Gerechtes 1:1:Schweizer Standpauke

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Nachbesserungen notwendig: Berlins Trainer Urs Fischer (hier mit Niko Gießelmann) war mit dem Spiel seiner Mannschaft lange nicht einverstanden. (Foto: Matthias Koch/imago)

Erst nach einer wütenden Halbzeit-Ansprache von Trainer Urs Fischer zeigt Union Berlin sein bewährtes "ekliges Gesicht" - und verdient sich einen Punkt gegen zunächst überlegene Leverkusener.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die Geschichte der Saisonauftaktspiele in der noch immer kurzen Bundesligageschichte des 1. FC Union war bislang eine Geschichte der Niederlagen. In der Debütsaison setzte es ein 0:4 gegen RB Leipzig, im Vorjahr gewann der FC Augsburg mit 3:1. Diesmal gastierte Bayer 04 Leverkusen im Stadion An der Alten Försterei, und die 11 006 Zuschauer, die Unions Heimstätte zur Hälfte füllten, durften ein 1:1 gegen einen phasenweise anregenden und weit finanzstärkeren Gegner begutachten.

"Wenn man sich die beiden Hälften anschaut, ist dieses Unentschieden ein gerechtes Resultat", resümierte Unions Schweizer Trainer Urs Fischer nach dem Punkt im eidgenössischen Trainerduell mit Gerardo Seoane, der gerade von Young Boys Bern nach Leverkusen gewechselt ist. Einer "schwachen ersten Hälfte" seines Teams folgte eine Standpauke in der Pause. Und eine Reaktion, die tatsächlich als Argument für die Kategorisierung eines gerechten Remis taugte. Jenseits davon bestätigte die Partie, dass Union sich für einen konsolidierten Bundesligisten halten kann. Die Pleite gegen Augsburg aus dem Sommer 2020 bleibt vorerst die letzte Heimniederlage der Köpenicker. "Darauf kann man aufbauen", befand Zugang Rani Khedira.

Andrich könnte Union verlassen - Richtung Leverkusen

Vor Beginn der Partie hatte es einige Aufregung gegeben. Eine Gruppe aus der aktiven Fanszene des 1. FC Union hatten auf der Gegentribüne ein mehrere Meter langes Transparent aufgehängt, auf dem ein Ende der Corona-Maßnahmen gefordert wurde. "Schluss mit den Einschränkungen - volle Stadien, volles Leben!" Der zweite Aufreger kreiste um eine Absenz: Unions Robert Andrich fehlte. Er schleppe seit dem Pokalsieg bei Türkgücü München (1:0) eine Blessur mit, hieß es. Am Vorabend der Partie erklärte er laut Trainer Fischer, dass er sich "nicht bereit fühlte, da kannst du dann auch nicht auflaufen".

Ob Andrichs Hemmungen im engeren Zusammenhang mit den Gerüchten um einen möglicherweise unmittelbar bevorstehenden Wechsel nach Leverkusen standen? Andrichs Vertrag bei Union läuft im Sommer 2022 aus; wie der Kicker schon vor geraumer Zeit schrieb, ist sich Andrich mit Leverkusen über einen Wechsel einig, Union würde ihn wohl schon jetzt ziehen lassen, wenn eine stattliche Ablöse fließen sollte. "Dass er umworben ist, wissen wir, man muss jetzt eine schnelle Entscheidung finden", sagte Unions Manager Oliver Ruhnert vor der Partie bei Sky.

Unions Erfolgmuster - diesmal ohne Erfolg: Marvin Friedrich kommt frei zum Kopfball, bringt aber keinen Druck hinter die Kugel. (Foto: Oliver Behrendt/imago)

Ruhnert hatte danach kaum Zeit, es sich auf seinem schattigen Plätzchen neben der Ersatzbank Unions bequem zu machen: Die ersten 60 Sekunden der Partie waren gerade absolviert, da verlangte Verteidiger Timo Baumgartl dem Publikum ein größeres Maß an Körperspannung ab. Nach einem lang und hoch geschlagenen Ball stolperte der Berliner über die eigenen Beine. Leverkusens Mittelfstürmer Patrick Schick hatte dadurch freie Bahn - doch Torwart Andreas Luthe konnte den Schuss des Tschechen parieren.

Kruse bedient Awoniyi mustergültig

Dann aber ging Union plötzlich in Führung: Olympiateilnehmer Max Kruse setzte den von Union nunmehr fest verpflichteten Stürmer Taiwo Awoniyi mit einem spektakulären Außenristpass in Szene, und weil sich Leverkusens Defensivkräfte Jeremie Frimpong und Kouakou Kossounou nicht berufen fühlten, Awoniyi zu attackieren, zog der Angreifer der Unioner aus 16 Metern zentral ab. Leverkusens Torwart Lukas Hradecky war schon in die linke Ecke geflogen, als der Ball zentral unter der Querlatte zum 1:0 einschlug.

Der Leverkusener Ausgleich aber ließ nur fünf Minuten auf sich warten: Offensivkraft Moussa Diaby setzte zu einem elektrisierenden Solo an, tanzte Innenverteidiger Robin Knoche und Mittelfeldspieler Genki Haraguchi aus und schoss flach ein.

Die Leverkusener hatten danach die Kontrolle über die Partie - angetrieben durch die zumeist umsichtig und präzise operierenden "Sechser", Charles Aránguiz und Exequiel Palacios. Leverkusen verströmte zwar mehr latente als reale Gefahr, aber das war sehr viel mehr, als Union zu bieten hatte. Unions Präsident Dirk Zingler grollte zur Halbzeit beim Sender Sky vernehmlich, er ärgerte sich vor allem über leichte Ballverluste und mangelnde Aggressivität.

Die eingewechselten Öztunali und Teuchert sorgen spät für etwas Action

Für die zweite Halbzeit wünsche er sich "mehr Engagement, mehr Präzision, weniger verlorene Zweikämpfe", andernfalls "werden wir das Spiel verlieren", grollte er. Trainer Fischer wiederum berichtete nach der Partie, er sei in der Halbzeit "laut geworden". Es fruchtete. Das Team biss sich in die Partie hinein. Union zeigte zur Freude von Fischer das "eklige Gesicht", das er an seiner Mannschaft liebt - und das er für unabdingbar hält, um wieder in der Liga zu bleiben.

Nennenswerte Szenen blieben allerdings rar. Die eingewechselten Levin Öztunali und Cedric Teuchert sorgten für etwas Action. Es war die Phase, in der Leverkusen kurzzeitig die Ordnung verlor und mit Glück registrieren konnte, dass Uwe-Seeler-Enkel Öztunali vor dem Tor zögerlicher agiert als einst der legendäre Opa. Am Ende war es ein überaus offenes Spiel, mit besseren Chancen für die Berliner. Doch es blieb bei einem 1:1, das einer Regel entsprach, die der Bundesliga-Novize Seoane für universal hält: "Fußball ist meistens gerecht."

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