Deutsche Handballer vor der EM:Mutmacher vor einem schweren Turnier

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Deutschlands Johannes Golla (vorne) gegen Frankreichs Nikola Karabatic - die DHB-Mannschaft besiegt Frankreich knapp. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Die deutschen Handballer fahren deutlich verjüngt, aber mit einem unerwartet guten Gefühl zur EM - dort wartet eine schwierige Gruppe.

Von Carsten Scheele

Deutschland gegen Frankreich, solche Duelle werden ja traditionell erst in den Schlusssekunden entschieden. Diesmal war es nicht Daniel Narcisse, der noch einmal zum Sprungwurf ansetzte, in der letzten Aktion aber am deutschen Torwart Henning Fritz scheiterte, das war 2007 im WM-Halbfinale, eine Schlacht. Am Sonntagabend stand es 34:34, als Luca Witzke zwei Sekunden vor Abpfiff einen Stemmschritt nach vorne machte und den Ball, verdeckt für den französischen Torwart Vincent Gérard, durch einige Abwehrarme hindurch ins linke, untere Eck zischen ließ. 35:34, mit der Schlusssirene.

Die deutschen Spieler ließen Witzke, der mit vier Länderspielen fast noch als Novize gilt, nach dessen Prachtwurf hochleben und freuten sich auffallend euphorisch. Ein Sieg gegen den Olympiasieger, der erste seit neun Jahren, das ist schon was. Trotzdem wollte niemand im Tross des Deutschen Handballbundes (DHB) den Testspielsieg kurz vor dem Start der Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei (13. bis 30. Januar) zu hoch bewerten.

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EM-Generalprobe geglückt: Ein Wurf in letzter Sekunde bringt dem jungen, deutschen Team den unerwarteten Testspielsieg gegen den Olympiasieger.

Weil er eben genau das war: ein Testspielsieg.

So konstatierte Bundestrainer Alfred Gislason zwar, er habe gegen den EM-Mitfavoriten "viel Positives gesehen"; besonders in der zweiten Hälfte, als es seiner Mannschaft gelang, den Fünf-Tore-Rückstand (16:21) in einen Sieg zu verwandeln. Gislason konnte dabei alle Spieler testen, er gab beiden Torhütern (Andreas Wolff, Till Klimpke) viel Spielzeit, probierte im rechten Rückraum mit Kai Häfner und dem abwehrstarken Erlanger Christoph Steinert eine neue Kombination aus; auch Djibril M'Bengue, die Überraschungsnominierung vom FC Porto, traf ins Tor. Und den letzten Wurf nahm eben nicht etwa Häfner, der in dieser Disziplin einige Erfahrung vorzuweisen hat, sondern der junge Leipziger Witzke.

"Man gewinnt nicht alle Tage gegen eine Topnation", sagt Julius Kühn

"Dieses Spiel war sehr wichtig für uns", sagte Gislason. Schließlich war es in den vergangenen Tagen doch eher darum gegangen, ob der Isländer mit seinem auffällig verjüngten Team - ohne erfahrene Recken wie Hendrik Pekeler, Paul Drux und Fabian Wiede - bei der EM überhaupt eine Chance haben würde. Ein vorsichtiges "Ja" böte sich nun wohl als Antwort an.

Zwei Testspiele, zwei Siege: Bundestrainer Alfred Gislason freut sich mit Kapitän Johannes Golla. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Gislason machte aber ebenso klar, dass eine Ansetzung gegen den Olympiasieger im Ernstfall wohl anders enden würde. "Normalerweise gewinnst du nicht mit 13 technischen Fehlern gegen Frankreich", urteilte der 62-Jährige. In der Tat hatte auch sein französischer Kollege Guillaume Gille viel getüftelt und ausprobiert, wie es Trainer vor dem Turnierstart gerne tun. Hätte er Spitzenkräften wie Dika Mem, Ludovic Fabregas (beide FC Barcelona) und Kentin Mahé (KC Veszprém) mehr Spielzeit gegeben oder Torwart Gérard (Paris Saint-Germain) früher ins Tor zurückbeordert, hätten die Franzosen die Partie wohl locker nach Hause gespielt. Auffällig war: Agierte Frankreich mit der Stammbesetzung, hatten es die Deutschen schwer. Brachte Gille die jüngeren Spieler, ergaben sich Lücken.

Doch als Mutmacher vor dem Turnierstart taugte der unerwartete Sieg allemal. "Man gewinnt nicht alle Tage gegen eine Topnation wie Frankreich", sagte Rückraumspieler Julius Kühn. Dies gebe dem Team "eine breitere Brust", was die EM angehe. Der neue Kapitän Johannes Golla ergänzte: "Jeder hat heute gesehen, dass wir auf diesem Niveau Handball spielen und mithalten können." Man nehme die Gewissheit mit, "dass wir jeden schlagen können", auch bei der Europameisterschaft.

Etwas defensiver ordnete Rechtsaußen Timo Kastening die Lage ein. Es sei richtig, dass bei der EM alles passieren könne: "Genau, alles. Wir können auch in der Vorrunde rausfliegen, wenn wir denken, wir können schon weiterdenken."

Mittelmann Philipp Weber soll bis zum Turnierstart wieder fit werden

Schließlich gilt es keineswegs als gesichert, dass die deutsche Auswahl in der anspruchsvollen Vorrundengruppe mit Belarus, Polen und Österreich sicher in die Gruppenphase einzieht. In den Tests gegen die Schweiz (30:26) und eben Frankreich griff vieles ordentlich bis gut ineinander; wie die jungen Spieler unter Ernstfallbedingungen bei der EM auftreten, ist eher ungewiss. Gegen Frankreich waren es vor allem die erfahrenen Akteure wie Häfner (114 Länderspiele), Kühn (87 Länderspiele) und Philipp Weber (55 Länderspiele), die die entscheidenden Aktionen setzten, von Witzkes Buzzer Beater einmal abgesehen. "Wir sind noch nicht eingespielt im Angriff, wenn man von der Achse Kühn-Weber-Häfner absieht", bestätigte Gislason.

Umso wichtiger ist es, dass Mittelmann Weber bis zum ersten EM-Spiel fit wird. Der Magdeburger hatte gegen die Franzosen einen Schlag auf die Schulter des Wurfarms bekommen, Gislason sprach von einem "Schockmoment". Am Montag berichtete Co-Trainer Erik Wudtke, es gehe Weber bereits "deutlich besser". Der Spielmacher soll am Freitag im ersten Spiel gegen Belarus (18 Uhr, ARD) tunlichst auf der Platte stehen - dies übrigens vor gefüllten Rängen, denn bei der EM sind auch in der Pandemie Zuschauer auf den Tribünen gestattet. In der Slowakei wurde eine Hallenauslastung von 25 Prozent genehmigt, in der Hauptstadt Bratislava können bis zu 2500 Menschen die Begegnungen verfolgen, hier tritt auch das deutsche Team zunächst an. An den ungarischen Spielorten Budapest, Debrecen und Szeged gibt es derzeit überhaupt keine Zuschauerbeschränkungen.

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