Interview am Morgen: über Fußballsprache:"Die 'Mentalität' ist immun gegen Falsifizierung"

Sport-Club Freiburg v Borussia Dortmund - Bundesliga

Hat es nicht so mit der Mantalität: Dortmunds Marco Reus.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Der Linguist Simon Meier-Vieracker macht dem BVB in der Mentalitätskrise neue Hoffnung - und erklärt das Eigenleben von Fußballfloskeln.

Interview von Sebastian Fischer

"Ihr mit eurer Mentalitätsscheiße", sagte der Dortmunder Kapitän Marco Reus neulich nach dem 2:2 gegen Frankfurt zu einem Journalisten im TV-Interview, erbost über das vorgeschlagene Erklärungsmuster. Seitdem hat der BVB zwei weitere Male 2:2 gespielt - und Reus' Kollegen haben diese Ergebniskrise oft mit dem Wort Mentalität oder entsprechenden Synonymen erklärt. Auch diesen Samstag, nach dem Spiel gegen Mönchengladbach, wird wohl wieder darüber gesprochen werden.

Der Linguist Simon Meier-Vieracker von der TU Dresden hat laut eigener Aussage eigentlich wenig Ahnung von Fußball, aber er beschäftigt sich in seiner Forschung mit der Fußballsprache. Er betreibt den Blog fussballlinguistik.de, er hat den "Livetickergenerator" programmiert, der täglich zufallsgenerierte Livetickermeldungen twittert, und er hat in Tickereinträgen verschiedener Medien 180 Synonyme für "schießen" gefunden. Ein Gespräch aus aktuellem Anlass.

SZ: Herr Meier-Vieracker, Borussia Dortmund führt eine "Mentalitätsdebatte". Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sagte neulich im SZ-Interview: "Entweder hast du Mentalität - oder nicht." Ergibt das aus linguistischer Perspektive Sinn?

Meier-Vieracker: Das ist eine sehr fußballspezifische Verwendungsweise des Worts, die sich seit vielen Jahrzehnten beobachten lässt. Man würde eigentlich eher von einer partikularisierten Mentalität sprechen: von der deutschen Mentalität, von der Arbeitermentalität, von der südländischen Mentalität, was auch immer. Im Fußball wird das weggelassen. Es ist einfach die Mentalität, was wahrscheinlich so etwas heißen soll wie Willensstärke oder mentale Stärke. Das ist in den vergangenen Jahren häufiger geworden. Und ja, deshalb ergibt es Sinn.

Warum sucht sich der Fußball solche Worte und vereinnahmt sie für sich?

Da kann man aus fußballerischer und sprachlicher Sicht argumentieren. Zunächst mal, vom Fußball her argumentiert: Fußball ist ein unvorhersehbares Spiel, das ist der große Reiz. Diese Kontingenz ist aber auch irritierend, es muss deshalb immer nach Erklärungen gesucht werden. Und wenn man sonst keine Erklärungen parat hat, bleibt die Mentalität übrig, die nicht direkt beobachtet, aber auch nicht widerlegt werden kann. Sie ist immun gegen Falsifizierung. Der eindrücklichste Fall war für mich das Finale dahoam in der Champions League 2012. Die Bayern waren überlegen, aber haben das dämliche 1:1 kassiert und dann noch verloren. Deswegen hieß es dann immer: Chelsea hat es mehr gewollt.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Und aus sprachlicher Sicht?

Im Fußball ist es schon immer so, dass Redeweisen aus anderen Domänen aufgegriffen werden und dann ein Eigenleben entfalten. Weil wahnsinnig viel über Fußball geredet und geschrieben wird, können sich schnell ganz eigene Formulierungsweisen etablieren.

Spricht das nun für Relevanz? Oder für Einfallslosigkeit?

Marco Reus hat es ja auch so dargestellt: "Ihr mit eurer Mentalitätsscheiße." Da wird so getan, als wäre das ein Journalistending. Dann hat sich auch Peter Bosz gemeldet, der Trainer von Bayer Leverkusen, und gesagt, das ist ein Begriff, den Leute benutzen, die keine Ahnung von Fußball haben. Aber wenn man genau nachschaut, wer diese spezifische Verwendungsweise geprägt hat, dann sind das immer Trainer und Spieler gewesen. Ich glaube, es ist ein Wechselspiel von Trainern, die vor der Öffentlichkeit über ihre Arbeit sprechen, und dabei immer simplifizieren müssen für ein großes Publikum, und es sind Journalisten, die es aufgreifen. Das spiegelt dann wieder an Spieler und Trainer zurück, weil es ein Kommunikationsmodus ist, der funktioniert.

Mats Hummels hat ähnlich wie Reus argumentiert und gesagt, Mentalität sei der große Bruder vom Stellungsfehler.

Es wäre interessant zu erfahren, inwiefern das Wort Stellungsfehler in internen Taktikbesprechungen überhaupt vorkommt. Oder ob es nicht eine Chiffre ist, die eingesetzt wird, weil sie eine gewisse fachliche Expertise vorgibt und viel zu erklären scheint - und deshalb nicht weiter nachgefragt wird.

Dann bleiben wir doch mal in der Fußballsprache: Steckt der BVB aufgrund fehlender Mentalität in der Krise?

Ja, in einer handfesten sogar, zuerst reingestolpert, dann reingeschlittert und -gestürzt und droht auch immer tiefer reinzurutschen. Aber es besteht Hoffnung, denn aus Fußballkrisen kann man sich bekanntlich schon mit einem einzigen Sieg wieder herausschießen.

Was der Liguist den Kölner Stürmern rät

Sie haben 180 Synonyme fürs Schießen gefunden. Der 1. FC Köln als bislang torungefährlichster Bundesligist in dieser Saison hat offensichtlich große Probleme damit und in sieben Spielen erst fünf Tore geschossen. Auf welche Art und Weise könnte es die Mannschaft am Sonntag im Kellerduell gegen Paderborn versuchen?

Vielleicht hat sich der FC vor allem in den Kopf gesetzt, zu dreschen, zu zimmern und zu nageln. Das ließe sich übrigens wunderbar mit dem schönen Adjektiv fulminant verbinden. Vielleicht sollte der FC etwas weniger anspruchsvoll sein und sich auch mal mit Stöpseln oder Stochern zufriedengeben.

Außer den genannten - welche Wörter für schießen haben Sie überrascht?

Was wirklich rätselhaft ist, ist schlenzschäkern. Und dann gibt es ein paar, die ich ausgesprochen bildlich finde, wie buttercremen. Was ich auch toll finde, ist das Müllern. Das ist ein Muster, das immer wieder genutzt wird: dass aus Eigennamen Verben gebildet werden. Zum Beispiel: vandervaarten.

Warum beschäftigen Sie sich eigentlich derart intensiv mit der Fußballsprache? Fußball, sagen Sie ja, sei eigentlich gar nicht so Ihr Ding.

Ich habe angefangen, mich mit computergestützten Methoden zu beschäftigen, und habe Material gebraucht. Ich habe gemerkt, dass für das, was mich interessiert, für Musterhaftigkeit und Wiederholung von immer Gleichem, der Fußball einfach ungeheuer ergiebig ist. Der andere Grund ist der, dass Fußball ein populäres und präsentes Phänomen ist. Die Linguistik sollte die Augen davor nicht verschließen. Und: Es macht Spaß.

Haben Sie eigentlich noch für andere im Fußball oft gebrauchte Verben die Entsprechungen herausgefiltert? Für kämpfen, verteidigen oder gewinnen etwa?

Das habe ich noch nicht sortiert. Was ich gemacht habe: Mit einem Algorithmus habe ich aus Spielberichten die Phrasen extrahiert und dann neu zusammengemischt. Den Artikel habe ich "Phrasendicksaft, dreifach konzentriert" genannt. (Anm. d. Red.: In dem Artikel heißt es unter anderem: "Bei strahlendem Sonnenschein war für beide Teams zunächst taktische Disziplin oberstes Gebot. Dabei erwischte Mainz den besseren Start und bewies anfangs die reifere Spielanlage. Da die Hausherren zunächst mit angezogener Handbremse spielten, konnten sich die Mainzer ein leichtes optisches Übergewicht erspielen. Doch vor heimischer Kulisse hatten die Borussen ein engmaschiges Abwehrnetz aufgespannt und machten die Räume eng.")

Der "Kicker" schrieb neulich in einem Liveticker des Spiels zwischen Fortuna Düsseldorf und dem SC Freiburg: "Exzessives Abtasten in Düsseldorf".

Ah, das ist toll.

Was stellen Sie sich darunter vor?

Ein Spiel, in dem nichts passiert. Oder besser noch: Mittelfeldgeplänkel.

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