Fußball-WM: deutsche Elf:Der Koller, das böse Tier

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Es dringen Stimmen nach außen, es habe bereits kleine Spannungen im deutschen Quartier gegeben. Hat er also schon zugebissen, der Lagerkoller?

Thomas Hummel, Johannesburg

Das Velmore Grande Hotel ist ein Hort der Erholung. Rund herum liegt das zu dieser Jahreszeit rotbraune südafrikanische Land, Dornenbüsche und trockenes Gras. Im Umkreis von mehreren Kilometern versteckt sich hier und da eine Ranch oder ein anderes Erholungshotel zwischen Bäumen, nur der kleine Ort Erasmia bietet ein wenig mehr Bebauung. Doch dort sind noch keine Nationalspieler gesehen worden. Das deutsche Quartier liegt mitten in der Steppe, fern von jeder Abwechslung. Droht da der Lagerkoller? Vor allem jetzt, in dieser langen Spielpause von sechs Tagen bis zum Viertelfinale gegen Argentinien?

Thomas Müller fühlt sich inmitten seiner Kollegen wohl. (Foto: afp)

Der Lagerkoller ist während einer solchen WM wie eine Wildkatze in der Steppe. Meistens ist er nicht zu sehen, er schleicht sich leise heran, um unversehen aus dem Gebüsch zu springen und unerbittlich zuzubeißen. Generationen deutscher Nationalspieler haben schon mit ihm gekämpft, sind ihm erfolgreich entwischt oder eben nicht. Immer wieder gibt es Geschichten von Flucht und reumütiger Rückkehr.

Helmut Rahn etwa ist schon 1954 aus dem WM-Quartier in der Schweiz ausgebüchst, um sich anschließend von Trainer Sepp Herberger rüffeln zu lassen. 1974 stieg Sepp Maier über den Zaun der Sportschule Malente und fuhr nach Hamburg zu seiner Frau. Bei der Rückfahrt mitten in der Nacht versagte die Bremse, danach holte er sich Blasen an den Händen, weil er ständig die Handbremse ziehen musste. Uli Stein brachte 1986 in Mexiko das Fass bei Franz Beckenbauer zum Überlaufen, als er mit zwei anderen Spielern ausbrach und letztlich als einziger heimgeschickt wurde. Am schönsten hatten es DFB-Spieler vielleicht 1990, als es vom Quartier am Comer See nicht weit war zu den Häusern der Mailänder Legionäre Klinsmann, Matthäus und Brehme.

Doch hier im Bezirk Centurion, Südafrika ist weder das Heim eines deutschen Spielers in der Nähe, noch scheint hier irgendjemand ausbrechen zu können. Aus Sicherheitsgründen ist das Hereinkommen mittels Mauern und Drähten erheblich erschwert worden, das gleiche gilt entsprechend für das Herauskommen. "Wir können halt nicht jeden Tag in die Disko gehen", bemerkt Thomas Müller. Und so wirkten einige Spieler nach dem Sieg gegen England schon ein wenig beunruhigt vor der langen Wartephase bis zum nächsten Spiel.

"Wir sind jetzt schon extrem lange zusammen, das merkt man schon", sagte Per Meresacker, "da müssen wir uns jetzt als Team beweisen und neue Reize schaffen auch außerhalb des Spielfelds." Zunächst besuchten 30 Mitglieder des DFB-Trosses die sehr reizvolle südafrikanische Tierwelt, schon vor Sonnenaufgang fuhren sie los zur Safari im Pilanes-Nationalpark. Manche spielten auch Tennis auf dem Hotelgelände, leicht angeschlagene Spieler mussten aus Reha-Gründen im Hotel bleiben, Stürmer Cacau absolvierte nach seiner Bauchmuskelzerrung ein Lauftraining.

Thomas Müller sah die Dinge wie immer sehr positiv: "Jeder hat genug Möglichkeiten zur Abwechslung." Der DFB hat im Hotel einige Räume allein zur Freizeitbeschäftigung für die Spieler eingerichtet. Und dennoch drangen auch Stimmen nach außen, es habe bereits kleine Spannungen im Quartier gegeben. "Wir sind sehr viele Männer", sagte Mertesacker dazu, "da ist klar, dass nicht jeder gleiche Interessen hat." Hat er also schon zugebissen, der Lagerkoller?

Vielleicht hat ja auch die Langeweile Bastian Schweinsteiger zu seinen kruden Äußerungen am Mittwoch getrieben. Warum auch immer provozierte er die Argentinier, und monierte sogar deren Charakter und Mentalität, weil sich die Zuschauer in einem Block zusammensetzten, obwohl sie dafür gar keine Karten besäßen und die eigentlichen Platzhalter dann stehen müssten. Ein bisschen Provokation sollte das wohl sein vor dem brisanten Viertelfinale am Samstag in Kaptstadt. Doch vielleicht wollte der Ersatzkapitän einfach mal seine angestaute Energie aus dem Quartier Velmore Grande rauslassen.

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