Fußball-EM:Das sind die Überraschungen bei der EM 2016

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Halldórsson, Cikalleshi und Lafferty (v.l.n.r.): Neulinge bei der EM (Foto: Getty Images)
  • Die EM-Qualifikation hat neue Fußballkräfte hervorgebracht - fünf Nationen fahren erstmals zur EM.
  • Teams wie Island oder Albanien sind große Überraschungen. 2016 werden sie in Frankreich trotzdem Außenseiter sein.

Von Jan Götze, Christopher Gerards und Thomas Hummel

Island

Hannes Þór Halldórsson steht stellvertretend für den isländischen Erfolg in der EM-Qualifikation. Der damals 21-jährige Torwart verbrachte seine Freizeit im Jahr 2005 noch als Ersatztorhüter beim isländischen Drittligisten Afturelding. Eine Profikarriere für Halldórsson schien ein Fantasieprodukt wie aus Islands Sagenschatz zu sein. Doch Halldórsson verbesserte sich stetig, schaffte es nach Bergen in die norwegische Liga und wechselte nun im Sommer zum niederländischen Erstligisten Nijmegen.

Ähnlich positiv entwickelten sich seine Kollegen in der isländischen Nationalmannschaft. Der Verband ließ vom Jahr 2000 an mehrere Fußballhallen mit Kunstrasen errichten, die das Spielen auch im Winter ermöglichten. Damit endeten jene qualvollen Zeiten, in denen isländischer Fußball auf Sand in Pferdehallen gespielt werden musste. Die neuen Spielstätten führten dazu, dass Tausende Jugendliche plötzlich in die Vereine drängten - es wuchs eine Generation an Klassefußballern heran, aus der heute Spieler wie Kolbeinn Sigþórsson oder der frühere Hoffenheimer Gylfi Sigurðsson herausstechen.

Jetzt besteht die Nationalelf, abgesehen von Halldórsson und dem 37-jährigen Ex-Barcelona-Profi Eiður Guðjohnsen, größtenteils aus der ehemaligen U21. Die hatte im August 2010 sogar den deutschen Nachwuchs (u. a. mit Mats Hummels und Benedikt Höwedes) 4:1 besiegt.

In der Qualifikationsgruppe A schafften die Isländer überraschend schnell die Qualifikation - am Ende wurden sie Zweiter. Vor der Türkei, weit vor den Niederlanden.

(jago)

Wales

"Das war die schönste Niederlage meiner Karriere", offenbarte Gareth Bale nach dem vorletzten Gruppenspiel gegen Bosnien-Herzegowina, das seine Waliser 0:2 verloren. Da Israel gleichtzeitig gegen Zypern verlor, qualifizierten sich die Briten vorzeitig. Für Bale und seine Mitspieler ein außergewöhnlicher Erfolg.

Der Ausnahmespieler von Real Madrid hat mit Wales "Geschichte geschrieben", wie es Teamkollege Aaron Ramsey beschrieb. Trainer Chris Coleman teilt die Ansicht seines Mittelfeldspielers: "Ganze Spielergenerationen sind zuvor gescheitert, aber dieses Team hat den letzten Schritt gemeistert."

Für die Waliser ist es der größte Erfolg seit der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1958 in Schweden. Damals kam die Mannschaft um den Waliser Helden John Charles bis ins Viertelfinale und scheiterte erst am späteren Weltmeister Brasilien.

Diesmal soll Bale mit seinen Sprints, Tempodribblings und seinem linken Fuß die Dinge regeln. Und er hat das seltene Glück, dass ihm Spieler wie Ramsey (FC Arsenal), Joe Allen (FC Liverpool), sowie die Verteidiger Ben Davies (Tottenham Hotspur) und Kapitän Ashley Williams (Swansea City) zur Seite stehen. Sie alle verfügen über Erfahrung auf Toplevel und könnten in Frankreich durchaus überraschen.

(jago)

Nordirland

Fragt man Kyle Lafferty nach seinen EM-Wunschgegnern, gibt er eine verblüffende Antwort. Er würde gerne auf Argentinien oder Brasilien treffen. Die Möglichkeit, gegen Lionel Messi oder Neymar zu spielen, sei einfach unglaublich. Humor ist eben auch in Nordirland kein Fremdwort. Und die Nordiren haben derzeit gut lachen.

Zwar konnten sie sich in der Vergangenheit bereits drei Mal für eine Weltmeisterschaft qualifizieren (1958, 1982, 1986), für eine EM-Endrunde allerdings noch nie. Mit seinen sieben Toren hat Lafferty gravierenden Anteil daran, dass sein Nationalteam im kommenden Jahr nach Frankreich reisen wird. In seinem Heimatland umjubelt, findet der Stürmer beim Premier League-Klub Norwich City kaum Beachtung. Der 28-Jährige wurde in dieser Saison erst einmal eingewechselt.

Bei Trainer Michael O'Neill ist er jedoch gesetzt. Gemeinsam mit Innenverteidiger Jonny Evans (West Bromwich Albion), und Mittelfeldspieler Steven Davis (FC Southampton) bildet er die zentrale Achse. Dennoch: Nordirland bleibt in Frankreich Außenseiter.

(jago)

Albanien

So eine Feier hat Albanien noch nicht erlebt. Am Tag nach der erfolgreichen Qualifikation für EM hatten die Kinder schulfrei, am Flughafen in Tirana begrüßten Zehntausende die Nationalmannschaft, die danach direkt weiterfuhr zum Staatspräsidenten, der den Spielern einen Orden verlieh. "Ein unmöglicher Traum wird wahr", sagte Regierungschef Edi Rama.

Platz zwei vor Dänemark und - das ist das wichtigste - vor Nachbar und Erzrivale Serbien. Wobei zu der Geschichte der albanischen EM-Quali auch der Eklat von Belgrad aus dem Herbst 2014 gehört: Damals schwebte eine Drohne mit einer Groß-Albanien-Flagge ins Stadion ein, was die Serben provozierte und zu Ausschreitungen führte. Die Spieler hätten damals um ihr Leben gefürchtet, berichtete Albaniens Sokol Cikalleshi. Am Ende überstimmte der Internationale Sportgerichtshof Cas die Uefa und gab Albanien drei Punkte. Die halfen entscheidend.

Kaum ein Nationalspieler kickt in Albanien, einige sind sogar in Westeuropa geboren, die meisten von ihnen in der Schweiz. Dennoch schuf der italienische Trainer Gianni De Biasi ein Klima des Zusammenhalts und der Wehrhaftigkeit. Er sagt im Hinblick auf die schwierigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Land: "Ich wünsche, das Land nimmt sich ein Beispiel an diesen Jungs und entwickelt sich."

(hum)

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Slowakei

Die Qualifikation für die EM stand eigentlich schon im Oktober 2014 fest. Zum Auftakt hatten die Slowaken schon in der Ukraine 1:0 gewonnen, dann rutschte ihnen eine kleine Sensation gegen Spanien raus. In Zilina besiegten sie den amtierenden Europameister 2:1. Der Torwart, Matúš Kozáčik aus Pilsen, machte das Spiel seines Lebens und als Miroslav Stoch kurz vor Schluss den Siegtreffer köpfelte, flippte das kleine Land kollektiv aus.

Am Ende konnte sich die slowakische Nationalmannschaft sogar eine Niederlage gegen Weißrussland leisten - nun fährt sie zum ersten Mal zu einer EM. "Jetzt werde ich nach Hause gehen und eine entspannte Partie Golf spielen", erklärte Trainer Ján Kozák. Seine Stützen heißen Martin Škrtel vom FC Liverpool und Marek Hamšík vom SSC Neapel. Letzterer spielt nicht nur gut, er hat auch den Irokesen-Schnitt in der Slowakei salonfähig gemacht. Die französischen Coiffeure werden das im kommenden Jahr naserümpfend zur Kenntnis nehmen.

(hum)

Österreich

Marcel Koller trug eine Baskenmütze auf dem Kopf, in seinen Händen hielt er ein Baguette. Er könne es ja jetzt offiziell verkünden, rief Österreichs Nationaltrainer den anwesenden Reportern entgegen: "Frankreich, wir kommen!" Dann brach er das Baguette in zwei Stücke, biss in eines hinein und vermeldete: "Schmeckt sehr gut."

Vermutlich hat das Baguette auch sehr trocken geschmeckt, aber es wird nicht ganz so trocken gewesen sein wie Kollers Humor. Seine Mannschaft hatte sich gerade für die EM in Frankreich qualifiziert, durch ein 4:1 in Schweden. Dass dies Anlass für publikumswirksame Witzeleien gab, lag daran, dass Österreich sich zuvor noch nie für eine EM qualifiziert hatte, zumindest sportlich gesehen. 2008 war Österreich schon einmal dabei, aber nur deshalb, weil das Land das Turnier ausrichtete, gemeinsam mit der Schweiz. Ergebnis: Österreich schied in der Vorrunde aus.

Die Qualifikation zur EM 2016 hingegen muss Kollers Mannschaft erst mal einer nachmachen: zehn Spiele, neun Siege, ein Unentschieden. Nunja, fragte also ein Reporter den Baguette essenden Trainer: Österreich sei ja besser in Form als der Weltmeister - die deutsche Mannschaft - wie sehe es denn da aus mit dem EM-Titel? Koller blickte nach unten, griff nach einem Glas Wasser und rief nur: "Prost!"

(chge)

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