Rekord-Geisterspiel-Fußballer:"Das ist kein Fußball, kein Mensch will das sehen"

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Hat schon Geisterspiele erlebt: Stadion von Dynamo Dresden (Foto: dpa)

Romain Brégerie hat vor dem Ausbruch des Coronavirus schon zwei Geisterspiele erlebt - im SZ-Interview erzählt der frühere Profi, wie fehlende Zuschauer das Spiel verändern und warum Theatralik schnell peinlich wird.

Interview von Sebastian Fischer

Am Wochenende droht der Bundesliga nach aktuellem Stand der erste Geisterspieltag seiner Geschichte, alle Begegnungen finden wegen des Coronavirus vor leeren Rängen statt. In den beiden höchsten deutschen Spielklassen gab es vor dem 2:1 von Borussia Mönchengladbach gegen den 1. FC Köln am Mittwochabend, dem ersten Erstliga-Geisterspiel der Historie, drei Spiele in der zweiten Bundesliga vor leeren Rängen, jeweils wegen Fehlverhaltens der Zuschauer: Alemannia Aachen gegen den 1. FC Nürnberg (3:2) am 26. Januar 2004, Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden (2:2) am 18. Dezember 2011 und Dresden gegen den FC Ingolstadt (0:0) am 11. März 2012. Der Franzose Romain Brégerie, 33, früherer Innenverteidiger und unter anderem Erstligaprofi beim FC Ingolstadt, war für Dresden in beiden Begegnungen dabei.

SZ: Herr Brégerie, Sie haben mehr Geisterspiele erlebt als die meisten deutschen Profifußballer - nämlich zwei. Wie fühlt sich das als Spieler auf dem Platz an?

Romain Brégerie: Professionell gesehen kommst du genauso rein ins Spiel wie immer und machst deinen Job. Du machst zu 95 Prozent alles gleich. Aber es gibt diese paar Prozent, die du von draußen bekommst, in schwierigen Situationen. Fußball in Dresden ist eine besondere Atmosphäre, das habe ich woanders selten erlebt. Wenn wir eine Tormöglichkeit hatten, haben die Fans gerufen wie Verrückte, das pusht einen. Für uns hat das einen großen Unterschied gemacht. Vielleicht ist es nicht für jeden Spieler so, aber ich könnte nie alles abrufen in einem Freundschaftsspiel. Ich brauche die Emotionen.

Ich habe am Mittwoch im Fernsehen die Champions-League-Konferenz geschaut. Du siehst Liverpool gegen Atlético in Anfield: Das Stadion pusht die Mannschaft, jeder Spieler feuert das Publikum zurück an. Und dann siehst du das leere Stadion in Paris gegen Dortmund. Eigentlich ein Bombenspiel, aber es macht nicht viel Spaß, das zu schauen. Da brauchen wir nicht lange zu diskutieren: Das ist kein Fußball, kein Mensch will das sehen.

Was genau macht man als Spieler auf dem Platz anders?

Du kannst nicht besser schießen oder schneller laufen mit Zuschauern. Aber was man vergisst: Im Fußball gibt es vielleicht 50 Minuten effektive Zeit - und 40 Minuten, in denen du rumstehst, bei einem Einwurf, einer Ecke, einem Foul. In diesem Moment kriegst du die ganze Energie von den Fans.

Könnte es sein, dass es noch weitere Unterschiede gibt? Weniger Theatralik nach Fouls zum Beispiel?

Ja, das kann sein. Viele Spieler werden durch die Reaktionen des Publikums nach einem Foul vielleicht theatralischer. Aber wenn niemand schreit, wenn du fällst, und es kommt nur der Gegner, um sich zu entschuldigen, dann kannst du nicht liegen bleiben. Das wird sofort richtig peinlich.

Haben Geisterspiele, rein auf das Spiel bezogen, auch Vorteile?

Ohne Zuschauer kannst du wie im Training kommunizieren. Das ist zum Beispiel als Innenverteidiger sehr wichtig. Wenn in einem lauten Stadion wie in Dresden dein Mitspieler fünf Meter von dir entfernt steht, schreist du mit allem, was du hast - der hört es einfach nicht. Ich habe auch schon erlebt, dass meine Mannschaften weniger gut gespielt haben, weil sie angespannt waren, vor dem eigenen Publikum zu spielen.

Passieren also weniger Fehler?

Es gibt diese Situation, die jeder Fußballer kennt: Du bist 0:1 im Rückstand zu Hause, und die Situation erfordert es, dass du einen Sicherheitspass zum Torwart spielen musst. Aber die Fans sind unzufrieden, die wollen nicht, dass du Zeit verlierst und pfeifen. In der nächsten Aktion musst du das wieder machen, aber spielst einfach nach vorne, obwohl es gefährlich ist. Vielleicht kriegst du das 0:2, obwohl du den Pass im Training nie gespielt hättest. Es gibt aber auch Spieler, die brauchen die Atmosphäre, um zu kämpfen.

Haben Sie sich vor den zwei Geisterspielen mit Dresden 2011 und 2012 besonders motiviert?

In Dresden haben wir die Fans vor dem Stadion gehört, sie haben 90 Minuten gesungen. Wir hatten eine Chance, der Torwart hat gehalten, es gab Ecke. Und fünf Sekunden später haben wir die Fans 40 Meter weit weg vor dem Stadion stöhnen gehört: "Oooh!" Die haben es am Fernsehen gesehen mit einem kurzen Zeitunterschied, das war echt lustig. Über 10 000 haben am Stadion gestanden und die ganze Zeit gesungen, das war besonders, das war sehr schön zu erleben.

Auch jetzt kamen in Paris wieder Fans zum Stadion und feierten, aber bei einem Geisterspiel wegen der Ausbreitung eines Virus ist das natürlich kontraproduktiv. Die Klubs bitten die Anhänger, zu Hause zu bleiben.

Ich verstehe, dass es für die Leute wichtig ist. Aber klar: Ein Geisterspiel verliert komplett seinen Sinn, wenn sich die Leute treffen.

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