Golf:Was bei Tiger Woods außer Kontrolle geraten ist

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Damals noch auf dem Golfplatz fotografiert: Tiger Woods im Jahr 2015 (Foto: AFP)
  • Erst das zertrümmerte Auto, dann immer neue Vorfälle: An die Abstürze des amerikanischen Rekord-Golfers hat sich die Welt gewöhnt.
  • Dass er bei den US Open fehlt, ist kein Thema mehr.

Von Gerald Kleffmann

Es war ein prächtiger Tag. Die Sonne erwärmte den Bilderbuch-Golfplatz in Torrey Pines an Kaliforniens Küste, das Feld lag vor der Schlussrunde, der vierten Runde der US Open, eng beisammen. Bis zur letzten Bahn hatten noch drei Profis die Chance, das Major zu gewinnen. Und ja, es wurde ein Krimi. Wenn auch mit einem Ausgang, der alte Gesetzmäßigkeiten zementierte. Die erste besagte: Lee Westwood wird nie einen Major-Titel holen. Der Engländer, einer der weltbesten Golfer, verschob auf dem letzten Grün einen Putt, der ihn ins Playoff gerettet hätte. Die zweite besagte: Tiger Woods ist nicht zu schlagen.

Zuerst nutzte der Amerikaner seine letzte Chance und lochte einen Putt ein, der ihn ins Stechen gegen Landsmann Rocco Mediate brachte. Dort setzte er sich tags darauf durch. Nach der Extrarunde über 18 Löcher hatte noch Gleichstand geherrscht, beim ersten einzelnen Extra-Loch siegte Woods. Da stand er, Bundfaltenhose, weites Shirt, Jubelpose, ein vertrautes Bild. Woods, der Rekordmann, war nun neben Jack Nicklaus der erst zweite Profi, der alle vier Majors je dreimal gewann. Sein 14. Major-Titel wirkte indes nur wie ein Zwischenschritt auf dem Weg zur golferischen Unsterblichkeit. Niemand zweifelte, dass er Nicklaus' 18 Triumphe überbieten würde.

Mitleid hätte mit Woods einst keiner in Verbindung gebracht

Wie sehr irrte die Golfbranche am 17. Juni 2008. Eldrick Tont "Tiger" Woods aus Cypress, Kalifornien, Synonym für Superstar, Marke und Perfektion in einem, sollte noch viele Schlagzeilen liefern. Nur mit Sport sollten sie immer öfter nichts mehr zu tun haben. Ein Absturz aus derartiger Fallhöhe, wie ihn der einstige Überflieger und heutige Milliardär erlebt hat, ist beispiellos in der globalen Sportwelt.

Es ist, wie bezeichnend, ein krasser Gegenschnitt, dass neun Jahre später vor den am Donnerstag begonnenen US Open kaum ein Profi auch nur kurz über Woods gesprochen hat. Er spielt in Erin Hills, Wisconsin, keine Rolle mehr, es ist, als gebe es ihn nicht. Wie sehr ihn die nächste Generation überholt hat, lässt sich auch an Themen erkennen, die nun abgefragt wurden. Rory McIlroy ist verheiratet. Dustin Johnson, die Nummer eins der Welt, wurde zum zweiten Mal Vater. Sergio Garcia, ewig ohne Major-Sieg, hat doch einen verbucht, im April beim Masters in Augusta. Er war einer der wenigen, der sich kurz zu Woods und dessen neuestem Schicksal äußerte. "Ich war erschüttert", gestand der Spanier der Schweizer Zeitung Blick.

Mitleid ist ein Gefühl, das niemand je mit Woods in Verbindung gebracht hätte. Was geriet da nur außer Kontrolle?

Woods bot ja diesmal ein zutiefst verstörendes Bild, das nichts mit dem von früher zu tun hatte. Ende Mai, am Memorial Day, wurde er morgens um drei Uhr in der Nähe seines Restaurants "The Woods" in Jupiter, Florida, von der Polizei schlafend am Steuer aufgefunden. Er musste ins Palm Beach County Gefängnis, und wie das heute ist, drangen sofort Aufnahmen an die Öffentlichkeit. Zu sehen ist, wie Woods schwankt, fast vom Stuhl fällt, seltsam singt. Beim Röhrchentest ermahnt ihn eine Polizistin, er solle "nicht lutschen", sondern pusten. Woods verzichtet nuschelnd darauf, mit dem Anwalt zu reden.

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Kurz darauf erklärte Woods seinen Zustand so: Alkohol sei nicht der Grund gewesen - "es war eine Nebenwirkung von verschriebenen Medikamenten. Ich habe nicht gemerkt, wie stark mich der Medikamenten-Mix beeinträchtigte." Er bat "aus tiefstem Herzen um Entschuldigung, bei meiner Familie, meinen Freunden und meinen Fans". Berichten zufolge habe er Angstlöser, Schmerz- und Schlafmittel eingenommen. Um sein mit Ex-Frau Elin Nordegren geteiltes Sorgerecht für die Kinder Sam, 9, und Charlie, 8, nicht zu verlieren, sei er in einer Entzugsklinik. Offiziell wurde nichts bestätigt.

Und so ist wieder vieles ein Rätsel, wie seit acht Jahren. Bald könnten die schlimmsten Jahre von Woods die Zeit seiner besten Jahren überdauern.

Wie seine Lage so eskalieren konnte, ist schleierhaft. Er pflegte nur selten, sein Innerstes preiszugeben. Um ihn herrscht ein kleiner Kosmos, bei dem selbst gut informierte amerikanische Reporter auf Granit stoßen. So ist der Ablauf, den die Öffentlichkeit mit einer wechselnden Melange aus Empathie, Besorgtheit und Fassungslosigkeit hinnimmt, im Grunde stets der gleiche: Eine Hiobsbotschaft poppt auf oder ein skandaltauglicher Vorfall, eine dürre Erklärung folgt, eine Entschuldigung oder ein hoffnungsvollerer Ausblick. Dann taucht Woods ab, ehe der nächste Vorfall jenen Kreislauf fortsetzt, der am 27. November 2009 begann. Mit einem Golfschläger und einem zertrümmerten Auto.

Damals hieß es zunächst, Woods sei nur mit seinem SUV gegen einen Hydranten geknallt. Fotos stützten aber die Annahme, dass Gattin Elin aus Wut mit einem Eisen das Gefährt demoliert habe. Es dauert nicht lange, da werden mehr und mehr Ehebrüche von Woods bekannt, auch zig Frauen aus gewissen Gewerben melden sich. Es ist der Moment, in dem die bis dahin so perfekte Fassade bröckelt.

Woods war ja das Wunderkind, von Vater Earl, einem Vietnam-Veteran, inzwischen verstorben, als Auserkorener gesehen und gedrillt worden. Mit zwei Jahren puttet er im US-Fernsehen mit Komiker Bob Hope. Mit 21 wird er jüngster, erster nicht-weißer Sieger beim Masters in Augusta. "Vielleicht sollten wir ihn aufschneiden, um zu sehen, was drin ist", sagte einmal US-Profi Stewart Cink, "vielleicht finden wir nur Schrauben und Muttern." So grandios spulte er seine Schläge ab. Selbst Gerüchte zu seinem Muskelzuwachs und manchem Kontakt zu nicht gut beleumundeten Ärzten schadeten seinem Ruf nicht. Privat lernte er Elin kennen, ein Unterwäsche-Model, Heiratsantrag in Südafrika, Hochzeit auf Barbados, unter den 150 Gästen sind Oprah Winfrey und Bill Gates, Hootie and the Blowfish musizieren. Zwei Kinder folgen, das Konto quillt über, neben dem Anwesen wohnt Céline Dion.

Wegen Sexsucht ging er zur Therapie

Wie hoch Woods gestiegen war, belegte eine Skurrilität, als das zertrümmerte Auto auftauchte. Paparazzifotos zeigten auch ein Buch, das darin lag, der Titel: "Get a Grip on Physics". Das Werk, vorher ein Flop, wurde jetzt ein Bestseller.

Die Scheidung wurde verkündet, wegen Sexsucht ging er zur Therapie, sportlich kämpfte er sich 2013 den Nummer-eins-Posten zurück. Mit Skiprofi Lindsey Vonn führte er eine skandalfreie Beziehung. Doch als Vonn das Aus nach mehr als zwei Jahren verkündete, schwang ein altbekannter Vorwurf mit: Untreue. Auch dies wirkte wie ein Wendepunkt. Als Woods sich dem 40. Lebensjahr näherte, nahmen seine körperlichen Beschwerden zu - und Spekulationen über sein sportliches Ende. "Der Künstler, der mal als Tiger Woods bekannt war", schrieb 2015 ein US-Internetportal. 2017 sagte Brandel Chamblee vom Golf Channel: "Er sieht aus wie der älteste 41-jährige Mann in der Geschichte dieses Sports." Bei CNN offenbarte Woods jüngst in Dubai, wie er gelitten habe aufgrund seines Rückens, drei Operationen waren es in vier Jahren. Es gehe ihm nun besser. Die Kinder sind sein Sinn geworden, die Stiftung, die Firmen. Tags darauf steigt er aus dem Turnier aus und flüchtet regelrecht.

Beim Masters im April, 20 Jahre nach seinem ersten Coup, erschien er als Besucher. Er wirkte versöhnt mit seinem Weg. Zu dieser US Open kommt er nicht. Woods hat andere Sorgen. Ein Arzt sagte, sein Medikamentenmix hätte auch tödlich enden können.

© SZ vom 17.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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