Glosse "Linksaußen":Mittelalter in Unterhaching

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Während selbst in Pipinsried die Instagram-Individualisten angekommen sind, erweist sich die SpVgg als völlig rückständig - und entzieht einem Reflexivpronomen der dritten Person, das sich auf Subjekte bezieht, die Eigenständigkeit.

Von Christoph Leischwitz

In Mannschaftssportarten stechen einzelne Lichtfiguren manchmal so stark heraus, dass sie sich lieber mit ihresgleichen, also anderen Goats, abgeben als mit ihren so genannten Teamkameraden - das ist eh ein tradiertes Wort. Goat hingegen ist ein modernes Akronym, es steht für "Greatest of all time". So wie CR7 ja auch ein Akronym ist. Übersetzen kann man Goat nicht nur mit "Größter aller Zeiten", sondern auch mit Ziege, was insofern passend ist, dass vor allem Ziegenböcke oft Einzelgänger-Gehabe an den Tag legen. Jetzt hat doch tatsächlich der eine Goat den anderen Goat getroffen: Der Fußball-Goat CR7 bzw. -Gott Cristiano Ronaldo trug Duschsandalen, der Football-Goat Tom Brady eine schwarze Jacke mit dicken Knöpfen. Eine Packung Ziegenkäse ist ganz gewiss reichhaltiger, als es der Inhalt ihres Dialogs auf dem Rasen war, aber es geht ja auch nur um Reichweite für social media.

Die Größten, das sind die Reichsten. Ronaldo gilt als der erste Fußball-Milliardär überhaupt. Auf Twitter knackt er bald die 100 Millionen-Follower-Marke, sein Arbeitgeber Manchester United kommt auf läppische 30 Millionen. Und der 20-malige englische Meister kann froh sein, dass er im Instagram-Abwasserkanal von CR7 noch ein bisschen Aufmerksamkeit abbekommt. Die Großverdiener sind nicht mehr die Vereine, schon gar nicht die hinterher hechelnden Verbände, sondern Torschützen mit Trademark-Jubel. Der Etat, c'est moi!

"Wir haben Marian Knecht, euer Insta ist voll schlecht" - das wäre mal ein textlicher Ansatz

Im Provinzfußball mühen sie sich redlich, mit der Individualisierungsentwicklung mitzuhalten. Marian Knecht, einst so etwas wie der Goat beim FC Pipinsried, hat auf Instagram 40 000 Abonnenten - sein Ex-Klub läppische 2000. Doch dann das: Aus den Stadionlautsprechern scheppert krächzende Musik (von der Platte? Kassette?) aus dem vergangenen Jahrhundert. Ein Bayernligaspiel verströmt den Zeitgeist einer Kolchose kurz nach der Einführung der Elektrizität: Wir, wir, wir, uns, uns uns! "Wir sind die Fans von unserm Dorfverein", heißt es etwa im FC Pipinsried-Singsang. Ja, bitteschön, wen interessiert das denn in Zeiten von ich, ich, ich? "Wir haben Marian Knecht, euer Insta ist voll schlecht" - das wäre mal ein textlicher Ansatz. Sich mal nicht so verdammt wichtig zu nehmen mit diesem "uns"!

Alte Fußballhymnen sind verzweifelte Versuche, tradierte Wir-Gefühle heraufzubeschwören, während in Wahrheit alle Zuschauer sowieso nur auf ihr Handy starren und Goat-Videos ansehen, während der Schiri dem Sechser Rot zeigt. Mit Liedzeilen wie "Bei uns da geht kein Ball ins Aus / denn unser Antrieb heißt Applaus" (SC Freiburg) bekommt der Begriff Kollektivstrafe für Fußballfans eine ganz neue Bedeutung.

Besonders mittelalterlich sind sie in Unterhaching. Dort, wo der einzig wahre Goat Christian Ziege eine Weile als Trainer arbeitete. "Uns schreibt man wir" - das haben sie sich tatsächlich auf die Busse gepinselt und in die Schals gestickt. Da wird also selbst einem Reflexivpronomen der dritten Person, das sich auf Subjekte bezieht, die Eigenständigkeit entzogen! Vergangene Woche, zum Derby gegen die Zweitvertretung des "Mia san mia"-Klubs aus der Stadt, haben sie jetzt auch noch ein, nun ja, neues Lied vorgestellt. "Da Helli" durfte auf Basis älterer Vereinslieder kompostieren, äh, komponieren und dann auch noch selbst vortragen. Darin scheint die Sonne heute "besonders schee", keiner bleibt in der Vorstadt daheim, weil alle gehen ins Stadion - und Unterhaching wird zu UNSerhaching.

Bei der Spielvereinigung (noch so ein tradierter Gemeinschaftsbegriff !) spielen Mittdreißiger im nach eigenen Angaben jüngsten Regionalliga-Team der Welt, und der Trainer Sandro Wagner, dem auf Dazn ein Millionenpublikum an den Lippen hängt, ordnet sich total unter. "Uns schreibt man wir", "Alt schreibt man jung", "Profis schreibt man Regionalliga", "Wagner schreibt man Verdi". Nein, Hachinger, so wird das nix! So laufen doch dem unterklassigen Fußball die allerletzten Goats auch noch davon.

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