Hamburger SV:Zu 70 Prozent abgestiegen

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Der alte und der neue Präsident: Der bei der Mitgliederversammlung unterlegene Jens Meier (l.) und der Herausforderer und spätere Sieger Bernd Hoffmann. (Foto: Christian Charisius/dpa)
  • Der HSV ist als Tabellensiebzehnter mit seinem Rückstand zum Rest der Bundesliga (sechs Punkte auf Platz 16, sieben Punkte auf Platz 15) statistisch zu etwa 70 Prozent abgestiegen.
  • Der neue HSV-Präsident Bernd Hoffmann muss sich daher auch mit dem Thema Abstieg befassen.
  • "Den Neustart, egal in welcher Liga, mit viel Geld zu machen, ist nicht meine Lieblingsvariante", sagt Hoffmann. Eine Version mit einer "Horde junger Wilder" sei ihm lieber.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Natürlich weiß Bernd Hoffmann, 55, noch genau, wann es begonnen hat, mit dem Hamburger SV und ihm als Vorstandsvorsitzenden abwärts zu gehen. Das war im April und Mai 2009, als man innerhalb von 19 Tagen viermal gegen den Nachbarn Werder Bremen antreten musste und nacheinander die Finaleinzüge in den Uefa-Cup, den DFB-Pokal sowie die Teilnahme an der Champions League verspielte. Damals sagte er: "Dieses Trauma wird aus der Geschichte des HSV nicht mehr zu tilgen sein." Auch nicht aus seiner Geschichte: 2011 musste er gehen, nachdem er zuvor Sportchef Dietmar Beiersdorfer zum Abschied getrieben hatte.

Nun, fast sieben Jahre später, tritt er erstmals wieder als Vertreter des HSV auf, ausgerechnet im Bremer Weserstadion, nachdem er vorigen Sonntag mit knapper Mehrheit zum Präsidenten gewählt wurde. Viele sind gespannt, ob er als Präsident und Aufsichtsrat der HSV Fußball AG noch einmal eine ähnliche Geschichte anschieben kann wie in seiner Zeit als HSV-Boss. Dem Klub geht es ja noch deutlich schlechter als 2003, als Hoffmann sein erstes Amt antrat. Diesmal darf er zwar offiziell nicht ins operative Geschäft eingreifen. Dafür kann er in seiner neuen Funktion die Firmen-Philosophie deutlich mitbestimmen.

Hoffmann tippt vor diesem Abstiegsschlager, dem 108. Nordderby in der Bundesliga, auf einen dreckigen 1:0-Sieg seines HSV. Genauso wichtig ist aber, wer neben ihm auf der Tribüne sitzt. Es ist Michael Krall, Chef der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Krall wurde kürzlich zum Aufsichtsratschef des HSV gewählt - in jenen Job also, den der neue Präsident selber gern ausüben würde. Der gemeinsame Auftritt soll wohl heißen: Das Duo, das sich vorige Woche in geheimer Mission ausgetauscht hat, funkt auf einer Wellenlänge. Wie es ja auch Hoffmanns erste Aufgabe in neuer Position ist, die Gräben innerhalb der zunehmend verzweifelten HSV-Mitgliedschaft zuzuschütten. Und das als "polarisierendster HSVer aller Zeiten", wie ihn das Abendblatt nannte.

Trotz seiner zuversichtlichen Derby-Prognose ist das Thema Abstieg kein Tabuthema für Hoffmann. Er weiß ja, dass der Tabellensiebzehnte mit diesem Rückstand zum Rest der Liga statistisch zu etwa 70 Prozent abgestiegen ist. Für diesen Fall - es wäre der erste Abstieg des Klubs, der als einziger seit Bundesliga-Gründung 1963 immer dabei war - hat der Diplomkaufmann eine klare Botschaft: Um aus der Misere herauskommen, brauche man eine völlig neue HSV-Geschichte. Mögliche Geschäfts-Partner könne man nur damit anlocken, dass diese sagen: "Das ist spannend, da habe ich Lust drauf, das ist ein geiles Projekt." Immerhin sei es, so Hoffmann, nirgends einfacher, "Stimmungen zu drehen als im Fußball". Für dieses Projekt brauche er im Vorstand wie im sportlichen Bereich die bestmöglichen Leute und keine aus der Liste der arbeitslosen Fußballlehrer oder Manager.

Bei einer vom HSV in Auftrag gegeben Analyse des Management-Beraters Fredmund Malik kam heraus, dass die Geschäftsstelle mit 296 Mitarbeitern nicht nur aufgebläht, sondern quasi führungslos sei. Das klingt nicht gut für Klubchef Heribert Bruchhagen, 69, und den Sportdirektor Jens Todt. Aber eine Neuformierung würde ja wieder eine Menge Geld kosten. Sportlich könnte das eventuell kostengünstiger werden.

"Den Neustart, egal in welcher Liga, mit viel Geld zu machen, ist nicht meine Lieblingsvariante", sagt Hoffmann. Eine Version mit einer "Horde junger Wilder" sei ihm lieber. So wie 2004 beim VfB Stuttgart, als etwa der junge Stürmer Mario Gomez oder der Mittelfeldspieler Christian Gentner sehr gefördert wurden. Beim Hamburger SV heißen diese jungen Wilden Jann-Fiete Arp, 18, Josha Vagnoman, 17, oder Stephan Ambrosius, 19.

Diese Talente, die aus der 2014 von Bernhard Peters neu aufgestellten Nachwuchsarbeit hervorgegangen sind, gelten als großes Plus gegenüber jener Zeit, als Beiersdorfer zwar auch fünf Millionen Euro jährlich in den Nachwuchs steckte, wobei dann aber mitunter nur elf Bundesliga-Minuten heraus kamen wie etwa beim Eigengewächs Tunay Torun.

Doch nun gibt es das Problem, dass die jüngsten HSV-Juwelen bereits europaweit begehrt sind - von reichen Klubs wie dem FC Chelsea, dem FC Arsenal, Manchester City oder dem PSV Eindhoven. Hoffmanns Ziel ist es, die Talente nun zumindest so zu binden, dass der HSV wenigstens eine anständige Ablösesumme kassiert. Das gelang zuletzt oft nicht, weil die ständig wechselnden Verantwortlichen mehr damit beschäftigt waren, einen Abstieg zu verhindern oder einen Trainer zu feuern, wie Hoffmann andeutet.

Dass Investor und Gönner Klaus-Michael Kühne den Wechsel an der Spitze des Vereins goutiert, das hat er längst durchblicken lassen. Das bedeutet wahrscheinlich auch, dass er bereit wäre, den nächsten Anlauf mitzufinanzieren, also vielleicht auch teurere Varianten des Visionärs Hoffmann. Der selbst sagt nur, Kühne bleibe "natürlich ein Hauptthema" und sei ja schon wegen seiner gut 20-prozentigen Anteile "eng mit dem HSV verbunden". Man müsse aber darauf achten, dass man selbstbestimmt bleibe. Aber womöglich doch nicht so selbstbestimmt wie im Winter, als man auf Kühnes Hilfe bei Transfers verzichtete.

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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