Fußball-WM:Eine WM der Haltungsnoten

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Die Weltmeisterschaft in Russland hat gezeigt: Wer sich unsportlich verhält, kann das mit schönen Pässen und Toren kaum wieder gutmachen. Die moralische Haltung gewinnt an Bedeutung.

Kommentar von Martin Schneider, Moskau

Neymar ist nun wieder in den Schlagzeilen aufgetaucht, und zwar mit der Nachricht, dass es keine Nachricht geben wird. Real Madrid hat mitgeteilt, dass man kein Angebot für ihn bei seinem Verein Paris Saint-Germain abgeben werde, weil die Beziehungen "exzellent" seien. Und wenn am Sonntagabend der Ball zum letzten Mal über den WM-Rasen gerollt ist, wird man den brasilianischen Stürmer nun also so in Erinnerung behalten: Als den Spieler, der zwei Tore schoss, zwei Tore vorbereitete, ein überragendes Spiel gegen Mexiko und ein sehr gutes Spiel beim Aus gegen Belgien machte, man wird an seine Übersteiger denken, an seine Ballannahmen.

Oder - (verwegene Pause) - etwa nicht?

Natürlich nicht.

Nichts von dem ist falsch, Neymar war ja wirklich einer der besseren Kicker dieses Turniers, aber im Gedächtnis bleiben werden seine Schauspieleinlagen, seine Schmerzensschreie, seine Inszenierungen antiker Dramen. Sogar Fifa-Präsident Gianni Infantino wurde auf der offiziellen Bilanz-Pressekonferenz des Turniers nach Neymars Verhalten gefragt, er begann den Satz mit: "Sie wissen, ich könnte niemals etwas Negatives über einen so großen Fußballer sagen, aber ...", dann fing er an zu lachen, setzte zu einem Satz an, brach dann ab, verzog eine Grimasse, sagte dann doch nichts und ließ sein Grinsen im Raum stehen.

Es wird immer wichtiger, wie man auf- und abtritt

Der Fall zeigt: Wer sich unsportlich verhält, kann das mit schönen Pässen und Toren kaum wieder gutmachen - gleichzeitig kann man neben dem Platz viel gewinnen, wenn es fußballerisch nicht so richtig läuft. Es wird immer wichtiger, wie man auf- und abtritt und welche Zeichen man in die Welt schickt, wenn die Welt schon auf einen schaut. Die reine sportliche Leistung verliert in der Gesamtbeurteilung einer Mannschaft an Wert, die moralische gewinnt an Bedeutung. Das ist eine Lehre dieses Turniers in Russland und irgendwie auch keine schlechte. Neymar ist da nur ein Beispiel.

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Von Martin Schneider

Da wären etwa die Japaner und die Dänen, beide im Achtelfinale gescheitert. Aber die dänische Mannschaft zahlte ihrem Teamkollegen ein Flugzeug, damit er seine neugeborene Tochter sehen kann, die japanischen Fans räumten ihren Fanblock auf, ebenso das Team die Kabine. Den Fanblock befreiten auch die Senegalesen vom Müll, das Team scheiterte schon in der Gruppenphase aufgrund der Fair-Play-Wertung - ein fragwürdiger Modus - aber Trainer Aliou Cissé schimpfte nicht, er sagte, man habe vorher von der Regelung gewusst und deswegen sei Japan verdient weiter gekommen. Auch Brasiliens Trainer Tite zeigte nach dem Aus gegen Belgien, wie man mit großem Anstand verliert (er lobte das Spiel, lobte den Gegner, suchte die Schuld trotz einer harten Schiedsrichter-Entscheidung gegen sein Team bei sich), aber das bekam wegen Neymar kaum jemand mit.

Die deutsche Nationalmannschaft hat den Schaden durch ihr Verhalten vergrößert

Andere Nationen gaben ein schlechteres Bild ab. Die Südkoreaner wurden trotz ihres Sieges gegen Deutschland in der Heimat mit Eiern beworfen. Ägypten schlug das Teamquartier in Tschetschenien auf und Mohamed Salah ließ sich mit Ramsan Kadyrow ablichten - dem Präsidenten der Teilrepublik, der dafür berüchtigt ist, dass oppositionelle Personen einfach mal verschwinden und Gegner, zum Beispiel in Wien, auf offener Straße erschossen werden.

Auch die deutsche Nationalmannschaft und der DFB haben es geschafft, den Schaden durch ihr Verhalten zu vergrößern. Auch das fing mit einem Bild an, auf dem Spieler mit einem Präsidenten zu sehen waren, der unliebsame Personen gern mal ins Gefängnis bringen lässt - und der Umgang mit diesen Fotos machte alles noch schlimmer. Der Deutsche Fußball-Bund versprach eine Aufarbeitung und zerrte in Person von Teammanager Oliver Bierhoff und DFB-Präsident Reinhard Grindel nach dem Aus - für das viele Personen verantwortlich waren - Mesut Özil ins Rampenlicht. Ein Bekenntnis gegen den Rassismus, der Özil entgegenschlägt, blieb bis heute aus. Die Mannschaft, die sich auf Werbeplakaten gerne "Die Mannschaft" nennt, zeigt sich zerstritten in der Niederlage.

Die Schweden dagegen stellten sich in einem Video hinter ihren Spieler Jimmy Durmaz, als der nach seinem Foul im Spiel gegen Deutschland, das zu Kroos' Freistoß führte, rassistisch angegangen wurde - das ist bedingt vergleichbar mit dem Fall Özil/Gündogan. Aber eine schöne Aktion war es trotzdem und es bleibt stärker in Erinnerung als Schwedens Siegtor im Achtelfinale gegen die Schweiz. Oder weiß jemand spontan, wer es geschossen hat?

Dass man auch als Favorit mit Anstand Sympathien sammeln kann, zeigten die Engländer

Und dann waren da noch die Engländer, die bewiesen haben, dass man nicht nur als Außenseiter Sympathien sammeln kann, wenn man sich anständig verhält. Über Jahrzehnte galt es als sicher, dass die Three Lions irgendwie unwürdig aus einem Turnier ausscheiden werden (zuletzt bei der Europameisterschaft gegen Island). Diesmal hörten die Fans gar nicht auf, die Mannschaft von Trainer Gareth Southgate in Moskau nach dem Aus gegen Kroatien zu feiern. Harry Maguire, der riesige Verteidiger, der bei allem Respekt niemals bei Real Madrid spielen wird, sagte danach, man habe es geschafft, eine Verbindung zu den Fans herzustellen und das bedeute ihm sehr viel. Deutsche Nationalspieler, die bei Real Madrid spielen, sagten dagegen nach dem Sieg gegen Schweden Sätze wie: "Ich hatte das Gefühl, in Deutschland hätten sich einige gefreut, wenn wir ausgeschieden wären."

Die WM wird nun mit einem Sieger und einem Verlierer nach dem Finale zu Ende gehen - und mit der Erkenntnis, dass sich das Prädikat "Gewinner" nicht ausschließlich in 90 oder 120 Minuten verdienen lässt.

© SZ vom 15.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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