Hamburger SV:Aufstand der Traditionalisten

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Ein Spielerberater als Sportchef? Eine Debatte über den Kandidaten Roman Grill überlagert beim HSV die Freude über die Tabellenführung. Auch Spieler mischen sich ein.

Jörg Marwedel

Es ist ja durchaus so, dass Bernd Hoffmann, der Chef des Hamburger SV, nach guten Spielen gerne ein wenig unter den Journalisten verweilt und zuweilen die eine oder andere aufschlussreiche Bewertung abgibt. Am Sonntagabend, der HSV hatte mit dem 3:1 gegen den 1. FC Köln gerade die Tabellenspitze der Bundesliga erklommen, hätte der Vorstandsvorsitzende wohl gerne wieder ein bisschen geplaudert. Aber diesmal fand er es ratsamer, sich schnell zurückzuziehen. Auch der frühere Präsident und jetzige Aufsichtsrat Ronald Wulff ("Kein Kommentar") und der Vorsitzende des Gremiums, Horst Becker, wollten nichts sagen über jene internen Debatten, die am Dienstagabend wohl ein Finale erleben, von dem man noch nicht so genau weiß, wie es ausgehen wird. Becker ließ sich vorsichtshalber gar nicht im Pressesaal sehen.

Seinen wahrscheinlich neuen Sportchef Roman Grill kennt Piotr Trochowski bestens. (Foto: Foto: AP)

Es geht um den neuen Sportdirektor des Hamburger SV, den Nachfolger des im Juni nach endlosen Streitigkeiten mit Hoffmann ausgestiegenen Dietmar Beiersdorfer. Favorit des Vorstands ist der bisherige Spielerberater Roman Grill, 43, der auch den HSV-Nationalspieler Piotr Trochowski betreut. Zunächst schien es, als habe Hoffmann politisch wieder alles richtig gemacht. Er hatte den Personalausschuss des Aufsichtsrats von Grill überzeugt.

Der Ausschuss wiederum gab dem internen Kandidaten Bernd Wehmeyer - früher HSV-Profi, später unter Uwe Seeler zwei Jahre sportlicher Manager und derzeit Klubmanager für verschiedene Aufgaben - das Zeichen, er solle seine Bewerbung zurückziehen; er habe keine Chance mehr. Was Hoffmann womöglich unterschätzt hatte: Die ihm im Grunde durchaus gewogene Kontrollrunde, die auch über die Einstellung des Sportdirektors entscheidet, musste dieses politische Spielchen teilweise aus der Zeitung erfahren. Und es gibt wohl einige, die dies Becker, dem eine große Nähe zum Klubchef Hoffmann nachgesagt wird, extrem übel nehmen.

Und es gibt auch jene, die aus Traditionsgründen lieber einen alten HSV-Spieler wie Wehmeyer auf diesem Posten sähen als jemanden von auswärts. Vor allem, weil schon Hoffmann und seine Vorstandsvertraute Katja Kraus keinen HSV-Stallgeruch haben.

Ausgerechnet der HSV-Profi Frank Rost hat vor der Entscheidung noch einmal kritisch nachgehakt. Im Hamburger Abendblatt sagte er voraus, die Personalie Grill werde "zu unbequemen Diskussionen führen". Am Sonntag führte er im Fernsehsender Sky aus: "Es wirft Fragen auf, wenn ein Spielervermittler dieses Amt übernehmen soll." Auch, weil Grill bislang den HSV-Profi Trochowski berät. Selbst wenn Grill aus seiner Agentur acta7 aussteigt, könnte das Thema womöglich immer wieder hochkommen.

Theoretisch hätte er dank seines guten Drahtes zu Hoffmann und Kraus ja jetzt schon dazu raten können, Rafael van der Vaart nicht zurückzuholen, weil das eventuell seinem Klienten Trochowski geschadet hätte - ein konstruiertes Beispiel allerdings, denn der HSV ist am Holländer derzeit nicht mehr interessiert. Auch beim FC Bayern hatte Grill einst als Mitarbeiter der Presseabteilung eine ungewöhnliche Zwischenrolle eingenommen. Als Bayern-Angestellter betreute er gleichzeitig Bayern-Profis wie Philipp Lahm oder Owen Hargreaves.

Abstimmung am Dienstag

Ebenfalls ungewöhnlich ist es aber, dass Frank Rost auch öffentlich eine so klare Position bezieht. Er plädiert wie die Traditionalisten für Bernd Wehmeyer, der in der Mannschaft ein hohes Ansehen genieße, aber vom Vorstand nicht gewollt werde. Nun wird womöglich am Dienstagabend außer über Grill auch noch über den früheren Bayern-Profi Oliver Kreuzer abgestimmt, der derzeit als Sportdirektor bei Sturm Graz tätig ist. Wobei: Auch Kreuzer erwägt einen Verzicht. Dann wäre vermutlich trotz einiger Gegenstimmen der Weg für Roman Grill frei, der acht der zwölf Stimmen aus dem Aufsichtsrat braucht.

Helfen könnte Hoffmann bei diesem Voting aber das derzeit gute sportliche Abschneiden. Obwohl inzwischen - unangenehm genug für den Vorstand - herauskam, dass der angeblich ablösefreie Zé Roberto doch eine Summe von etwa vier Million Euro kostete, die der Vermittler Juan Figer beim Klub Nacional Montevideo abrief, so gibt es nun bereits den nächsten, allerdings erfreulicheren Fall, der viel Geld kosten könnte.

Der gegen Köln überragende Stürmer Paolo Guerrero will seinen 2010 auslaufenden Vertrag gern verlängern. Die zwei Tore am Sonntag, dank derer er die Spitze in der Torjägerliste übernahm, sind freilich auch ein Argument für seine Vorstellung von angeblich 4,5 Millionen Euro Gehalt jährlich. Dafür müssten die Hamburger wohl erneut einige finanzielle Verrenkungen unternehmen.

Angeblich möchte der Peruaner - den Trainer Labbadia sogar im Urlaub anrief, um ihm zu sagen, dass er sich sehr freuen würde, wenn er bliebe - "das Vertrauen" auch an seinem Geldbeutel spüren. Vielleicht wird das ja die erste Aufgabe für Roman Grill - falls der Aufsichtsrat dem Klubchef Hoffmann und dem Kandidaten Grill am Dienstagabend nicht noch einen Strich durch die Rechnung macht.

© SZ vom 01.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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