Fußball:Der DFB und die WM-Affäre: Aufklärung mit Samthandschuhen

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Reinhard Grindel ist der Präsident des DFB. (Foto: Arne Dedert)

Frankfurt/Main (dpa) - Die DFB-Zentrale in Frankfurt, ein Freitag im Oktober. Vor einem Jahr bittet der damals noch amtierende Chef Wolfgang Niersbach seine Präsidiumskollegen zu einer Telefonkonferenz und eröffnet ihnen sinngemäß: Ich muss euch etwas sagen.

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Frankfurt/Main (dpa) - Die DFB-Zentrale in Frankfurt, ein Freitag im Oktober. Vor einem Jahr bittet der damals noch amtierende Chef Wolfgang Niersbach seine Präsidiumskollegen zu einer Telefonkonferenz und eröffnet ihnen sinngemäß: Ich muss euch etwas sagen.

Seit dieser Konferenz am 16. Oktober 2015 weiß die gesamte Spitze des Deutschen Fußball-Bundes, dass die WM 2006 von dubiosen Geldflüssen begleitet wurde. War das Sommermärchen gekauft?

Der heutige Freitag ein Jahr später, wieder trifft sich das Präsidium des größten Sportfachverbandes der Welt zu einer Sitzung. Der DFB würde so gern weiter die Botschaft verkünden: „Alles ist aufgeklärt, alles liegt hinter uns.“ Aber genau ein Jahr nach der Enthüllung der WM-Affäre schließt nicht einmal der selbstbewusste Niersbach-Nachfolger Reinhard Grindel weitere Enthüllungen aus.

Der Schaden des Skandals sei wegen der laufenden Ermittlungen „noch nicht abschließend zu beziffern“, sagte der neue DFB-Präsident der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben natürlich selbst versucht, uns ein Bild vom Geschäftsgebaren des WM-OK 2006 und früherer Führungskräfte des DFB zu machen. Dabei haben wir das Problem, dass zahlreiche Akten immer noch bei der Staatsanwaltschaft sind.“

Der DFB und die WM-Affäre - das ist keine Geschichte der brutalstmöglichen Aufklärung. Es ist auch eine Geschichte der Vertuschungsversuche, der ständig neuen Enthüllungen. Es ist bestenfalls eine Aufklärung mit Samthandschuhen.

Die Mitglieder des früheren Organisationskomitees stecken am tiefsten in diesem Affärensumpf. Franz Beckenbauer, Theo Zwanziger, Horst R. Schmidt und Niersbach - gegen sie alle ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft unter anderem wegen des Verdachts der Untreue und Geldwäsche. Aber abgesehen von Niersbach hatte keiner von ihnen mehr ein Amt beim DFB, als der Skandal aufflog.

Doch eine Trennung zwischen dem WM-OK hier und dem Verband da lässt sich so einfach nicht ziehen. Es war Niersbach, der noch in seiner Funktion als DFB-Präsident versuchte, den Skandal unter der Decke zu halten. Dass er von diesem Amt zurücktreten musste, dass ihn später auch die Ethikkommission der FIFA sperrte und dass der deutsche Fußball dadurch derzeit nicht in den Führungsgremien des Weltverbandes und der Europäischen Fußball-Union UEFA vertreten ist: Das sind bis heute die einschneidendsten Konsequenzen aus der WM-Affäre.

Die vom DFB eingeschaltete Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer stellte Anfang März in ihrem Bericht fest: Ein Stimmenkauf vor der WM-Vergabe sei nicht nachzuweisen - aber auch nicht auszuschließen. Wie auch: Der DFB beauftragte jemanden mit der Aufklärung, der Fragen stellen, aber niemanden zu Antworten zwingen konnte. Der untersuchen sollte, aber dafür keine Druckmittel besaß. Und so gibt es im Umgang des DFB mit der WM-Affäre einen roten Faden: Aufklärung ja, aber nie um jeden Preis.

Das beginnt schon in der Präsidiumsschalte am 16. Oktober 2015, in der Niersbach seine Kollegen über die ominösen 6,7 Millionen Euro informierte, obwohl er selbst davon schon viel länger wusste. Im Freshfields-Report ist nachzulesen, dass der DFB-Vize Rainer Koch sofort fragte, warum er in die Sache nicht früher eingeweiht wurde. Und Grindel als damaliger Schatzmeister anmahnte, sämtliche Zahlungsflüsse aufzuklären. Doch die Steuerbehörden einschalten oder Niersbach das Vertrauen entziehen - das wollte zu diesem Zeitpunkt wohl niemand.

Dabei hätte damals schon klar sein müssen: Die WM-Affäre aufklären und Niersbach schützen - beides zusammen geht nicht. Genauso wie heute klar ist: Die WM-Affäre aufklären und gleichzeitig Franz Beckenbauers Denkmal weiterzupflegen - das geht auch nicht.

Regelmäßig kommen neue Details ans Licht, über die der Kaiser als Schlüsselfigur der gesamten Affäre vorher nie sprechen wollte. Sein Konto in der Schweiz zum Beispiel, 2002 so etwas wie der Ausgangspunkt der dubiosen Geldflüsse. Oder der erst im September bekannt gewordene Millionen-Vertrag mit Oddset, der die Legende zerstörte, Beckenbauer habe die WM „ehrenamtlich“ ins Land geholt.

„Ich gehe nach wie vor davon aus, dass uns Franz Beckenbauer alles gesagt hat, was er weiß“, sagte Grindel der dpa. Er glaubt auch, dass die Affäre dem Image des DFB als Bewerber um die EM-Ausrichtung 2024 nicht nachhaltig geschadet habe. „Die Führung der UEFA und viele meiner Kollegen in den anderen nationalen Verbänden erkennen unsere Bemühungen sehr wohl an, im neuen DFB für Good Governance, für Transparenz und Compliance zu sorgen.“ Der 55-Jährige und der gesamte DFB würden den WM-Skandal am liebsten für beendet erklären. Sie können das nur nicht.

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