Fußball-WM 2006:Zweifelhafte Aufklärer

German Football Association presents independent report it commissioned into 2006 World Cup and scandal involving payment to FIFA

Juristen unter sich: der frühere DFB-Chef Reinhard Grindel (von links), der ehemalige Vizepräsident Reinhard Rauball und der aktuelle „Vize“ Rainer Koch.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)
  • Die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer sollte als unabhängige Instanz die Sommermärchen-Affäre aufklären.
  • An ihrem Schlussbericht zum WM-Skandal taten sich Kritikpunkte auf.
  • Nun zeigen SZ-Recherchen: Schon im Umfeld der WM-2006-Vorbereitungen waren Freshfields-Anwälte für jenes deutsche OK im Einsatz, dessen Wirken Freshfields Jahre später durchleuchten sollte.
  • Aus Sicht der Kanzlei "lag weder ein Interessenkonflikt noch eine Befangenheit vor".

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Frankfurt

Es war noch gut ein halbes Jahr bis zur Fußball-WM 2006 in Deutschland, und das Organisationskomitee (OK) hatte zunehmend Probleme in einem heiklen Geschäftsbereich zu lösen. Es ging um das Ticketing, um so verzwickte Dinge wie Optionsprogramme, "TST-Karten" oder die Frage, wie sich die "deutsche Fußballfamilie" mit Karten versorgen lassen kann. Diesen Kernkomplex der WM-Vorbereitung stemmte das von Franz Beckenbauer geleitete OK nicht nur mit eigenem Personal. Es beauftragte die Experten einer Kanzlei. Und die hieß nach SZ-Recherchen: Freshfields Bruckhaus Deringer.

Das birgt Sprengkraft. Denn neun Jahre später erlangte Freshfields mit einem anderen Mandat im nationalen Fußball große Bekanntheit: Es war die Kanzlei, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im Herbst 2015 beauftragt hat, als unabhängige Instanz die Sommermärchen-Affäre aufzuklären. Die Firma sollte die Geldflüsse um eine inzwischen berüchtigte 6,7-Millionen-Euro-Überweisung aufhellen. Im Raum stand der Verdacht deutscher Stimmkäufe bei der WM-Vergabe, es ging um mutmaßlich schmutzige Deals rund um das Turnier. Der DFB trug das Freshfields-Mandat von Beginn an wie eine Monstranz vor sich her: Seht her, wir tun alles Erdenkliche in Sachen Transparenz - wir lassen uns sogar völlig unabhängig durchleuchten! Ein in der Sportwelt einmaliges Vorgehen sei das, bejubelten sich die DFB-Granden noch bei der Präsentation des Schlussberichtes.

Das war im März 2016. Danach wurde allerdings bald deutlich, dass die Arbeit von Freshfields wenig Aufklärung bot - stattdessen bemerkenswerte Auslassungen und, so zumindest der Eindruck, auch Täuschungsmanöver. Nun zeigen SZ-Recherchen, dass bei dieser Aufklärungs-Liaison von Beginn an ein gravierender Interessenkonflikt bestand.

Denn schon damals, im Umfeld der WM-2006-Vorbereitungen, waren Freshfields-Anwälte intensiv im Einsatz - für jenes deutsche OK, dessen Wirken Freshfields Jahre später durchleuchten sollte. Die Kanzlei erhielt nach SZ-Informationen seinerzeit Honorare im sechsstelligen Bereich, allein in einem Quartal summieren sich die Rechnungen auf fast 100 000 Euro. Zahlreiche Telefonate, Prüfungen und andere Dienstleistungen gab es im Zusammenhang mit Problemen im Ticketsektor; auch Treffen mit dem zuständigen DFB-Ticketmanager und hohen OK-Vertretern, die Freshfields später in seiner Aufklärerrolle befragen musste, sollen demnach dazugehört haben. Wie hoch genau der Umfang der Tätigkeit und die Entlohnung war, teilen weder die Kanzlei noch der DFB auf Anfrage mit. Klar ist jedoch, dass Freshfields selbst in jener WM-Vorbereitungsphase mitwirkte, welche die Kanzlei später zu durchforsten hatte.

Was der DFB und Freshfields sagen

Dass Freshfields trotzdem im Herbst 2015 - nur Stunden nach Publikation des ersten Spiegel-Textes zur WM-Affäre - vom DFB mandatiert wurde, wirft Fragen auf. Galt die Kanzlei nicht als befangen? Warum wurde nicht einfach eine andere genommen? Und weshalb wurde nicht zumindest darüber informiert, dass hier kein externer Prüfer, sondern ein ehemaliger WM-Helfer an Bord geholt worden war?

Ein DFB-Sprecher beantwortete diese Fragen wie folgt: "Kanzleien prüfen vor Annahme eines neues Mandats etwaige Interessenkonflikte, die einer Beauftragung entgegenstehen. Auch Freshfields hat dies getan und bestätigt, dass ein Interessenkonflikt nicht vorliegt." Und weiter: "Wir gehen davon aus, dass Freshfields seinen Auftrag mit Blick auf den Report entsprechend sorgfältig, unvoreingenommen und fachgerecht ausgeführt hat."

Im Übrigen sei der DFB-Führung um den aktuellen Präsidenten Reinhard Grindel und dessen Vize Rainer Koch "bei der Beauftragung nicht bekannt" gewesen, "dass Freshfields auch ein Mandat für das OK der WM 2006 hatte". Der heutige DFB-Präsident Grindel war im Herbst 2015 noch Schatzmeister des Verbandes und in dieser Funktion der Verbindungsmann des Präsidiums zu Freshfields.

Ein Sprecher der Kanzlei wiederum teilte der SZ auf einen Fragenkatalog zum Thema mit: "Es lag weder ein Interessenkonflikt noch eine Befangenheit vor, da es keine anderen Mandate gab, die den Gegenstand unserer Untersuchung betroffen hätten. Dies haben wir im Rahmen unserer üblichen Konfliktprüfung bei Mandatsannahme selbstverständlich geprüft."

Aber reicht das wirklich, um Befangenheit auszuschließen? Ist man nicht auch dann befangen, wenn man selbst zum Gegenstand der Untersuchung werden kann?

Die Beteiligten hätten jedenfalls schon deshalb sensibilisiert sein müssen, weil ja früh Zweifel an der Unabhängigkeit der Kontrolleure aufkamen: Unmittelbar nach der Beauftragung 2015 wurde bekannt, dass sich Freshfields-Frontmann Christian Duve und Friedrich Curtius - damals Büroleiter des in den Skandal verstrickten DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach und später unter der neuen Führung um Grindel zum Generalsekretär aufgestiegen - aus gemeinsamer Vorstandstätigkeit im Frankfurter Rotary-Club kannten.

Zudem gab es früh Berichte, dass Freshfields drei, vier Jahre zuvor auch für den Fußballfunktionär Mohammed Bin Hammam und sogar im Umfeld des Organisationskomitees für die Katar-WM 2022 tätig gewesen war. Bin Hammams Firmen und Katar: Das sind auch Schlüsselfelder bei der Jagd nach den verschobenen Millionen im deutschen WM-Skandal - und auch Katar 2022 hängt der Verdacht auf gekaufte Voten an. Freshfields verteidigte seine Tätigkeit damals auch mit dem Hinweis, dass die Mandate für Katar im Bereich Fußball keinen Bezug zum Untersuchungsmandat beim DFB hätten.

Am 2016 präsentierten Report taten sich Kritikpunkte auf

Umso gravierender wirkt nun die verschwiegene Arbeit im direkten Vorfeld der WM 2006. Zumal gerade das Ticketing einer der intransparentesten Bereiche ist, über die im Weltfußball schon oft krumme Deals und Zahlungen gelaufen sind. Auch im "Sommermärchen" spielte das Ticketing eine unrühmliche Rolle. Noch Jahre nach der WM ermittelte die Münchner Staatsanwaltschaft wegen eines millionenschweren Schwarzhandels; der Prozess gegen einen DFB-Ticketmanager und einen weiteren Kartenhändler wurde erst 2015 gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Bis heute blieb unklar, wohin der Reibach von rund 6,5 Millionen Euro aus exakt 51 749 unter der Hand verkauften WM-Vorzugstickets floss.

Sicher ist dafür, dass zu den Nutznießern opulenter Schwarzmarkt-Deals immer wieder ein Fifa-Skandalfunktionär gehörte: Jack Warner, lange Zeit Vizepräsident des Weltverbandes - und auch eine Zentralfigur der 2006-Affäre. Seit Jahren betreibt die US-Justiz Warners Auslieferung aus Trinidad & Tobago. Und nach der WM 2006 in Deutschland sah sich sogar die Fifa selbst gezwungen, Warner für illegale Ticketverkäufe zu bestrafen - genauer: dessen Sohn Daryan, der kurz vor WM-Beginn Papas einschlägige Firma, die Simpaul Travel, übernommen hatte.

Ein dubioser Vertrag zwischen Beckenbauer und Warner

Der wohl spektakulärste Fund im Kontext der Freshfields-Ermittlungen im Herbst 2015 war ein Dokument, das ebenfalls Jack Warner betraf: Im Juli 2000, nur vier Tage vor Vergabe der WM 2006 nach Deutschland, hatte Warner einen Vertrag mit Beckenbauer signiert, der ihm Leistungen im Gegenwert von zehn Millionen Mark bescheren sollte. Im Gegenzug für seine Stimme? Nun: 2013 sagte der SZ ein für die deutsche Bewerbung tätiger Manager und Warner-Vertraute, der vom Kirch-Konzern bezahlte Libanese Elias Zaccour, Warner habe das entscheidende Votum zum 12:11-Sieg der Deutschen gegen Südafrika beigesteuert. Reichte also nicht dieser Vertrag schon, um die WM als gekauft zu betrachten?

Aktuelle und frühere DFB-Vertreter redeten das mit dem Argument herunter, der Vertrag sei ja nie erfüllt worden. Aber ist es zu glauben, dass einer wie Warner so etwas aushandelt - und später nicht auf Bezahlung pocht? Und sei es auf anderem Wege? Im Raum stand naturgemäß auch stets die Frage, ob er über eine seiner Standardschienen entlohnt wurde: über das undurchdringliche Ticketgeschäft.

Das Warner-Thema ist bis heute zentral, wenn es um WM-Stimmkauf geht. Den ursprünglichen Auslöser der Sommermärchen-Affäre, eine über verschlungene Wege in Katar gelandete Zahlung von zehn Millionen Franken 2002 und die 6,7-Millionen-Euro-Rückzahlung 2005 durch das deutsche WM-OK, betrachten Strafermittler in Frankfurt und Bern hingegen nicht mehr als Schmiergeld für Wahlmänner, sondern im Kontext eines Privatgeschäfts von Beckenbauer. Das aber heißt ja keineswegs, dass nicht auf anderen Wegen Geld für WM-Voten geflossen sein könnte.

Jedenfalls erscheint Freshfields in dieser Gemengelage alles andere als "unabhängig". Ein Licht wirft die frühere Tätigkeit für das WM-OK nun auch auf Kritikpunkte, die sich am Freshfields-Report zum WM-Skandal auftaten. Teils frappierende Schwächen in der Arbeitsweise traten zutage. So hatten die Prüfer darauf verzichtet, die DFB-Konten aus der Zeit vor der WM 2006 zu prüfen. Und sie weigerten sich lange, die Protokolle aus Befragungen von DFB-Leuten der Staatsanwaltschaft zu übersenden. Hinzu kamen inhaltliche Lücken. So erfuhr Freshfields zwar, dass der stets als Ehrenamtlicher gepriesene OK-Chef Beckenbauer satte 5,5 Millionen Euro für die Abtretung seiner Persönlichkeitsrechte kassiert hatte - im Report fand sich das aber nicht. Als es aufflog, rechtfertigten sich DFB und Kanzlei: Das habe nicht zum Arbeitsauftrag gehört.

Eine Millionen-Zahlung des DFB und viele offene Fragen

Besonders ins Gewicht fiel aber, dass es speziell im Umgang mit Jack Warner Merkwürdigkeiten gab. So befand Freshfields trotz des anstößigen Zehn-Millionen-Vertrags mit Beckenbauer im Report, es gebe "keine Belege für Stimmenkauf". Erst Monate später flog auf, dass auf dem Laufwerk eines führenden DFB-Mitarbeiters eine verschlüsselte Datei namens "Komplex Jack Warner" entdeckt worden war; abgelegt in einem Ordner mit plakativem Titel: "Erdbeben". Diese Datei bekamen die Aufklärer nicht geöffnet - doch bei der Strafbehörde landete sie auch nicht. Das geschah erst Monate später, als die SZ Anfragen zu der Datei gestellt hatte. Und wer aus der heutigen Führungsriege wann Kenntnis von Warners Millionenvertrag hatte? Auch das dokumentierte Freshfields nicht.

All das führte zu viel Kritik. Zumal sich der DFB die Arbeit seiner "Unabhängigen" viel Geld kosten ließ: Ein hoher einstelliger Millionenbetrag ging an die Kanzlei. Angesichts der neuen Sachlage erscheint immer dringlicher, dass die sogenannte Aufarbeitung einer weiteren - diesmal etwas tiefer schürfenden - Aufarbeitung bedarf.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusSepp Blatter im Interview
:"Ich wurde verraten"

Sepp Blatter war Fifa-Präsident, bis er wegen Korruptionsverdachts gesperrt wurde. Ein Gespräch über Verantwortung, seinen Nachfolger und warum er mit sich im Reinen ist.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: