Es kommt nicht oft vor, dass ein einzelner Spieler mehr Fußball in seinen Füßen hat als eine komplette Elf des FC Barcelona. Insofern war beispiellos, was sich am Dienstagabend im Hamburger Volksparkstadion zutrug, dem Champions- League-Ausweichspielort von Schachtar Donezk. Der ukrainische Meister siegte nicht nur 1:0. Er führte auch einen jungen Mann vor, der ein Fußballer in Versalien ist: Georgiy Sudakov, 21. Mit ihm werde der Klub mehr Geld einnehmen als mit Mykhailo Mudryk, raunen Verantwortliche Schachtars bereits im kleinen Kreis, und das bedeutet: sehr viel Geld. Denn für Mudryk zahlte der FC Chelsea im vergangenen Januar 100 Millionen Euro. Jeder dritte Euro davon floss in den Kauf von Waffen, in die Verteidigung der Ukraine gegen den russischen Aggressor.
Georgiy Sudakov hatte schon beim "Hinspiel" in Barcelona aufhorchen lassen - durch ein formidables Tor zum 1:2-Endstand. Im Hamburger Exil diktierte der Hochbegabte nun vor allem in der ersten Halbzeit das Tempo, streute Pausen ein, passte, hielt die Reihen zusammen, zog alle Blicke auf sich. Als Barça-Trainer Xavi später sein umfassendes mea culpa dargebracht hatte, weil sein Team "das schlechteste Spiel, an das ich mich erinnere" geboten hatte, wurde er auch noch gefragt, welcher Donezk-Spieler ihn denn am meisten überrascht hatte. Xavi nannte Sudakov. Er bewunderte, wie hart der 21-Jährige defensiv gearbeitet hatte, diese Facette Sudakovs war Xavi neu. Das Offensichtliche - wie sehr der Ukrainer fußballerisch geglänzt hatte - unterschlug Xavi. Denn das hatte ohnehin jeder gesehen.
Sudakov erhielt sogar die Trophäe für den "Man of The Match", sie soll nun in seiner Wohnung einen Ehrenplatz bekommen - ebenso sein Trikot des Abends, das er nicht gegen ein Barça-Leibchen eintauschen, sondern von allen Kameraden unterschreiben lassen wollte. "Man wird nicht so oft bei einem Sieg gegen Barça zum besten Spieler der Partie gewählt", ließ er den zum Dolmetscher umfunktionierten Abwehrspieler Dmytro Chygrynskiy sagen.
"Er ist ein außergewöhnlich talentierter Spieler - und macht auf Topniveau den nächsten Schritt", sagt Trainer Pusic über Sudakov
Sudakovs beste Szene war der Pass gewesen, der zum Siegtor für Donezk führte: ein Seitenwechsel über mehr als 70 Meter von links nach rechts, voller Schönheit und Präzision. Solche Aktionen wecken Erinnerungen an Bernd Schuster, den Fußballästheten, den sie einst den "blonden Engel" nannten. Eine Flanke später war Danylo Sikan mit einem prächtigen Kopfball zur Stelle - und Barça-Keeper Marc-André ter Stegen machtlos. Ein Pass wie Bernd Schuster? Sudakov lachte, Chygrynskiy lachte mit. "Er sagt, ich solle bestätigen, dass er das im Training andauernd macht", übersetzte Chygrynskiy. "Ich mag es, wenn ich das Feld vor mir habe und nach dem bestmöglichen Pass schauen kann", sagte Sudakov. "Und ja: Der Pass war wirklich gut."
Hätte ter Stegen nicht zwei, drei großartige Paraden gezeigt, wäre Barcelona am Dienstag untergegangen. "Barça ist der Narr Europas", zeterte indigniert die Zeitung El País. Es gab im ganzen Spiel nur einen einzigen Schuss der Katalanen aufs Tor der Ukrainer, durch Gavi. Die Leistung von Barcelonas Mittelstürmer Robert Lewandowski war ein einziger Antrag auf Teilzeitrente in Saudi-Arabien. "Dies war ein klarer Rückschritt", sagte Coach Xavi, und "ein großer Fehler". Denn schon mit einem Remis hätte Barça den Achtelfinaleinzug perfekt gemacht.
Das Erreichen der K.-o.-Phase wird nun auch für den Gruppendritten Donezk wieder ein Thema. "Ich bin sehr stolz auf mein Team", sagte Sudakov, der erst dieser Tage im englischen Telegraph daran erinnert hatte, wie er nach dem russischen Überfall auf die Ukraine mit seiner damals hochschwangeren Frau im Bunker saß. Bald wird das zwei Jahre her sein.
"Es ist unglaublich, wie fokussiert meine Spieler trotz der Umstände sind", sagte der noch recht neue Schachtar-Trainer Mariano Pusic. "Und was soll ich über 'Suda' sagen: Er ist ein außergewöhnlich talentierter Spieler - und er macht nun auf Topniveau den nächsten Schritt", erklärte Pusic, "er ist sehr intelligent und ein großer Charakter. Ich bin sehr froh, ihn zu haben."
Die Frage ist: wie lange noch? Manchester City und der FC Arsenal sollen konkret interessiert sein - und haben das nötige Geld. "Ich nehme das nicht so ernst. Ich bin Spieler Schachtars und möchte meinen Fokus nicht verlieren", sagte Sudakov, der in Hamburg zeigte, dass man sich seinen Namen besser merken sollte.