Fußball:Löws «falsche 100» - Lahm: Coach folgt klarer Linie

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Mailand (dpa) - Erst im Wembleystadion wird Joachim Löw zum 100. Mal bei einem Fußball-Länderspiel als verantwortlicher Mann auf der DFB-Trainerbank sitzen. Offiziell aber wird die Partie in Mailand gegen Italien als Jubiläum gewertet - auch von dem 53-Jährigen selbst.

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Mailand (dpa) - Erst im Wembleystadion wird Joachim Löw zum 100. Mal bei einem Fußball-Länderspiel als verantwortlicher Mann auf der DFB-Trainerbank sitzen. Offiziell aber wird die Partie in Mailand gegen Italien als Jubiläum gewertet - auch von dem 53-Jährigen selbst.

Im EM-Viertelfinale 2008 gegen Portugal brummte der Bundestrainer auf der Tribüne hinter Glas eine Platzsperre ab und Assistent Hansi Flick coachte das Team zum 3:2-Sieg. Doch auch da fühlte sich Löw als Chef. „Das rechne ich schon auch dazu, klar, weil ich bei der Vorbereitung bei der Mannschaft war“, bemerkte der Freiburger, der damals in Basel beim Zittersieg „die eine oder andere Zigarette“ rauchte, um seine Nervosität zu bekämpfen.

Ein bisschen hört sich die Geschichte des ehemaligen Junioren-Auswahlspielers (fünf Partien) aus dem Schwarzwald noch immer wie ein Fußballmärchen an. Als Profi absolvierte Löw weit mehr Spiele in der 2. Liga (252) als in der 1. Bundesliga (52). Als Trainer holte er 1997 zwar den DFB-Pokal mit dem VfB Stuttgart, rückte nach Stationen in Istanbul, Karlsruhe, Adana, Innsbruck und Wien aber erst als Assistent von Bundestrainer Jürgen Klinsmann ins große Rampenlicht. Jetzt haben nur noch die Weltmeistertrainer Sepp Herberger (167) und Helmut Schön (139) sowie Europameistercoach Berti Vogts (102) mehr Länderspiele als Löw verantwortet.

„Das Einzige, was ich empfinde, ist Dankbarkeit“, sagte der inzwischen wichtigste deutsche Fußballcoach zu der Zahl 100. Dankbarkeit gegenüber dem Deutschen Fußball-Bund, „der auch hinter mir stand, als es unglaublich eng war“, betonte Löw. Große Dankbarkeit empfindet er auch gegenüber seinen engen Mitarbeitern um die Assistenten Hansi Flick und Andreas Köpke. „Eine verschworene Einheit. Sie haben mich häufig angetrieben, auch wenn ich nicht so gut drauf war. Sie sagen mir auch ihre Meinung, wenn ich mal etwas falsch gemacht habe. Wir motivieren uns gegenseitig.“

Dankbar sei er auch seinen Spielern, „alle zu 100 Prozent professionell“. Jeder kenne seine Aufgaben, betonte Löw: „Der Per, Philipp, Lukas, Basti, Miro haben meinen ganzen Weg begleitet. Durch sie habe ich es geschafft, durch ihren Einsatz und ihre Leidenschaft, dass ich die 100 Länderspiele absolvieren konnte.“

Philipp Lahm, Lukas Podolski, Miroslav Klose, Per Mertesacker und Bastian Schweinsteiger haben unter Löw die mit Abstand meisten Länderspielminuten bestritten. „Sie haben immer alles für die Mannschaft, für ihr Land, das Trikot und die Trainer gegeben“, unterstrich der Jubilar. „Er ist einer, der immer ein offenes Ohr hat, der mit den Spielern und dem Betreuerstab viel spricht“, erwiderte Kapitän Lahm in Mailand die Komplimente.

Die schönsten und bittersten Momente seit dem Amtsantritt von Löw nach der WM 2006 teilten die lange Verbundenen. Das 0:1 im EM-Endspiel 2008 gegen Spanien hat ihm am schlimmsten zugesetzt, verriet der 53-Jährige: „Wenn man ein Finale verliert, löst das große Enttäuschung aus.“ Danach prägte Löw noch mehr seine Handschrift, vermied zu viele Kompromisse. „Man sieht in den Jahren mit Joachim Löw, dass wir erfolgreich, aber auch attraktiv Fußball spielen, dass wir offensiv denken. Mit vielen vielen spielstarken Typen hat sich der Fußball unter ihm verändert“, bemerkte Kapitän Lahm.

„Wir wussten, dass wir einige Dinge verändern müssen, dass wir fußballerisch eine andere Kultur und ein anderes Niveau erreichen müssen, um weiter erfolgreich sein zu können“, fasste Löw den wohl entscheidenden Stilbruch unter seiner Anleitung zusammen.

Der Bundestrainer stellte Jugend über Erfahrung und begeisterte mit der drittjüngsten Mannschaft des Turniers (Schnitt 24,96 Jahren) bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika die Fußballwelt. „Es gab viele Spiele, in denen wir fußballerisch absolut überzeugend waren“, meinte Löw. Das 4:0 im WM-Viertelfinale gegen Argentinien mit Weltstar Lionel Messi ordnet er als das beste Spiel unter ihm ein.

Den ganz großen Coup aber konnte Löw bislang nicht landen, nicht 2010 in Südafrika und auch nicht zwei Jahre später bei der EM in Polen und der Ukraine. Das viel beschriebene 1:2 im Halbfinale von Warschau gegen Italien hat am Image des DFB-Cheftrainers gekratzt. Öffentlich wird er seitdem kritischer hinterfragt, wie auch Manager Oliver Bierhoff feststellte: „Das muss er als Bundestrainer aushalten.“ Lahm hat da keine Bedenken: „Er hat immer seine klare Linie gehabt, die führt er klar weiter.“

Löw weiß, dass ihn nur der WM-Titel auf eine Stufe mit den deutschen Weltmeistertrainern Herberger, Schön und Franz Beckenbauer bringen kann. „Es ist logisch, dass ein Titel wahnsinnig viel für den Trainer, die Mannschaft und den Verband bedeutet“, sagte er selbst. Seinen trotz der jüngsten Vertragsverlängerung bis 2016 vielleicht finalen WM-Anlauf muss Löw ausgerechnet in Brasilien nehmen. In Südamerika, wo noch nie Europäer den WM-Thron erklimmen konnten. „Wer Brasilien stoppen will, muss auf wahninnigem Niveau, auf unglaublichem Niveau spielen“, sagte Löw: „Wir streben den Titel immer an. Aber er ist nicht selbstverständlich.“

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