Glosse "Linksaußen":Tag der toten Hose

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Am Deadline Day geht es zum Glück nicht ums Überleben, sondern nur darum, wer in "Trainingsgruppe zwei" muss. Für Türkgücü bekommt der Begriff eine neue Bedeutung.

Von Markus Schäflein

Historisch betrachtet ist eine Deadline eine Grenze um ein Gefängnis, deren Übertreten den Insassen verboten ist. Entstanden ist der Begriff im amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865: Die vielen Gefangenen waren nicht mehr unterzukriegen, also trieb man sie auf freiem Feld zusammen und ritzte um sie herum eine Linie in die Erde. Die Wärter hatten von ihren Positionen aus die Todeslinie im Blick; wer sie überschritt, wurde erschossen.

Der zum Ende jeder Transferperiode wiederkehrende Deadline Day ist weniger schlimm, als sein Name vermuten lässt - es geht ja gottseidank nicht um Leben und Tod, sondern nur um die Frage, ob Spieler X künftig bei Verein Y oder Verein Z gegen den Ball tritt, was streng genommen wurscht ist. Bei manchen Klubs ist eine Parallele zum Ursprung des Begriffs aber insofern zu erkennen, als sie dermaßen viele Angestellte unter Vertrag nehmen, dass sie sich nur noch auf freiem Feld versammeln können.

So etwa beim Zweitliga-Letzten FC Ingolstadt, der in diesem Winter sechs Neue verpflichtete, darunter einen ehemaligen kosovarischen Nationalspieler und einen 19-jährigen Nordmazedonier, der zuletzt in Ungarn spielte. Bis die Neuen integriert sind, ist der FCI sicherlich schon abgestiegen, aber da kann man nichts machen. Die bisherigen Spieler, für die kein Platz mehr in der Mannschaft ist, haben nichts Schlimmeres zu befürchten, sie werden maximal suspendiert oder in eine "Trainingsgruppe zwei" geschickt, wenn sie nicht rechtzeitig vor Überschreiten der Deadline einen neuen Arbeitgeber gefunden haben.

1860-Trainer Michael Köllner hat vier Verstärkungen angekündigt, für jeden Mannschaftsteil: das war Humor

Bei manchen Vereinen ist am Deadline Day auch bloß tote Hose, etwa beim Drittligisten TSV 1860 München, bei dem Trainer Michael Köllner am Sonntag noch "vier Verstärkungen, eine für jeden Mannschaftsteil" angekündigt hatte, was selbstredend Humor war. Köllner betonte ja auch, dass Zugänge vom "Charakter" her in die Mannschaft passen müssten, und der Charakter der Löwen-Mannschaft ist halt dermaßen überragend, dass kein Kandidat dazu passte.

Einen Deadline Day der anderen Art erlebte an diesem 31. Januar Drittliga-Konkurrent Türkgücü München, der laut Vereinsmotto "überall Familie", aber nirgends Geld hat. Die bucklige Verwandtschaft kommt einfach nicht ins zugige Olympiastadion, und sie hatte auch keine Lust, Aktien des Familienunternehmens zu erwerben. Papa Kivran fühlte sich nicht mehr berufen, das ganze Brimborium alleine zu bezahlen, und so warteten Spieler, Fans und Journalisten am Tag der Todeslinie darauf, dass das Unternehmen Türkgücü/Kivran mit dem Gang zum Insolvenzgericht beerdigt werden würde.

Die Bestätigung kam dann am frühen Nachmittag - rechtzeitig zur Deadline, die es auch in Zeitungsredaktionen gibt und in diesem Fall festlegt, wann ein Artikel fertig sein muss. Bis zur Deadline dieses Textes wusste man also endlich, wie es bei Türkgücü weitergeht. Zeit für eine Schlusspointe, wie sie eine Glosse normalerweise haben sollte, war aber leider nicht mehr.

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