Das Prinzip von Casting-Shows im Fernsehen mit singenden oder tanzenden Kandidaten beinhaltet die prompte Resonanz durch eine manchmal übertrieben emotionale Jury. Das ist im Fußballstadion nicht anders. Als die Spieler von Borussia Mönchengladbach vor zwei Wochen mit Ach und Krach 2:1 gegen den Aufsteiger Heidenheim gewonnen hatten, ließen sie sich erschöpft auf den Boden fallen und erhielten von ihren Fans erleichterten Applaus. Als die Borussen-Fußballer nun aber den VfL Wolfsburg durch Treffer von Tomas Cvancara (16.), Rocco Reitz (42.), Franck Honorat (64.) und Alassane Plea (71.) mit 4:0 besiegt hatten, da blieben die Spieler stolz stehen, warfen die Arme in die Luft und harrten gespannt der Reaktion ihres Publikums. Und die Fans sangen: "Gladbach ist der geilste Klub der Welt."
Die Fohlen-Fans besitzen eine gewisse Expertise, und womöglich stimmt ihre Behauptung sogar. Ob dies Menschen jenseits der niederrheinischen Grenzen genauso einschätzen, ist für das Gladbacher Glücksgefühl sowieso unerheblich. Fakt ist: Von den jüngsten sieben Pflichtspielen hat die Borussia vier gewonnen und nur eines verloren, sie gewann zuletzt drei Heimspiele nacheinander, holte binnen sechs Ligaspielen elf Punkte und zog im DFB-Pokal gegen Heidenheim in jenes Achtelfinale ein, in dem man am 5. Dezember schon wieder den VfL Wolfsburg empfängt.
Karrierepläne von Florian Wirtz:Noch funktioniert der Abwehrschirm
Die Eltern von Florian Wirtz treiben dessen Karriere nicht zum Zwecke der Profitmaximierung voran. Am liebsten wäre ihnen, ihr Sohn dürfte sich in Leverkusen weiter unter Trainer Xabi Alonso entwickeln - doch der besitzt eine Ausstiegsklausel für Real Madrid.
Diese neuerliche Konfrontation mit einem am Freitag überforderten Kontrahenten schürt im Borussia-Park Hoffnungen auf den Einzug ins Viertelfinale. Doch die jüngsten Ergebnisse machen in Gladbach Hoffnung auf noch viel mehr, nämlich darauf, dass in dieser Saison ein lange ersehnter Turnaround geschafft wird: Stopp und Umkehr eines zweieinhalbjährigen Absturzes.
Nach Gladbachs sensationeller Achtelfinal-Teilnahme in der Champions League im Februar 2021 (gegen Manchester City) und dem im selben Monat angekündigten Abschied des damaligen Trainers Marco Rose (zu Borussia Dortmund) ist es im Gladbacher Kader zu einem emotionalen Kollaps gekommen, den der Abschied des Sportdirektors Max Eberl elf Monate später im Januar 2022 noch beschleunigte. Der sukzessive Ab- und Zugang relevanter Spieler in den darauffolgenden Transferperioden zeigte wenig Wirkung, die Verpflichtung jährlich neuer Trainer ebenso wenig. Als Gladbach kürzlich nach fünf Spieltagen mit zwei Pünktchen Viertletzter war, schien ein Tiefpunkt erreicht zu sein. Und nach momentanem Stand war er das vielleicht wirklich: der Tiefpunkt der zweieinhalbjährigen Talfahrt. Und jetzt geht's aufwärts.
Trainer Seoane sieht die Derby-Niederlage als Wendepunkt
Der resignierende Teil eines enttäuschten Kaders der vergangenen zweieinhalb Jahre hat den Klub längst verlassen. Aus jenem Kader der deprimierenden Rückrunde der Saison 2020/21 standen gegen Wolfsburg nur noch Nico Elvedi und Alassane Plea in der Startelf, Christoph Kramer und Florian Neuhaus saßen auf der Bank. Es hat lange gedauert, aber allmählich könnte der über zwei Jahre hingezogene personelle Wandel Wirkung zeigen. Es ist, als erhole sich Borussias Organismus so langsam von einer langwierigen Bluttransfusion.
Nach dem 4:0 gegen Wolfsburg sagte der neue Sportdirektor Nils Schmadtke: "Die Mannschaft ist voller Elan, und es herrscht eine gute Stimmung, auch auf der Bank." Der neue Trainer Gerardo Seoane sieht einen konkreten Auslöser für die zuletzt verbesserten Leistungen: "Nach dem Derby, nach der Niederlage in Köln, hat im Team eine extreme Reaktion stattgefunden in puncto Energie und Kommunikation, nicht nur auf dem Platz, sondern auch neben dem Platz." Die Mannschaft beginne "Verantwortungen zu übernehmen, und das gefällt uns".
Das ist eine neue Entwicklung im lange darbenden Kader. "Schlechte Erfahrungen helfen dabei, Fortschritte zu machen", sagt Seoane, "die erfahrenen Spieler pushen, die Mannschaft reguliert auf dem Platz bestimmte Sachen nun selbst, sie coacht sich gegenseitig und interveniert aktiv - sie schaut nicht einfach bloß zu, was passiert."
Derlei Aktivitäten sind wichtig, weil sie zeigen: Die Gladbacher haben offenkundig damit begonnen, sich gegenseitig aus dem Sumpf zu ziehen. Was das für künftige Reaktionen ihrer Fans bedeutet, ist ein spannender Faktor, denn wie um Himmels Willen soll man noch mehr werden als "der geilste Klub der Welt"?