Hamburger SV:Der HSV zerfällt

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Die Hamburger Bobby Wood, Gideon Jung, Bakery Jatta und Torwart Tom Mickel nach dem 0:4 in Augsburg. (Foto: dpa)
  • Nach dem 0:4 in Augsburg liegt der Hamburger SV auf dem Relegationsplatz und muss den Abstieg fürchten.
  • Trainer Gisdol kämpft damit, dass er schlichtweg nicht so spielen lassen kann, wie er es möchte - Abhilfe ist kaum in Sicht.
  • Hier geht es zur Tabelle der Fußball-Bundesliga.

Von Maik Rosner, Augsburg

Er wolle keine Ausreden anführen, hat Markus Gisdol gesagt, aber er kam nicht umhin, zumindest Gründe für den Absturz auf Platz 16 zu benennen. Die beiden 1:2-Niederlagen in Bremen und gegen Darmstadt sowie dieses desolate 0:4 beim FC Augsburg seien vielleicht eine Folge der zwischenzeitlichen Aufholjagd gewesen, so der Trainer des Hamburger SV: "Ich wusste immer, dass noch mal eine kleine Delle kommt", sagte Gisdol, denn es habe "mental und körperlich viel Kraft gekostet, aus dem Nichts heranzukommen".

Gemeint war damit der Zwischenspurt nach nur zwei Punkten aus den ersten zehn Saisonspielen. Nach sechs Wochen unter Gisdol, der die Mannschaft Ende September von Bruno Labbadia übernommen hatte, schien sich der HSV zu stabilisieren. Doch inzwischen erlebt der Dauerkrisenklub einen Rückfall in dunkle Zeiten. Vier Niederlagen aus fünf Spielen sind die jüngste Bilanz - und als letzter Eindruck steht nun der Auftritt in Augsburg, der markante Züge eines Zerfalls trug.

Nicolai Müller wird an allen Ecken und Enden vermisst

Weil die Hamburger am Sonntag nicht noch mehr Gegentore als jene von Halil Altintop (28./42.), Philipp Max (76.) und Raúl Bobadilla (85.) hinnehmen mussten, durfte sich Tom Mickel nach seinem zweiten Bundesliga-Einsatz als einziger Gästespieler belobigen lassen. Der dritte Torwart war als Vertreter der verletzten René Adler und Christian Mathenia eingesprungen und hatte, wie Gisdol sogar untertrieb, "seine Sache wirklich gut gemacht". Für die anderen Hamburger galt der Befund von Verteidiger Mergim Mavraj: "Nicht erstligawürdig" habe man agiert, es sei keine schlechte, sondern "gar keine Leistung" gewesen: "Wir haben nicht das Gesicht einer Mannschaft gezeigt, die drin bleiben will."

Vor den verbleibenden drei Saisonspielen - daheim gegen die Abstiegskonkurrenten Mainz und Wolfsburg sowie zwischendurch in Schalke - lautet die Frage, ob der HSV überhaupt noch einmal jenes Gesicht zeigen kann, das sie im Verein als das wahre bezeichnen. Mehr scheint bei vier Punkten Vorsprung auf den Vorletzten Ingolstadt allerdings auf die dritte Relegation in vier Jahren hinzudeuten. Zumal die jüngste Krise eng mit mindestens einem der zahlreichen Verletzten verbunden ist.

Beim 2:1-Sieg gegen Köln am 1. April hatte sich Nicolai Müller einen glatten Durchriss des Innenbandes im linken Knie zugezogen. Seither fehlt der Topscorer (fünf Tore, sieben Vorlagen) Und damit fehlt nicht nur der zweite flinke Flügelspieler neben Filip Kostic, der nach Gelbsperre gegen Mainz zurückkehrt. Durch Müllers Absenz hat sich die gesamte Spielweise verändert. Der Pressingstil, den Gisdol etabliert hatte und der wesentlich zum Zwischenhoch beitrug, ist mit dem aktuellen Personal nicht umsetzbar. Ein 2:1 gegen Hoffenheim gelang zwar auch ohne Müller. Doch bei den weiteren vier Niederlagen fehlte er als Impulsgeber, offensiv wie defensiv.

HSV deklassiert
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Der Hamburger SV verliert 0:4 in Augsburg, hätte aber auch acht Gegentore kassieren können. "Jeder ist betroffen von der Leistung, die wir heute gezeigt haben", sagt Trainer Markus Gisdol.

Von Maik Rosner

Auch auf diesen Grund für die zurückgekehrte Misere ist Gisdol eingegangen, ohne seinen wohl wichtigsten Kicker namentlich zu erwähnen: "Ich kann die Situation schon gut beurteilen, mit welchem Personal wir aktuell spielen müssen", sagte er. Ob ohne Kostic und Müller der gesamten Spielanlage die Rasanz fehle, wurde Gisdol gefragt? "Grundsätzlich ist es so, dass fast alle Mannschaften in der Bundesliga, vielleicht von Platz sechs abwärts, Schwierigkeiten haben, wenn Stammspieler ausfallen", antwortete der Trainer ausweichend.

Die Hamburger weigern sich beharrlich, die Mannschaft weiter zu verunsichern.

"Nächsten Sonntag brennt bei uns das Stadion, das ist zu 100 Prozent sicher", sagte Gisdol lieber im Brustton einer Überzeugung, die so unvermittelt daherkam wie ein Schneesturm über der Hansestadt im Hochsommer. Der Trainer hofft, dass seine Belegschaft im Endspurt eine erneute Wende schafft: "Ich weiß, dass die Mannschaft gute Nehmer-Qualitäten hat, um dann wieder da zu sein, wenn es drum geht", sagte er, "und ich weiß auch, dass wir zu Hause eine Macht sein können. Wir haben noch zwei Heimspiele, in denen wir alles regeln können. 20 Tage noch mal alles reinzuhauen, das werden wir machen." Zudem prüft Gisdol die Möglichkeit eines Kurz-Trainingslagers in dieser Woche.

Und personell? Gegen Mainz könnte neben Kostic auch Keeper Mathenia zurückkehren, eine Woche später vielleicht Adler, im letzten Ligaspiel womöglich Albin Ekdal. Und eine kleine Hoffnung besteht auch bei Müller. Wohl eher nicht für den regulären Ligabetrieb, aber womöglich für die drohende Relegation, die mittlerweile beinahe genauso eng mit dem Dino verbunden wird wie jene Uhr, die in der eigenen Arena die Jahre der Hamburger Bundesliga-Zugehörigkeit sekundengenau zählt.

Als einziges Gründungsmitglied hat sich der HSV seit 1963 durchgehend in der Liga gehalten. Im Nachsitzen, im Rückspiel der Relegation 2015 beim Karlsruher SC, hatte Müller einmal maßgeblich dazu beigetragen. Mit seinem entscheidenden Tor zum Klassenverbleib in der 115. Minute.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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