"Hängende Spitze":Die nächste Frank-Mill-Kopie

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André Silva kann's nicht glauben. (Foto: Sven Sonntag/Picture Point/imago)

Der Leipziger André Silva schießt den Ball statt ins leere Tor an die Latte? Auch dafür kann man berühmt werden, aber es ist halt immer noch ein anderer berühmter.

Von Philipp Selldorf

Sobald in der Bundesliga ein Spieler das leere Tor nicht trifft, dauert es nicht länger als 0,2 Sekunden, bis jemand Frank Mill sagt. Frank Mill ist die nationale Maßeinheit für eine nicht eingelöste Treffergarantie, seit jenem 9. August 1986, als er im Trikot von Borussia Dortmund allein aufs torwartfreie Münchner Tor zulief und den Moment so lang auskostete, bis doch noch ein Spieler des FC Bayern herankam und Mill den Ball an den Pfosten setzte. Seitdem muss er über diese Szene sprechen, wieder und wieder, seit mehr als 35 Jahren, und am Samstag war es bestimmt wieder so weit, in Leipzig trat ein Frank-Mill-Moment ein: Das Tor stand für André Silva im vollen Flächenmaß zum Einschuss bereit, weil Gladbachs Schlussmann Yann Sommer einen Ausflug unternommen hatte, von dem es keine Rückkehr gab - doch statt den Ball über die Linie zu schieben, chippte Silva ihn gegen die Latte. Warum? Wieso? Weshalb? Silva könnte es wissen, aber niemand wird ihn mehr danach fragen. Denn für dieses Thema ist weiterhin exklusiv Frank Mill, 63, zuständig.

Als 2010 Dortmunds Jakub "Kuba" Blasczykowski in Freiburg das leere Tor verfehlte, schrie Norbert Dickel, der Reporter des BVB-Fernsehens, wie von Sinnen: "Was war das denn??? Er ist doch ganz allein!!!", und recht hatte er: Kubas Schuss ins Nichts war ein Frank-Mill hoch drei, doch was passierte? Am nächsten Tag bekam Mill sechs oder sieben Anrufe von Journalisten, und alle meinten, nun sei er seinen Titel endlich los. Nur der Titelhalter wusste es besser: "Quatsch! Im Leben nicht." Recht hatte auch er. "So wie einst Frank Mill", titelte am Samstagabend nicht nur der Fernsehsender NTV. Mill ist das Original, Silva nur eine weitere Kopie.

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