Fußball-EM:Kimmichs süße Grüße an Philipp Lahm

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  • Meisterstück gegen Nordirland: Mit seiner Schnelligkeit, seiner Übersicht, seinen Flanken erinnert Kimmich als Rechtsverteidiger an Philipp Lahm.
  • Hat der Bundestrainer nun endlich eine Dauerlösung für Außen?

Von Thomas Hummel, Paris

Pep Guardiola saß vermutlich in einem Ohrensessel in Manchester, und als er die Aufstellung der deutschen Mannschaft gegen Nordirland erfuhr, sprach er innerlich noch einmal mit all seinen Münchner Kritikern. "Ihr könnt nicht verstehen, ich liebe diesen Jungen. Er hat alles, er kann alles, er gibt alles" hatte der Katalane einmal über Joshua Kimmich gesagt.

Was fühlte sich der Trainer des FC Bayern angegriffen, wenn mal einer bemerkte, dass dieser 1,76 Meter große Jungspund aus dem Schwäbischen nicht die richtige Wahl sei für den Posten als Innenverteidiger. Noch dazu für so brisante Partien wie in Lissabon, in Dortmund oder in Turin.

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Doch dieser Kimmich war Guardiolas Werk und Idee, seine Erfindung. Er hatte aus dem Mittelfeldspieler für die Zukunft einen Verteidiger für die Gegenwart gemacht. Er brauchte diesen Kimmich, weil sich sein Stammpersonal reihenweise verletzt hatte. Für die guten Leistungen dankte ihm der Trainer mit allerlei Liebesbekundungen ("Süßer, süßer Junge" - "Fast mein Sohn").

Guardiolas Prophezeiung geht in Erfüllung

Im Pariser Prinzenpark nun ging spätestens Guardiolas Prophezeiung in Erfüllung, der Junge werde früher oder später Nationalspieler; sein Debüt hatte dieser im Testspiel gegen die Slowakei gefeiert. War ja auch nicht schwierig vorherzusagen. Wer als Bayern-Trainer einen deutschen Fußballer aufstellt, der ebnet automatisch den Weg zum Bundestrainer.

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Dabei war schnell klar, dass Joachim Löw mit Joshua Kimmich einen anderen Plan hat. Löw hat wahrlich kein Problem in der Abwehrmitte, dafür aber einen andauernden Notstand auf der rechten Seite. Philipp Lahm grüßt ja diesen Sommer vom heimischen Grill aus nach Frankreich.

Gegen die Ukraine und Polen hatte Benedikt Höwedes die Position brav und gewissenhaft ausgefüllt. Aber ohne jede Wirkung in der Offensive, für die der Schalker einfach nicht geschaffen ist. Der Plan gegen das ultradefensive Nordirland sah allerdings vor, dass die Außenverteidiger bei eigenem Ballbesitz zu Außenstürmern mutieren sollten, um den grünen Abwehrriegel auseinanderzuziehen. Eine Idee, die sich mehrfach als guter Plan erwies. Weil Kimmich zeigte, dass er auch das kann.

Schon in den ersten Szenen war sichtbar, dass der 21-Jährige all seine Fähigkeiten mitgebracht hatte in den Pariser Südwesten. Seine einwandfreie Technik, sein genaues Passspiel, seine Übersicht, seine Ruhe. Er fügte sich problemlos ein in das Kombinationsspiel der Deutschen, war auch durch den harten Einsatz der Nordiren nicht einzuschüchtern. Laufduelle verlor Kimmich auch keine, seine ansprechende Schnelligkeit reichte für diesen Gegner aus.

Seine Pässe führten in der nordirischen Abwehr stets zu Tumulten

Er spielte so, wie er das schon beim FC Bayern getan hatte: furcht- und respektlos. Manche Einlassung Löws hatten ja vermuten lassen, dass der Bundestrainer den Neulingen in seinem Kader gerade die Drucksituation eines EM-Spiels mit nationaler Bedeutung noch nicht ganz zutraue. Doch Kimmich belehrte ihn gegen Nordirland eines Besseren. Er strahlte die Ruhe eines Profis aus, gestählt in etlichen Champions-League-Partien. Und das im zweiten Länderspiel.

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Hinten warf er sich unerschrocken in die Kopfballduelle; ging es nach vorne, visierte er den Posten als Rechtsaußen an. Dort wirkte er ständig auf dem Sprung zum nächsten Sprint "in die Tiefe", wie es Bundestrainer Löw und Innenverteidiger Jérôme Boateng gefordert hatten. Kimmich war damit die dringend gesuchte Offensivoption auf der Außenbahn.

Er flankte auf Thomas Müller, der den Pfosten traf. Einige Male durchschnitt er mit seinen Pässen von rechts die nordirische Abwehr, was dort gleich zu Tumulten führte. Er lupfte mit Links den Ball auf den frei stehenden Mario Götze, später auf den Kopf von Mario Gomez. Dass all seine guten Aktionen nicht zu Toren führte, war ihm am wenigsten anzulasten.

Manche Bewegungen erinnerten so stark an Lahm, dass der DFB diesem zum ersten Mal seit 2004 ohne Bedauern einen schönen Abend wünschen konnte. Und wenn in nicht allzu ferner Zeit Lahm auch den FC Bayern vom Grill aus grüßen wird, könnte mancher auf die Idee kommen, im Pariser Prinzenpark auch für den Münchner Weltklub seinen Nachfolger gesehen zu haben.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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