner nachnominiert und hatte seinen besten Moment, als er im Halbfinale in der Verlängerung gegen Norwegen den Ball Sekunden vor der Schlusssirene zum entscheidenden 34:33 ins Netz schmiss. Zwei Tage später, im Finale gegen Spanien, war er mit sieben Toren dann bester Schütze der deutschen Mannschaft, die den Titel holte, völlig überraschend.

Jetzt ist Häfner mit 32 Jahren der zweitälteste Spieler im Kader und leitet die Kollegen immer deutlicher an. Gegen Belarus waren es überhaupt die erfahrenen Leute wie Häfner, Schiller (30), Mittelmann Philipp Weber (29) oder Rückraumschütze Julius Kühn (28), die das Spiel in der zweiten Halbzeit drehten. Umso bitterer die Nachricht, dass jener Kühn erst mal ausfällt. Am Samstagabend kam die Nachricht, dass er positiv auf Corona getestet wurde. Er sei symptomfrei und gehe in Isolation, teilte der DHB mit. Weitere Coronafälle gab es zunächst nicht zu vermelden, Kühn fällt damit für die Vorrunde aus, könnte aber bei negativen Tests nach fünf Tagen die Quarantäne wieder verlassen - also zur Hauptrunde, falls Deutschland sich qualifiziert.

Dass die Mannschaft ihn braucht, das ist sicher, denn gegen Belarus brachte Gislason die vielen jungen, aber unerfahrenen Kräfte des Kaders entweder gar nicht oder nur sporadisch; als wollte er Julian Köster und Co. nicht gleich zum Auftakt gegen einen solchen Gegner einer harten Prüfung unterziehen. Die Achse Häfner-Weber-Kühn funktionierte gut, wie bereits in der Vorbereitung beim überraschenden Erfolg über Olympiasieger Frankreich.

Im zweiten Spiel gegen Österreich (Sonntag, 18 Uhr, ARD) gilt es nun, manches besser zu machen und einen großen Schritt in Richtung Hauptrunde zu tätigen, wobei: Was soll einer wie Kai Häfner schon groß besser machen? Noch mehr Löcher reißen? Kaum möglich. Noch mehr Schmerzen ertragen? Bitte nicht! Soll er doch einfach vorangehen und die Kollegen mitziehen. Furchtlos, natürlich.

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