Fußball:Hertha verschläft Wende - Preetz: «Historisch belegt»

Lesezeit: 3 min

Berlin (dpa) - Am Wochenende bekommt Michael Preetz wie tausende Berliner Besuch und wird sich in das Getümmel zur Erinnerung an ein "großartiges Ereignis" stürzen.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Berlin (dpa) - Am Wochenende bekommt Michael Preetz wie tausende Berliner Besuch und wird sich in das Getümmel zur Erinnerung an ein „großartiges Ereignis“ stürzen.

Als vor 25 Jahren der Eiserne Vorhang zwischen Deutschland Ost und Deutschland West fiel, saß der heutige Manager von Hertha BSC in einem Hotel in Pforzheim gebannt vor dem Fernseher. Sein damaliger Verein Fortuna Düsseldorf bereitete sich auf ein Spiel im DFB-Pokal vor, sein jetziger Verein Hertha BSC war im November 1989 (wie fast immer) schon Achtelfinal-Zaungast.

Was weder Preetz noch ein anderer in diesen Stunden ahnen konnte: Hertha hat die Wende und eine große Chance für den Verein verschlafen. „Das ist historisch belegt, weil Hertha nicht zu den Clubs gehörte, die unmittelbar nach der Wende die ersten großartigen DDR-Fußballer unter Vertrag genommen haben“, sagt Preetz heute.

Während der damalige Leverkusener Reiner Calmund und andere Bundesliga-Manager schon unmittelbar nach dem Mauerfall die damaligen Berliner BFC-Spieler Andreas Thom (Leverkusen), Thomas Doll, Frank Rohde (beide Hamburger SV), Rainer Ernst (1. FC Kaiserslautern) und andere kontaktierten und danach in den Westen lockten, ging Hertha diesen Weg nicht mit. „Es wird Gründe dafür gegeben haben, die bei den damals Verantwortlichen zu suchen sind“, meint Preetz. Einer war sicher, dass in der politischen Frontstadt Westberlin der DDR-Serienmeister BFC Dynamo durch seine Nähe zur Stasi noch kritischer gesehen wurde als anderenorts.

Hertha, in der Saison 1989/90 Zweitligist, schwelgte wie ganz Deutschland und besonders Berlin in Euphorie nach jener historischen Nacht am 9. November. Zwei Tage nach Grenzöffnung öffnete Hertha zum Zweitligaspiel gegen Wattenscheid 09 die Stadiontore für die Menschen aus der DDR - freier Eintritt für rund 11 000 unter den 44 174 Zuschauern. „Wir müssen die Tore für unsere Freund aus dem Osten weit öffnen“, schrieb Hertha im Spielprogramm. Vor der Teilung 1961 hatte der Club auch viele Zuschauer aus dem Ostteil der Stadt.

Schon im Januar 1990 sahen über 50 000 im Olympiastadion das erste Freundschaftsspiel zwischen Hertha und dem 1. FC Union Berlin, ein weiterer historischer Fußballtag. Beim 2:1 traf auch Axel Kruse, der im Sommer 1989 bei einem Spiel des FC Hansa Rostock in Kopenhagen geflüchtet war. „Das war unbeschreiblich, das war schon die Erfüllung eines Traumes“, erinnert sich der damalige Union-Kapitän Olaf Seier an das „Vereinigungsspiel“. Die Fans konnten mit fünf Mark Ost oder West den Eintritt bezahlen.

Hochstimmung war aber bei Hertha nicht mehr lange angesagt, obwohl der Meister von 1930 und 1931 im Wendejahr 1990 noch die so ersehnte Rückkehr in die Bundesliga schaffte. Der damalige Trainer Werner Fuchs verzichtete auch nach dem Aufstieg auf Verstärkung aus dem Osten: „Wir vertrauen dem Kader, der den Aufstieg schaffte.“

Nur der eher zweitklassige Ex-Unioner René Unglaube kam von Vorwärts Frankfurt (Oder) zu Hertha. Auch Manager Horst Wolter hatte Berührungsängste. Prompt ging es nach einer Katastrophensaison zurück in die Zweitklassigkeit. Und die Fans aus dem Osten fuhren lieber zu den Neu-Erstligisten nach Rostock und Dresden.

Die Auswirkungen spürt der aktuelle Manager noch immer: „Müßig ist, sich die Frage zu stellen, wo wäre Hertha in diesen Jahren gewesen, wenn sie einen Andreas Thom oder Ulf Kirsten hätten unter Vertrag nehmen können. Das ist leider nicht mehr zu ändern“, sagt Preetz. „Es ist klar, dass es aufgrund der Geschichte einfach über Jahrzehnte eine Trennung gab. Die kannst du nicht einfach aufholen, indem du direkt nach dem Mauerfall auf die Menschen zugehst und sagst: Hier sind wir, verwurzelt uns jetzt idealerweise mit unserem Verein.“

Erst Ende der 90er Jahre startete Hertha durch - mit den ehemaligen Ost-Spielern Dariusz Wosz, Hendrik Herzog und René Tretschok. Auch Thom wurde Herthaner und ist es als Jugendtrainer noch jetzt. Der Verein investierte und investiert viel Mühe und Geld, um die Fan-Gemeinde auszuweiten bis ins Berliner Umland hinein. „Wir sind überall in offene Arme gelaufen“, berichtet Preetz, der dieses Projekt schon als Manager-Assistent wesentlich mit begleitet hat. Doch in vielen Augen ist Hertha noch immer West, Union Ost.

„Das sind beides Clubs, die in der geteilten Stadt zu Hause waren. Natürlich ist der eine beheimatet im Westteil, der andere im Ostteil. Aber wir haben diese Unterscheidung nie gemacht“, betont Preetz, ergänzt aber: „Das muss man generationsübergreifend sehen. Das wird Zeit brauchen. Die ersten Früchte können wir da ernten. Wir schlagen langsam dort Wurzeln, wo es uns 40 Jahre nicht möglich war. Es ist ein Projekt, was langfristig angelegt ist.“

Der Niederländer Jos Luhukay registriert im Verein „Menschen aus Ost und West, da werden schon mal Scherze gemacht“. Der aktuelle Hertha-Trainer sieht ein entspanntes Miteinander: „Egal ob Ost oder West - bei uns ist es ein gemeinsames Arbeiten und es geht nur darum, mit Hertha BSC erfolgreich zu sein.“

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: