Fußball: Debatte um den Videobeweis:Schneller, als der Referee erlaubt

Lesezeit: 1 min

Ob in Gladbach oder Wolfsburg: Fehlentscheidungen der Schiedsrichter bringen Fans und Funktionäre in Rage. Der Fußball ist für das menschliche Auge schlicht zu komplex geworden - aber die Entscheidungsträger weigern sich, kleinste Probleme in Angriff zu nehmen.

Christof Kneer

Eine der schönsten Weisheiten im Fußball ist jene, wonach sich im Laufe einer Saison alles ausgleicht. Das heißt wohl, dass irgendwo im Universum eine über alle Zweifel erhabene Autorität wacht, eine Lichtgestalt vielleicht, die einen Notizblock sowie einen Bleistift mit sich führt und unbestechlich Buch führt.

Schiedsrichter Aytekin mit Rotsünder Hanke: Die Rasanz als Grund für irrige Deutungen. (Foto: REUTERS)

Die Autorität schreibt also auf, dass der VfB Stuttgart in der Vorrunde viermal krass benachteiligt wurde, weshalb die Autorität jetzt dafür sorgt, dass der VfB die Entscheidungen Pfiff für Pfiff zurückbekommt. Am Wochenende wurden die Stuttgarter mit einem gnädigen Handelfmeter entschädigt, der aber kaum spielentscheidend war. Der VfB führte schon 2:0.

An die Theorie, wonach sich alles ausgleicht, glauben längst nur noch Lichtgestalten. Den realen Abstiegskämpfern in der Liga musste dieses Stammtisch-Gutachten an diesem Wochenende wie Hohn vorkommen.

"Wie eine Wurst" habe Referee Aytekin gepfiffen, schimpfte Gladbach-Manager Eberl, dessen Borussen ein Strafstoß verweigert wurde. Den Wolfsburgern wurde ein 1:0 zuerkannt, bei dem Schütze Mandzukic im Abseits stand. Frankfurt wurde durch ein Tor besiegt, das Hoffenheims Firmino nur erzielte, weil der - angeblich passiv abseits stehende - Mitspieler Ibisevic einen Gegner ziemlich aktiv wegblockte. Und den Bremern blieb eine Heimniederlage nur erspart, weil Referee Kircher bei Raúls Tor auf Abseits entschied.

Der gängige Reflex wäre nun, alle Schiedsrichter in die Wurstwaren-Abteilung einzuweisen, aber der Reflex wäre nicht regelkonform. Wer die Raúl-Szene noch mal betrachtet, erkennt eine verwirrende Choreographie aus Laufwegen, Bewegungen und Gegenbewegungen und kommt zu dem Schluss, dass Fußball in Echtzeit bisweilen nicht mehr seriös zu bewerten ist.

"In Realgeschwindigkeit" sei das nicht zu erkennen gewesen, meinte Kircher, auch Aytekin machte die Rasanz der Aktion für seine irrige Deutung verantwortlich. Kirchers Szene war nicht mal durch TV-Bilder endgültig aufzuklären.

Das Spiel hat sich in den vergangenen Jahren entwickelt wie lange nicht, mitunter scheint es, als würden Tempo und Dynamik der Sportart den Referees über den Kopf wachsen. Die Anzahl der Grenzsituationen hat - jenseits der Tor-oder-nicht-Tor-Debatten - dramatisch zugenommen. Ob da der Videobeweis hilft oder ein zweiter Schiedsrichter?

Der Fußball hat seinen Entscheidungsträgern eine komplexe Aufgabe gestellt. Und es macht nicht viel Hoffnung, dass die Entscheidungsträger sich schon weigern, die einfache Tor-oder-nicht-Tor-Frage zu lösen.

© SZ vom 18.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

FC Bayern: Einzelkritik
:Die Fan-Versteher

Mario Gomez schafft beim 5:1 gegen Leverkusen einen Hattrick, Luiz Gustavo sucht ein sonniges Plätzchen - und nicht nur Thomas Müller weiß, wie man sämtliche Bayern-Fans auf seine Seite bringt. Die Bayern in der Einzelkritik.

Jürgen Schmieder, Fröttmaning

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: