Der Fußball lebt auch von seinen Rivalitäten. Manchmal sind diese rein politisch motiviert, so wollen Dortmunder und Schalker Anhänger beispielsweise nicht, dass ihre Klubs ein gemeinsames Benefizspiel austragen. Aber auch Ausschreitungen sind keine Seltenheit, weshalb vor dem 107. Nordderby zwischen dem HSV und Werder Bremen am Samstag das Polizeiaufgebot wieder massiv verstärkt wurde. Johannes Berendt vom Institut für Sportökonomie und Sportmanagement an der Deutschen Sporthochschule in Köln hat sich im Rahmen der Studie "Rivalität und Fan-Aggressionen" damit beschäftigt, wie Vereine die Aggressionsgefahr verringern können - durch eine bessere Kommunikation. Gemeinsam mit Sebastian Uhrich befragte der 36-Jährige 4000 Fans zum Thema und fand Erstaunliches heraus.
SZ: Herr Berendt, der damalige Werder-Trainer Viktor Skripnik hat vor drei Jahren vor dem Nordderby gegen den HSV gesagt: "Das Derby ist kein Krieg und keine Schlägerei." Was halten Sie von dieser Aussage?
Johannes Berendt: Solche Aussagen sind kontraproduktiv und machen Fans in der Tendenz erst aggressiv. Das haben wir in mehreren Studien nachgewiesen.
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Sachlich hat er doch nicht Unrecht, oder?
Nein, hat er nicht. Man muss aber das Ziel berücksichtigen, das mit solchen Aussagen verfolgt wird. Sätze wie 'Das Derby ist kein Krieg, es geht auch nur um drei Punkte, es ist ein Spiel wie jedes andere' spielen die Rivalität bewusst herunter, um die Gemüter zu besänftigen und Ausschreitungen vorzubeugen. Intuitiv mag dieser Ansatz richtig sein. Aber es hat sich in unseren Studien gezeigt, dass Fußballfans auf solche Beschwichtigungsversuche mit noch höheren Aggressionen in Richtung des Rivalen reagierten als Fans, die gar kein Statement zur Rivalität gelesen haben.
Warum ist das so?
Die Rivalität ist ein wesentlicher Teil der Fan-Identität. Anhänger definieren sich nicht nur darüber, wer sie sind, sondern auch insbesondere darüber, wer sie nicht sind. Der Bremer sagt: Ich bin nicht nur Werder-Fan, ich bin auch gegen den HSV. Die Fans reagieren einfach verärgert, wenn der Konflikt mit dem Rivalen nicht gewürdigt und wertgeschätzt wird. Bevor Rivalitäten heruntergespielt werden, ist es besser, lieber gar nichts zu sagen. Die Frage ist, wie man den Konflikt harmonisieren kann. Ein Ansatz ist das Konzept der "dualen Identität".
Das müssen Sie erklären.
Dabei geht es darum, einerseits die Verschiedenheit und Besonderheit der verfeindeten Gruppen zu wahren, sie jedoch gleichzeitig auf bestimmte Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Man sagt etwa: Ihr seid Hamburger, wir sind Bremer. Wir haben beide eine einzigartige Identität, die keiner wegnehmen will. Trotzdem stehen wir beide für den Norden, sind wir beide Traditionsklubs. Solche Statements senkten die Aggressivität der Fans im Vergleich zu direkten Beschwichtigungsversuchen - und auch verglichen mit reinem Schweigen. Fans sind also durchaus bereit, Gemeinsamkeiten mit dem Rivalen anzuerkennen.
Das heißt: Rivalität ist in gewissem Maße überhaupt kein Problem?
Genau. Leider ist Rivalität häufig negativ konnotiert. Denn in der Öffentlichkeit stehen eher die negativen Begleiterscheinungen wie Ausschreitungen, Hass und Gewalt im Vordergrund. Doch andererseits hat Rivalität auch viele positive Konsequenzen. Sie stärkt beispielsweise den Zusammenhalt einer Gruppe und steigert das Zuschauer- und Medieninteresse. Wir haben Dortmund-Fans gefragt, ob sie eigentlich wollen, dass Schalke absteigt. 80 Prozent verneinten die Frage. Der Rivale soll zwar nicht Meister werden und auch das Derby verlieren, aber verschwinden, das darf er nicht.
Also brauchen sich zwei Teams wie der HSV und Werder Bremen, trotz aller Gegensätze?
Ja, man kann von einer Art Hassliebe sprechen. In Anlehnung an das Beziehungskonzept " Freundschaft Plus" bzw. " friends with benefits" haben wir die Beziehung " enemies with benefits" bzw. " Feindschaft Plus" genannt. Sie sind Rivalen - keine Freunde, aber auch keine richtigen Feinde. Weil man doch etwas aneinander findet. Und Rivalität löst sogenannte "legacy concerns" - Vermächtnisbedenken - aus.
Was bedeutet das genau?
Jedes Aufeinandertreffen mit dem Erzrivalen ist für die Fans wie ein weiteres Kapitel einer langen Geschichte. Jedes Derby bietet Stoff zur Legendenbildung. Niederlagen schmerzen natürlich gegen jeden Gegner, sind aber recht schnell vergessen. Fans wissen aber genau, dass man sich an eine Niederlage im Derby noch lange erinnern wird. Der Schmerz wird sozusagen verlängert.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Fans von Klubs ohne großen Erzrivalen haben weniger Konfliktpotenzial.
Fans ohne Erzrivalen haben das Problem, dass sich die identitätssteigernden Effekte nicht so recht entfalten können. Ich denke da an Wolfsburger, Hoffenheimer oder Freiburger. Je stärker eine Rivalität ausgeprägt ist, desto besser ist es für die Identität der Fans. Die Wolfsburger haben das Problem, dass sie weder von den Hannoveranern noch den Braunschweigern als Erzrivale ernstgenommen werden. Sie werden in gewissem Maße ignoriert, ihnen fehlt etwas, denn die Gegenseitigkeit einer Rivalität ist wichtig. Auf das Aggressionspotenzial kann man es aber nicht direkt beziehen. Gewalt im Stadion ist ein komplexes Phänomen, da gibt es viele Einflussfaktoren.
Wie passen Hooligans in dieses Bild?
Viele Leute sind der Meinung, dass Gewalt von einer kleinen Minderheit ausgeht. Dass man 50 Personen, die sich prügeln wollen, ohnehin nicht ändern kann.
Wie können die Vereine ihre Kommunikation verbessern?
Das Beste wäre es, wenn man probiert, die Rivalität anzuerkennen und auf übergeordneter Ebene Gemeinsamkeiten mit dem Rivalen aufzubauen. Insofern konnten wir zeigen, dass es nicht im Sinne von Fußballvereinen sein kann, anhand falscher Kommunikationspolitik dafür zu sorgen, dass die breite Masse an Fußballfans mit einer aggressiveren Grundstimmung ins Stadion geht.
Wie sieht es bei den Klubs mit der Wahrnehmung zum Thema Rivalität aus, ist die Problematik bekannt?
Rivalität ist ein wichtiges Thema, das von den Vereinen sehr ernst genommen wird. Die Klubs können jetzt schauen, ob es sinnvoll ist, Gemeinsamkeiten mit dem Rivalen zu finden und aufzubauen. Unser Kommunikationsansatz ist kein ganzheitlicher Lösungsansatz des Gewaltproblems, das ja ganz speziell ist. Aber es ist ein Baustein, um zu verhindern, dass weiter kontraproduktiv agiert wird.