Fußball: FC Bayern:Keiner weint beim General

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Mit Disziplin und Schulterklopfen führt Bayern-Trainer van Gaal seinen Kampf gegen hoppelnde Bälle - und führt ein paar strategisch kühne Dinge ein.

Moritz Kielbassa

Für nichts Buntes war Zeit in diesem Trainigslager. Für keine Geister erweckende Wildwassergaudi; für keine Treppenläufe auf die Sprungschanze am Titisee. Louis van Gaal hat nur Fußball unterrichtet in dieser zeitlich mehrmals unterbrochenen Sommerklausur. Auf dem Stundenplan stand ein Proseminar für angewandte Geometrie (Thema: Pässe im Dreieck), und es gab viele taktische Trockenübungen.

Louis van Gaal im Gespräch mit Mario Gomez. (Foto: Foto: Getty)

Der Maestro aus Holland gestikulierte dabei wie ein eifriger Verkehrspolizist, ständig unterbrach van Gaal, bellte bei falschem Stellungsspiel oder hoppelnden Bällen, und wegen der Lautstärke zuckten die Fußballer des FC Bayern sogar, wenn er aus dem Resonanzraum seines mächtigen Bauches Lob hervorbrachte ("Ja, DAS ist ein Pass"). Eines Abends, als van Gaal beim Training in Donaueschingen wieder eine famose Einlage gab, mit Trillerpfeife und kurzem Tobsuchtsanfall, ertönte hinter seinem Rücken plötzlich: Szenenapplaus der Fans.

So einen wollten sie bei Bayern, nach einer verdrussreichen Saison ohne Titel, die ihre Lust auf Experimente stillte. Die Ikonen des Klubs, selbst unter Druck, suchten Halt und Autorität, einen praxiserfahrenen Lotsen und keinen jener smarten, jungen Innovationsverkünder, die oft mehr durch Leichtigkeit im Umgang mit Spielern und Medien auffallen als durch straffe Vermittlung von Inhalten.

Es ist demnach "kein Everybody's Darling" Bayern-Trainer geworden, wie Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge schon im Frühjahr ankündigte, "sonst könnten wir ja George Clooney holen". Mijnheer van Gaal hat nichts von einem Mimen aus Hollywood, er ist kein Beau und kein notorischer Hauptdarsteller vor Kameras. Er ist ein Fußballlehrer, der "dem Team personell und strategisch ein Gesicht geben soll", sagt der neue Sportchef Christian Nerlinger.

Im Verein kam van Gaal gleich am ersten Arbeitstag an. Er rief mit päpstlichem Vibrato "mir san mir", die Präambel des FCB-Grundgesetzes. Seine Selbstbeschreibung - "dominant und arrogant, aber herzlich und warm" - passt zum Rekordmeister, der neben seinem Anspruch auf Macht und Größe Wert legt auf einen sozialen Touch, verkörpert durch Uli Hoeneß, den meisterhaft zwischen Schimpfkanonier und Glucke changierenden Manager.

Hoeneß imponiert, welch soldatische Disziplin in der Gruppe herrscht, beginnend bei Details: In Donaueschingen war Hoeneß, ein Freund des Businesshemds, als Einziger entpflichtet von van Gaals strikten Kleidervorschriften; selbst kräftige Delegationsmitglieder mussten sich in weiße Team-T-Shirts pressen.

Auf der nächsten Seite: Welche Vorstellungen van Gaal vom neuen FC Bayern hat und welche Frage noch offen ist.

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Auf der grünen Wiese gibt van Gaal Antworten auf banale W-Fragen: "Wo biete ich mich an? Wo kann ich hinpassen? Wo laufe ich hin - damit wir kein Hühnerhaufen sind", erzählt Mark van Bommel, Landsmann des Trainers und designierter Organisator vor der Abwehr. Es sagt einiges über den Stand von Forschung und Lehre, dass Bastian Schweinsteiger von einem Kulturbruch spricht: "Bisher wurde taktisch leider nicht so gearbeitet." In den 90ern, als deutsche Trainer auf Fernreisen erstmals Viererketten entdeckten, grübelte van Gaal bei Ajax Amsterdam bereits, wie man die modernen, mobilen Abwehrbollwerke ausmanövriert.

Seine Antwort, eine Reloaded-Version des voetbal totaal, lehrt er nun bei Bayern: schnelles Ballkreiseln durch harte Pässe, Pressing, Räume verengen und auffächern, verwirrende Laufwege, viele Spielverlagerungen. Etliches im Training klappt noch mäßig, obwohl manche Passübung in der Grundanordnung so simpel aussieht wie beim FC Hintertupfing. Das Außergewöhnliche ist die pedantisch genaue Ausführung, die van Gaal einfordert. Es ist mäuschenstill, wenn er die Gruppe maßregelt.

Doch die Tonart des "Tulpen-Generals" variiert. Van Gaal nimmt Spieler auch in den Arm, er soll, sagen viele, unter vier Ohren ein einfühlsamer, an sozialen Dingen interessierter Zuhörer sein. "Sein Korrigieren ist Stimulieren, bei uns liegt keiner weinend auf dem Zimmer", versichert van Bommel. Van Gaal hat auch Sinn für Ironie und Folklore, manchmal ist er sogar ein bisschen Clooney. Im Training inszenierte er schon ein Elfmeterschießen mit Siegerehrung; vor den Feixenden mimte er den Fotografen.

Van Gaal lebt calvinistisches Ethos, er ist ein Regel- und Ordnungsliebhaber, Abmachungen einzuhalten ist für ihn das höchste Gut - egal, ob Verträge oder mündliche Absprachen an der Taktiktafel. In der Heimat ist der einst als Bondscoach Gescheiterte auch umstritten. Kritiker sehen in ihm einem knorrigen Herrscher, der es übertreibt mit der Kollektivierung des Spiels und Individualisten die Freiheit beengt. Van-Gaal-Fußball ist offensiv-kreativ, aber kontrolliert, keine Bühne launiger Solisten.

Die Bayern, die zuletzt hektisch versuchten, internationalen Tempofußball zu imitieren, sollen sich als Gruppe steigern, durch ihre alte Ratio, mit flotterem Ballbesitz. Es gibt aber auch den anarchischen Franck Ribéry: Kann van Gaal den zuletzt missgelaunten und derzeit verletzten Freigeist zähmen, ihm die neue Rolle als Vordermann einer Raute schmackhaft machen, ihn zur Mitarbeit nach hinten anhalten? Oder fehlen einem domestizierten Ribéry in der Mitte Lust und Raum für Dribblings?

Van Gaal hat sich strategisch ein paar kühne Dinge ausgedacht, in der Abwehr verzichtet er auf die unorthodoxe Leidenschaft Lúcios (zu Inter), er baut auf junge Höhenflieger wie den Innenverteidiger Badstuber und die aus der Nische geholten Zugänge Braafheid und Pranjic. Die Defensive, ohne neuen Torwart, beäugen diverse Sachverständige skeptisch, auch van Gaal vermutet: Wegen der von Ausfällen gestörten Vorbereitung könnte es am Anfang holpern.

© SZ vom 25.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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