Fußball-EM:Der arrogante Blick auf das Turnier

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Super Victor: Ob wenigstens mit dem Maskottchen dieser EM alle zufrieden sind? (Foto: Getty Images)

Kein Sommermärchen, zu viele kleine Nationen? Besonders in Deutschland erweisen sich gerade viele als kleingeistige Betrachter dieser Fußball-EM.

Kommentar von Claudio Catuogno

Der isländische Abwehrspieler Ari Freyr Skúlason zog sich nach dem Spiel gegen Portugal Schuhe und Strümpfe aus und ließ sich auf den Rasen sinken. Eine Frau eilte herbei, wuchtete seine nackten Knöchel in die Luft und lockerte seine Muskeln. Das an sich war nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich war, dass es sich bei der Frau nicht um eine isländische Betreuerin handelte. Sondern um Dorrit Moussaieff, die Frau des Staatspräsidenten. "The First Lady preparing me for the next game", schrieb Ari Freyr Skúlason auf seiner Instagram-Seite.

Politik und Fußball waren noch nie voneinander zu trennen. Sollte die deutsche Elf bei der EM in Frankreich das Finale erreichen, wird die Kanzlerin die Spieler vermutlich wieder in der Kabine besuchen, Lukas Podolski wird dort oben ohne herumstehen, und vielleicht wird es danach wieder Streit geben, wer das Gruppenbild mit Dame vermarkten darf, Bundespresseamt oder DFB. Nur dass Daniela Schadt, die Lebensgefährtin des Bundespräsidenten, Jérôme Boateng nach einem Spiel die Krämpfe wegschüttelt, das wird man wohl nicht erleben.

Der Deutsche wundert sich: Gilt denn das heilige Gesetz nicht?

Es ist in Deutschland, und nicht nur dort, jetzt oft zu hören und zu lesen, die EM beginne erst an diesem Samstag. Die Vorrunde, in der erstmals 24 statt 16 Teams dabei waren? Bloß lästiges Vorgeplänkel. Aber das ist der arrogante Blick der europäischen (Fußball-)Mächte auf eine Veranstaltung, die nun schon seit zwei Wochen Bilder und Geschichten liefert. Entsetzliche, wie jene von prügelnden Russen und Engländern in Marseille. Aber eben auch anrührende wie jene der Isländer, Waliser, Nordiren und Slowaken, die nie zuvor bei einer EM dabei waren und die jetzt alle im Achtelfinale stehen.

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Ja, es waren in erster Linie sportpolitische Ränkespiele, die den neuen, in vielerlei Hinsicht unübersichtlichen Turniermodus hervorgebracht haben. Aber dass deshalb jetzt alles schlechter ist als früher, das würde nicht nur Ari Freyr Skúlason doch entschieden anders sehen.

Wie vielleicht nie zuvor hängt der Blick auf diese EM davon ab, wer der Betrachter ist. Die großen Deutschen, übrigens auch Journalisten, scheinen dabei besonders kleingeistigste Betrachter zu sein. Sie reisen ins Nachbarland und suchen nach einem Sommermärchen, wie sie es der Welt 2006 geschenkt haben. Aber wenn sie dann überhaupt mal größere Menschenmassen antreffen, sind das doch tatsächlich Gewerkschafter, die gegen liberale Arbeitsgesetze protestieren, oder junge Leute ohne Fähnchen, die Musikfestivals besuchen.

Die Sportzeitung L'Équipe beschäftige sich am Freitag auf den ersten zwölf Seiten mit einem Rugbyspiel zwischen Toulon und Colombes. Ja haben diese Franzosen denn nicht mal ein gescheites Fußballsommer-Gesetz (FußSommG), wonach während einer EM oder WM vier Wochen lang der Bierbauch zu entblößen ist und das richtige Leben Pause hat?

In Frankreich hat das richtige Leben keine Pause. Aber auch hier findet das Turnier in verschiedenen Welten statt. Die Kleinen lieben es. Die Großen belächeln die Kleinen. Und es ist nicht ohne Ironie, dass diese beiden Welten sich jetzt erst im Finale begegnen. Auf der einen Seite des Tableaus finden sich Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und England mit ihren 19 Welt- und Europameistertiteln. Auf der anderen Seite Belgien, Kroatien und ein paar andere, zusammengerechnet: null Titel.

Das kann man noch nicht mal dem neuen Modus vorwerfen - sondern Spaniern und Engländern, die in ihren Gruppen nur Zweite wurden. Die Spanier müssen zur Strafe jetzt die Italiener besiegen. Die Engländer sind mit dem richtigen Leben gerade gestraft genug.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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